Klimafolgen: Mehrheit sieht den Norden schlecht vorbereitet
Stand: 18.08.2023 11:46 Uhr
Der Klimawandel hat bereits gravierende Folgen. Die Anpassungen daran findet die Mehrheit in einer #NDRfragt-Umfrage nicht ausreichend - und viele treffen bereits selbst Maßnahmen.
Tagelange Hitze, trockene Bäume, dann plötzlicher Starkregen und vollgelaufene Keller: Wetterextreme stellen Kommunen vor die Frage, wie sie die Bürger und die Infrastruktur vor den Folgen der Klimakrise schützen können - kurz auch Klimaanpassung genannt. Fast zwei Drittel unter den knapp 18.000 befragten Norddeutschen in der #NDRfragt-Community finden die Maßnahmen in ihrem Kreis derzeit nicht ausreichend. Alle Ergebnisse dieser nicht repräsentativen, aber gewichteten Umfrage gibt es hier als PDF zum Herunterladen.
VIDEO: NDR Info Redezeit: Bereiten wir uns richtig auf den Klimawandel vor? (87 Min)
Große Mehrheit spürt Folgen des Klimawandels bereits
Bereits jetzt nehmen mehr als 90 Prozent der Befragten die Folgen des Klimawandels wahr, vor allem in Form von Hitzewellen. "Jeder Sommer hat immer extremere Temperaturen, auf die dann Starkregen-Ereignisse folgen. Die Hitze ist selbst in meinem jungen Alter unerträglich", sagt etwa #NDRfragt- Teilnehmer Robert, (18 Jahre) aus Niedersachsen.
Josephine (20) aus Schleswig-Holstein: "Die Wiesen waren früher grün, heute sind sie gelb. Man hört und sieht immer weniger Vögel und weitere Tiere." Anja (47) aus Mecklenburg-Vorpommern: "Das Wetter ist sehr extrem geworden. Entweder ist es zu kalt oder zu warm. Es gibt nichts mehr dazwischen." June (39) aus Niedersachsen: "Die Wassernutzung für den Garten wird vom Landkreis zwischen 11 Uhr und 19 Uhr untersagt. Die Gewitter sind so stark, wie ich sie noch nie erlebt habe." Uta (42) aus Hamburg: "Ich habe meinem Kind zum ersten Weihnachten einen Schlitten gekauft. Das ist acht Jahre her. Benutzen konnten wir ihn bisher einmal, da bei uns einfach nicht mehr genug Schnee fällt." Else (70) aus Niedersachsen: "Es gibt oft nur die Extreme: 'zu trocken' oder 'zu viel Regen' mit verheerenden Folgen wie Ernteeinbußen, Überschwemmungen, sinkender Grundwasserspiegel etc."
An der Nordseeküste nehmen die meisten Befragten vor allem Starkregen und Stürme als Klimafolge wahr, im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern sind es Dürren. Das bedeutet aber nicht, dass die anderen Klimafolgen von den Befragten gar nicht gespürt werden - die Karte stellt nur jeweils die Klimafolge Nummer eins in den jeweiligen Kreisen und kreisfreien Städten dar.
Zusammen mit Wassermangel spielen die drei Klimafolgen Hitzewellen, Dürre und Starkregen auch bei den Gegenmaßnahmen die wichtigste Rolle. Beim Thema Hitzewellen schätzen drei Viertel der Befragten die Begrünung mit Bäumen als sehr wichtiges Instrument ein, gefolgt von der Entsiegelung von Flächen (63 Prozent). #NDRfragt-Teilnehmer Jan-Christan (56) aus Niedersachsen schreibt: "Wichtig wäre das biologisch korrekte Begrünen der Flächen in der Stadt. Hierbei sollte auf eine hohe Artenvielfalt geachtet werden. Dies führt dann nicht nur zu einer Verbesserung des Klimas, sondern auch zu einer höheren Diversität."
Wie bereitet man Städte auf Starkregen vor?
Gegen Dürren empfinden zwei Drittel der Befragten vor allem die Anpflanzung dürreresistenter Baum- und Pflanzenarten als wichtig. Bei den Maßnahmen gegen Starkregen schätzen sechs von zehn Befragten das Konzept der Schwammstadt als sehr wichtig ein. Es sieht vor Regenwasser direkt dort aufzufangen, wo es fällt, statt es in die Kanalisation abzuleiten. Gelingen kann das zum Beispiel durch mehr Grünflächen. Auf versiegelten Flächen wie geteerten Straßen fließt das Wasser hingegen in die Kanalisation, die bei Starkregen überlaufen und Straßen überschwemmen kann. Auch vermischt es sich dort mit Abwasser und ist damit beispielsweise für die Bewässerung verloren. Weitere Umfrage-Ergebnisse zu den einzelnen Maßnahmen gegen die Klimafolgen finden Sie in der PDF-Datei (ab Seite 8).
Der Begriff Klimawandel bezieht sich auf die von Menschen verursachte Veränderung des weltweiten Klimas. Klimaschutz soll dabei helfen, diese Veränderungen einzudämmen. Wer dazu beitragen möchte, kann unter anderem mit dem Fahrrad oder Bus und Bahn zu Arbeit fahren, Strom sparen oder auf Kurzstreckenflüge verzichten. Damit kann der Ausstoß von schädlichen Treibhausgasen verringert werden. Dagegen haben Klimaanpassungen nicht direkt das Ziel, Emissionen zu reduzieren oder das Klima zu schützen. Sie sollen Menschen und Infrastruktur vor den Folgen der Klimaveränderung schützen - beispielsweise vor Hitze oder Starkregen. Eine mögliche Anpassung ist, städtische Flächen zu entsiegeln. Das bedeutet, dass das Wasser bei starken Regenfällen versickern kann und so das Risiko einer Überschwemmung reduziert wird.
Besonders im Osten von Niedersachsen sind viele Befragte nicht zufrieden mit den Maßnahmen zur Klimaanpassung. Im Kreis Lüchow-Dannenberg sagen etwa 88 Prozent, dass sie die derzeitigen Maßnahmen nicht ausreichend finden - ganz anders etwa als in Mecklenburg-Vorpommern, wo sich der Wert zwischen 50 und 60 Prozent bewegt.
Befragte beklagen Informationsdefizit
Gleichzeitig gibt es aber auch ein großes Informationsbedürfnis, das offenbar nicht gestillt wird. Durchschnittlich 56 Prozent wissen nicht, ob oder wie Klimaanpassungen in den Bereichen Hitze, Dürre, Wassermangel, Stürme/Starkregen, Anstieg des Meeresspiegels und Hochwasser in ihrem Landkreis oder ihrer Stadt umgesetzt wurden. #NDRfragt-Teilnehmerin Mareike (46) aus Niedersachsen schreibt dazu: "Im Zuge Ihrer Umfrage ist mir aufgefallen, wie wenig ich über konkrete Maßnahmen informiert bin. In allen Medien werden Politiker gezeigt, die regelmäßig irgendwas fordern. Aber ob davon jemals irgendwo etwas umgesetzt wird, wird nicht berichtet. Ich hoffe, es wird etwas getan. Nur leider ist mir hier vor Ort noch nie etwas aufgefallen."
Thomas (27) aus Niedersachsen : "Ich habe für mich festgestellt, dass ich noch viel zu schlecht über die Folgen des Klimawandels bei mir vor Ort und über die entsprechenden Maßnahmen informiert bin. Ich denke, es geht vielen Menschen ähnlich." Wiebke (45) aus Hamburg: "Ich denke, dass die Politiker unterschätzen, wie viele BürgerInnen sich im Kleinen engagieren würden, wenn es konkrete Vorschläge für Maßnahmen gäbe." Sophie (30) aus Mecklenburg-Vorpommern: "Beim Beantworten der Fragen ist mir aufgefallen, dass ich erschreckend wenig über die Maßnahmen meines Landkreises weiß. Ich würde mir wünschen, dass wir als Bürger mehr darüber informiert werden und vielleicht sogar ein wenig Mitspracherecht oder die Möglichkeit haben, uns aktiv an Maßnahmen zu beteiligen." Matthias (55) aus Mecklenburg-Vorpommern: "Ich wünsche mir mehr niedrigschwellige und leicht verständliche Informationen über die Notwendigkeit von Maßnahmen und über das, was jeder einzelne tun kann, ohne sich besonders einschränken zu müssen."
Was die Befragten selbst gegen Klimafolgen tun
Wie bereiten sich die Menschen ganz individuell auf Wetterextreme vor? Die Hälfte der Befragten hat bereits persönliche Maßnahmen gegen Klimafolgen ergriffen.
Dabei geht es vor allem um die eigenen vier Wände und das Grundstück: Neben Wärmedämmung oder Hitzeschutz wird vor allem in Begrünung und Beschattung im Garten investiert.
#NDRfragt-Teilnehmer Hartmut, 61, aus Hamburg setzt sich mit einer Grünpatenschaft gegen die Versiegelung in der Stadt ein.
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Auch das Thema Wasser treibt viele Menschen um: Einige der Befragten geben zum Beispiel an, bereits eigene Zisternen im Garten zu haben, um Regenwasser aufzufangen und damit die Pflanzen zu bewässern oder allgemein sehr sparsam mit Trinkwasser umzugehen. #NDRfragt-Teilnehmerin Romy (52) aus Mecklenburg-Vorpommern schreibt: "Ich finde unser Trinkwasser sollte nicht so vergeudet werden. Warum brauche ich Trinkwasser für die Klospülung?"
Uta (72) aus Niedersachsen: "Als erstes ist auch der Bürger gefragt! Es sollte ein jeder seinen Schottergarten abschaffen und seine Kiessteindächer in Dachbegrünung umsetzen." Johanna (25) aus Hamburg: "Es wird so oft an den gemeinen Bürger appelliert, sich anzupassen und zum Beispiel Wasser zu sparen. Dabei leben die allermeisten schon sehr sparsam. Und sei es nur aus monetären Gründen. Mir fehlen viel mehr die radikalen und konsequenten Maßnahmen, die die Firmen und Großverbraucher endlich mal vornehmen müssen." Mathias (45) aus Schleswig-Holstein: "Wir müssen unsere Bauweise umdenken. Wir brauchen Häuser und insgesamt Städte, die sich am Tag weniger aufheizen. Im Zusammenhang mit Wärmepumpen zum Heizen sollten Geräte eingebaut werden, die im Sommer zum Kühlen genutzt werden können." Jens (58) aus Niedersachsen: "Ich fände es gut, wenn es Berater zur Vorbereitung auf die Klimawandelfolgen gibt. Ich sehe hier ein Aufgabengebiet von Ländern und Kommunen, aber besonders von Versicherungen. Denn die Versicherungen profitieren, wenn Kunden ihre Häuser gegen zum Beispiel die Folgen von Starkregenereignissen schützen."
Über diese Befragung
Die Antworten stammen aus der Umfrage "Klimawandel - wie anpassen?", an der sich 17.822 Norddeutsche beteiligt haben. Für die Ergebnisse wurden Antworten ausgewertet, die vom 11. Juni 2023 bis zum 7. August 2023 um 9 Uhr abgegeben wurden. An den Umfragen von #NDRfragt nehmen Menschen aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen teil. Die Umfragen werden online ausgefüllt.
Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings nach den statistischen Merkmalen Alter, Geschlecht, Bundesland und Schulabschluss gewichtet. Das heißt: Antworten von Bevölkerungsgruppen, die unter den Befragten seltener vertreten sind als in der norddeutschen Bevölkerung, fließen stärker gewichtet in die Umfrage-Ergebnisse ein. Und die Antworten von in der Befragung überrepräsentierten Gruppen werden schwächer gewichtet. Insgesamt verteilen sich die Antworten dann am Ende eher so, wie es der tatsächlichen Verteilung der Bevölkerungsgruppen in Norddeutschland entspricht. Die Daten in den Karten der Kreise und kreisfreien Städte sind hingegen ungewichtet.