Weihnachtsgottesdienste - ein Auslaufmodell?
In den letzten Jahren haben sich auf Marktplätzen oder auf Bauernhöfen Freiluftgottesdienste entwickelt. Die Besucherzahlen haben das Niveau vor Corona aber noch nicht wieder erreicht. Worauf müssen Gemeinden sich in diesem Jahr einstellen?
"Ich glaube, es wird wieder voll", sagt Rainer Müller-Brandes, Stadtsuperintendent der Kirchenregion Hannover. Er ist zugleich Pastor der hannoverschen Hauptkirche. Er verbreitet Optimismus: "Mein subjektiver Eindruck: Wir haben jetzt elf Adventsandachten gehabt und die waren sehr gut besucht, immer ungefähr 400 Menschen. Gestern Abend war ich bei so einem Christmas Carol, dort war es auch überfüllt. Das Stadionsingen funktioniert gut, da haben wir 50 Prozent mehr Anmeldungen."
Pfarrer und Pastorinnen in kleineren Gemeinden auf dem Land sind weniger zuversichtlich. Sie sagen, während der Corona-Pandemie hätten nicht wenige Menschen bemerkt, dass sie Weihnachten auch gut ohne Gottesdienst auskommen. Gerd Pickel ist Professor für Kirchen- und Religionssoziologie an der Universität Leipzig. Am Beispiel der Evangelischen Kirche veranschaulicht er den bisherigen Unterschied zwischen Sonntags- und Weihnachtsgottesdiensten: "Wenn man es umrechnet auf die Zahl der Mitglieder, haben wir beim Sonntagsgottesdienst vielleicht so drei Prozent, die ihn besuchen, das geht eher jetzt noch weiter zurück. Während wir beim Weihnachtsgottesdienst so zwischen 15 und 20 Prozent liegen. Also es ist schon noch ein großer Unterschied. Aber auch dort ist ein Rückgang festzustellen."
Erwartet wird stimmige Atmosphäre und gute Predigt
Zu berücksichtigen sei, dass nicht alle Besucherinnen und Besucher der Weihnachtsgottesdienste der Kirche angehören, so der Kirchenexperte: "Da geht man als Familie hin. Da kommen dann auch der nicht mehr konfessionelle Bruder und die nichtkonfessionelle Oma halt auch mit in den Gottesdienst. Das ist, man könnte sagen, fast der einzige Gottesdienst, den auch Konfessionslose mal besuchen." Das kann für die Kirchen und ihre Botschaften auch eine Chance sein. Man dürfe sich aber keinen Illusionen hingeben, sagt Gerd Pickel. Je mehr die Religiosität abnehme und je mehr die Gruppe der Konfessionslosen wachse, desto stärker bröckelten auch die Traditionen.
Was heißt das nun im Blick auf diejenigen, die Weihnachten noch in die Kirche kommen? Ihre Erwartungen sind ernst zu nehmen, sagt Georg Lämmlin, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD in Hannover. Er leitet das ab aus der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, deren Auswertung das Institut gerade vorgelegt hat. "Die Erwartungen haben sehr viel mit der Frage einer stimmigen Atmosphäre zu tun", so Lämmlin. "Der Raum muss passend für sie sein, die Musik, die sie erwarten, muss passend sein und dann erwarten sie dort vor allem eine inhaltliche Ansprache. Der zweitwichtigste Grund, warum Menschen in den Gottesdienst gehen, ist, dass sie eine gute Predigt erwarten. Dass ihnen dort eine Form von religiöser Kommunikation begegnet, die sie anspricht."
Krippenspiele mit großer Bedeutung
Die Predigt müsse also am Leben der Besucherinnen und Besucher andocken. Und generell zeige die Untersuchung, dass Menschen beteiligt sein wollen. Der Beteiligungsklassiker zu Heilig Abend ist das Krippenspiel, so Lämmlin: "Die Gottesdienste, bei denen Kinder am Krippenspiel beteiligt sind, sind natürlich voll, weil die ganze Familie daran sozusagen mitbeteiligt ist im ganzen Prozess und dann mitfiebert bei der Aufführung."
Ein Sprecher der katholischen Kirche in Hannover bestätigt diese Erfahrung. In den katholischen Gemeinden hätten Krippenspiele schon immer eine große Bedeutung, durch Corona sei diese aber noch einmal gewachsen. Das mag mit einer Beobachtung zusammenhängen, die der Sprecher auch formuliert. Zu Weihnachten gehe es Menschen spürbar um Gemeinschaft, um das Gefühl, dass es noch etwas anderes gibt, als das alltägliche Leben. Eine Sehnsucht und Hoffnung - alle Jahre wieder.