Champions League in Hamburg: Ein ganz besonderes Erlebnis mit Schachtar Donezk
Das erste Champions-League-Spiel des ukrainischen Fußball-Meisters Schachtar Donezk in Hamburg war mit einem 1:3 gegen den FC Porto zwar nicht erfolgreich, doch atmosphärisch sehr besonders. NDR.de begleitete ukrainische Kriegsverletzte, die auf Einladung von Schachtar das Spiel im Volksparkstadion verfolgten.
Einige humpeln. Andere benötigen einen Rollator oder passen genau auf, wohin sie gehen, weil ihr Arm von der Schulter abwärts in einer Schlaufe steckt. Als aber an diesem Dienstagabend kurz vor 21 Uhr in dem mit 46.729 Zuschauerinnen und Zuschauern prächtig besetzten Volksparkstadion die Hymne der Champions League erklingt und weiter unten die Mannschaften von Schachtar Donezk und dem FC Porto den Rasen betreten, herrscht bei den ukrainischen Kriegsverletzten aus Hamburg und den Mitarbeiterinnen des Vereins "Feine Ukraine" in der Schachtar-Loge helle Begeisterung - und riesige Vorfreude auf einen besonderen Abend.
Nur noch Fußball für ein paar Stunden
Stolz recken sie die mitgebrachten ukrainischen Flaggen in die Höhe. Jetzt lachen die Männer, die eine Stunde vor dem Anpfiff auf ihren Smartphones noch Fotos aus dem Krankenhaus gezeigt haben. Klaffende Wunden, schlaflose Nächte versprechende Metallgestänge an Armen und Beinen. Nun nichts mehr davon - nur noch Fußball.
Und an diesem Abend sind sie alle Schachtar-Fans, wie Oleg Poluschkin aus Charkiw, Statur eines Eisenbiegers, auch ohne jegliche Deutsch-Kenntnisse eindrucksvoll zu verstehen gibt. Er schlägt mit seiner großen Faust auf sein Herz und ruft "Metalist!" aus, den Namen des renommiertesten Clubs seiner Heimatstadt. Er zeigt aber auch, fast zärtlich, auf den Schachtar-Fanschal, der darüber liegt, und lächelt.
HSV-Fans feuern lautstark Schachtar an
Nicht nur er, auch Tausende norddeutsche Fußballfreunde haben den ukrainischen Meister an seiner neuen Spielstätte in der Königsklasse herzlich aufgenommen. Auf der Nordtribüne, wo bei Heimspielen des Zweitligisten Hamburger SV die treuesten Anhänger stehen, finden sich auf den Sitzplätzen viele, die einen HSV-Schlapphut und einen Spieltagsschal von Schachtar um ihre Hälse tragen.
Donezk kann wegen des russischen Angriffskrieges seine Heimspiele nicht in der Ukraine austragen. In der vergangenen Saison wich der Verein nach Warschau aus. Terminliche Gründe verhinderten eine Wiederholung. Eine neue Zuflucht fand der Club in Hamburg. Und dort, im Volksparkstadion braucht es nicht lange, bis Stimmung aufkommt - und das, obwohl es keine Schachtar-Kurve im klassischen Sinne gibt.
Die Fans des Hamburger SV, der 28.000 Ticketpakete an Mitglieder und Dauerkarteninhaber verkauft hat, und die verteilt sitzenden ukrainischen Anhänger feuern gemeinsam mit "Schachtar, Schachtar"-Rufen und rhythmischem Klatschen bei Ecken das in schwarz-orangenen Trikots spielende Team an. Oben in der Loge, trübt sich nach dem schnellen 0:1 (8.) etwas die Stimmung. Sie ist aber schnell wieder großartig, als Kevin Kelsy für Donezk ausgleicht (13.). "Alles wird gut", sagt Wolodymir Dubyna und reckt den Daumen nach oben.
FC Porto hält Donzek früh auf Distanz
Wiederum nur wenig später zeigt sich, dass diese Voraussage nicht ganz so solide ist. Erneut ist es Galeno, der die Porto-Fans im Gästeblock jubeln lässt. Den Kriegsverletzten aus Hamburg, die auf Einladung von Schachtar das Spiel in einer Loge verfolgen dürfen, schwant nach einer knappen halben Stunde und dem 1:3 durch Mehdi Taremi (29.), dass die Premiere in Hamburg vermutlich keine erfolgreiche werden wird. Mit dem Ergebnis geht es auch in die Pause.
Nationaltrainer Rebrow in der Loge zu Besuch
Und in der kommt plötzlich der Nationaltrainer der Ukraine zur Tür herein. Serhij Rebrow, der einst mit Andrij Schewtschenko ein Weltklasse-Sturmduo bildete, gibt jedem die Hand und steht für Fotos zur Verfügung. Möglich gemacht hat dies Lilia Ketler, die sich bei "Feine Ukraine" um die Betreuung der Kriegsverletzten kümmert. "Ich war vorhin draußen, habe ihn gesehen und ihn einfach gefragt. Er war beim Essen, ist aber sofort mitgekommen, als ich ihm sagte, dass wir mit einer Gruppe Kriegsverletzter hier sind", sagt Ketler.
Sie hatte den ganzen Besuch im Volksparkstadion angestoßen - durch Schreiben an den HSV und Schachtar. Der ukrainische Meister buchte die Loge für die 22 Personen große Gruppe. "Es war so eine tolle Überraschung, als wir die Nachricht erhielten", sagt Ketler, die von der Atmosphäre im Stadion begeistert ist.
Sie ist in der Tat sehr schön. Die Welle schwappt durch das Oval, auch die Gäste-Fans machen mit, und wenig später sorgen Hunderte von Handylichtern auf den Tribünen für eine Stimmung wie bei einem Konzert. Auch "HSV"-Rufe sind in der Schlussphase für eine kurze Phase noch zu hören.
"Ich hatte auf ein besseres Ergebnis gehofft." Schachtar-Fan Wolodymir Dubyna
Es ist nicht diese typische Fußballstimmung mit vielen Fahnen, weil ein großer, gewachsener Fanblock des Gastgebers fehlt. Aber die HSV-Fans geben sich alle Mühe, diese Lücke zu füllen. Es scheint fast, als könnte daraus eine Fan-Freundschaft erwachsen.
Als der Schlusspfiff ertönt, gibt es Applaus von den Rängen - und das, obwohl Schachtar nicht seinen besten Tag hatte. Oder, wie Wolodymir es ausdrückt: "Die haben sehr schlecht gespielt. Ich hatte auf ein besseres Ergebnis gehofft."
Donezk noch gegen Barcelona und Antwerpen in Hamburg
Für Oleg, den kräftigen Mann aus Charkiw, ist der Ausgang der Partie natürlich auch eine Enttäuschung, der Rahmen gefällt ihm aber: "Das Stadion in Hamburg ist super, es ist fast gleich wie das in Charkiw", sagt er. Zwei weitere Donezker Heimspiele an der Elbe gib es in jedem Fall noch: am 7. November (18.45 Uhr) gegen den spanischen Meister FC Barcelona und am 28. November (18.45 Uhr) gegen Royal Antwerpen. Und sollte Schachtar in der Gruppe H trotz dieser Auftaktniederlage weiterkommen, auch noch mindestens eines in der K.o.-Phase.
Oksana Khomchyn, Mitarbeiterin beim Verein "Feine Ukraine", zieht derweil trotz der Niederlage von Schachtar Donezk ein positives Fazit: "Für mich war die Atmosphäre hier schon sehr besonders. Und ich freue mich, wenn ukrainische Kriegsverletzte Ablenkung bekommen von Krankenhäusern, Behandlung und Schmerzmitteln."