Schachtar Donezk: Vom Bergbau-Club zum Botschafter der Ukraine
Heute bestreitet Schachtar Donezk sein erstes Champions-League-"Heimspiel" der Saison in Hamburg. Blick auf einen Fußball-Club, der schon seit 2014 ein Vertriebener ist und der wegen des Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nun im HSV-Stadion eine temporäre Heimat gefunden hat.
Für die Anreise zum "Heimspiel" benötigt das Team neun Stunden. Von Lwiw im Westen der Ukraine geht es mit dem Bus 170 Kilometer nach Rzeszow in Polen und von dort per Flugzeug nach Hamburg. Die beschwerliche Anreise des ukrainischen Meisters zu seinem ersten Champions-League-Duell heute im Volksparkstadion des HSV gegen den FC Porto (21 Uhr) ist nur eines der Beispiele dafür, dass Schachtar ein seit Jahren vertriebener Verein ist.
Rund 2.000 Kilometer liegen zwischen der Stadt im Donbass und der Hansestadt. Donezk ist an der Elbe Gastgeber, weil in der Heimat Bomben fallen.
Lwiw, Charkiw, Kiew: Schachtar Donezk ist seit 2014 ein Vertriebener
Wirklich zuhause aber ist der Club schon länger nicht mehr: Mit dem Angriff Russlands auf die Halbinsel Krim im Südosten der Ukraine im Jahr 2014, der den andauernden russisch-ukrainischen Krieg zunächst regional auslöste, begann die Vertreibung des Vereins aus seiner Stadt. Seither hat der Club auf europäischer Bühne keine Partie mehr in der heimischen Donbass-Arena ausgetragen.
In der Spielzeit 2014/2015 wich man aufgrund des militärischen Konflikts in die Arena Lwiw aus, zur Saison 2016/2017 dann zurück in den Osten des Landes, nach Charkiw. Mittlerweile trägt Schachtar seine Liga-"Heimspiele" im Olympiastadion der Hauptstadt Kiew aus. Der Club teilt sich die Arena mit Krywbas Krywyj Rih, Metalist Charkiw und FK Oleksandrija.
Letzte Saison Warschau, dieses Jahr Hamburg
Für internationale Spiele war der ukrainische Meister in der vergangenen Spielzeit in die polnische Hauptstadt Warschau ausgewichen, terminliche Probleme erforderten nun aber einen neuen Spielort. Mit Hamburg und dem Stadion des HSV kommt für den Club also eine weitere Station auf seiner erzwungenen internationalen Reise hinzu.
Auf dieser versteht sich der Verein nach eigener Aussage als "Botschafter des ukrainischen Fußballs in der Welt" - und der "Entwicklung der Fußball-Kultur in unserem Land" verpflichtet. Eine Philosophie nach innen und außen, die nach neun Jahren der Heimatlosigkeit und unter den aktuellen politischen und militärischen Rahmenbedingungen zusätzlich an Bedeutung gewinnt.
Schachtar Donezk ist ursprünglich ein Bergarbeiter-Club
Gegründet im April 1936, hat der Club seine Wurzeln im Bergbau im Osten der Ukraine. Das spiegelt sich mit Schlägel und Eisen auch im Vereinslogo sowie in den für die Region typischen Farben Schwarz und Orange wider, die nach eigenen Angaben für Schatten und Sonnenlicht stehen. Der Name Schachtar heißt im Ukrainischen "Bergmann".
Die Geschichte von Stadt und Verein ist eng miteinander verknüpft - und bewegt: Im Zweiten Weltkrieg beispielsweise wurde die sowjetische Meisterschaft nach der Besetzung Donezks durch deutsche Truppen jäh beendet. Und nach dem Krieg, in dessen Verlauf in etwa 60.000 Menschen in der Stadt starben, musste der Club im Jahr 1952 nach eigenen Angaben alle seine Partien in Moskau austragen.
Größter Vereinserfolg gegen Werder Bremen
Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 spielt Schachtar durchgängig in der höchsten ukrainischen Spielklasse, der Premjer-Liha. Größter Konkurrent dort ist der Hauptstadtclub Dynamo Kiew, dessen Dominanz Donezk in den 1990ern nach dem Einstieg des aus der Stadt stammenden Milliardärs Rinat Achmetow im Oktober 1996 sukzessive angreifen und durchbrechen konnte. 2001 wurde das Team erstmals ukrainischer Meister.
Die Liste der Titel seither ist lang: 14 Meisterschaften (Dynamo Kiew hat mit 16 noch zwei mehr), 13 Pokalsiege sowie neun Superpokal-Titel auf nationaler Ebene. Seinen größten internationalen Erfolg mit dem Gewinn des UEFA-Cups feierte Schachtar 2009 ausgerechnet gegen HSV-Erzrivale Werder Bremen: 2:1 hieß es nach Verlängerung, in der Jadson das goldene Tor erzielte.
Fernandinho, Willian und Co.: Brasilianer in Donezk
Damals war Jadson einer von gleich sieben Brasilianern im Team: darunter der damals 23 Jahre alte Fernandinho, der unter Pep Guardiola später jahrelang Kapitän von Manchester City sein sollte, oder Willian, der unter anderem beim FC Chelsea spielte und nun im Herbst seiner Karriere beim FC Fulham in der Premier League aktiv ist.
Heute sind es mit (dem suspendierten) Lucas Taylor, Pedrinho, Eguinaldo und Newerton noch vier Akteure aus Brasilien, dazu neben vielen jungen Ukrainern Spieler aus Israel, Georgien, Tansania, Ecuador, Tadschikistan, Burkina Faso und Venezuela. Insbesondere die ukrainischen Spieler - darunter das 21 Jahre alte Supertalent Heorhij Sudakow - sind teilweise noch sehr jung, die meisten von ihnen in den vergangenen Jahren oder vor dieser Spielzeit aus der zweiten Mannschaft hochgezogen.
Weitere europäische Spiele in Hamburg?
Die heimische Liga, die trotz des russischen Angriffskrieges läuft, führt Schachtar mit fünf Siegen und zwei Unentschieden an. In der Champions League dürfte das junge Team insbesondere gegen den FC Barcelona und Porto nur Außenseiterchancen haben und mit Royal Antwerpen um den dritten Platz und damit ein Überwintern in der Europa League kämpfen. Das würde dem vertriebenen Verein weitere "Heimspiele" in Hamburg bescheren.