Kieler Woche: Erstmals Einsatz von Awareness-Teams
Leah-Maria Rott von Saferspaces und Jan Schaffeld von Wilms Sicherheit haben die Awareness-Teams auf der Kieler Woche ins Leben gerufen. Ein Pilotprojekt als Ergänzung zum bisherigen Sicherheitskonzept.
Zu erkennen sind sie an ihren lilafarbenen Westen. Immer zu zweit laufen die Awareness-Teams jeden Abend über die Kieler Woche. Erreicht werden können die Teams direkt oder über QR-Codes auf über 650 Plakaten oder Handzettel, die an fast allen Ständen ausliegen. Im Interview sprechen die beiden mit NDR Schleswig-Holstein über ihre Arbeit.
Worum geht es genau bei Ihrer Arbeit mit den Awareness-Teams?
Leah-Maria Rott: Im Kontext der KiWo geht es darum, betroffene Personen bei Eskalationen sichtbar zu machen. Wir wissen, was man mit Tätern macht und auch, was mit Verletzten zu tun ist. Aber es gibt so einen kleinen Graubereich von Menschen, die betroffen sind von Übergriffen oder von Diskriminierung. Oder die in Situationen sind, in denen sie sich hilflos fühlen. Und dafür sind die Awareness-Teams da. Die helfen im besten Fall den betroffenen Menschen, wieder auf die Beine zu kommen. Awareness-Arbeit heißt im Endeffekt: betroffenenorientierte Arbeit.
Wie erreicht man die Awareness-Teams?
Jan Schaffeld: Betroffene haben zwei Möglichkeiten, unsere Teams zu erreichen. Entweder werden die Teams direkt angesprochen von Betroffenen oder Zeugen. Oder man scannt den QR-Code auf den Plakaten oder Handzetteln ab, dann landen die Meldenden bei uns in der Leitstelle. Ein Kollege in der Leitstelle nimmt die Anfragen an und koordiniert alles weitere. Er sieht den Standort der meldenden Person und schickt Polizei, Sicherheitsteam oder ein Awareness-Team, je nachdem was los ist.
Rott: Die Codes haben die Funktion Hilfe zu holen, das ist klar. Zum anderen geht es auch darum, zu signalisieren: Hey, guckt hin, wenn es jemandem nicht gut geht. Eben diese Awareness, also das Bewusstsein, wird durch die Plakate auch geschaffen - das ist eigentlich die Hauptintention des Projektes. Denn häufig hören wir: Es ist etwas passiert, aber niemand hat eingegriffen oder geholfen. Die Infrastruktur unterstützt, dass es Leute gibt, die geschult sind, und dann auch dahin kommen können und andere Leute entlasten können.
Ist der Einsatz von Awareness-Teams notwendig?
Rott: Dringend ja, auf jeden Fall! Es ist gesellschaftlich immer so, dass wir von Situationen hören, wo schlimme Dinge passieren und wir uns fragen: Warum ist da keiner dazwischen gegangen? Oder wir wissen auch, wenn wir mit traumatischen Situationen umgehen müssen, dass es hilft darüber zu sprechen. Es hilft, sich jemandem anzuvertrauen. Und je früher das passiert, desto schneller kann man auch heilen. Das versuchen wir zu unterstützen.
Wie oft werden Sie gebraucht?
Schaffeld: Am Wochenende natürlich mehr als unter der Woche. Aber wir haben fünf bis zehn richtige Einsätze täglich und dazu kommen jede Menge Aufklärungsarbeit und niederschwellige Einsätze. Das heißt hier mal den Weg weisen, da mal Freundesgruppen zusammenführen. Es geht hier ja nicht jedes Mal, zum Glück, um gravierende Taten, sondern es geht auch um das Auf-den-Po-hauen, um das Anfassen, um das unangebrachte Ansprechen.
Was sind denn die richtigen Einsätze?
Schaffeld: Wir hatten am ersten Wochenende einen Fall, da kam es zu einer schweren Körperverletzung auf dem Rathausmarkt. Da ist eine Frau von einem Angehörigen angegriffen worden, vor den Augen ihrer jugendlichen Tochter. Die Frau ist durch den Rettungsdienst betreut worden. Aber die Tochter war ja noch da. Die war dann traumatisiert und wurde von unserem Team mehrere Stunden betreut.
Dauert es nicht zu lange, bis Sie bei den Betroffenen seid?
Schaffeld: Nein, also wir sind hier gut aufgestellt und sitzen sehr zentral. Und für die ganz weiten Wege haben wir mit der SprottenFlotte einen Kooperationspartner, der uns unbegrenzt Freiminuten zur Verfügung gestellt hat. Das heißt, dann schwingen sich die Teams aufs Fahrrad und radeln zum Einsatz.
Wie sind die Awareness-Teams ausgebildet?
Rott: Awareness-Teams haben keine Kampfausbildung und auch keine psychologische Ausbildung. Sie bringen aber Komponenten mit, die es braucht, um für die Betroffenen zu betreuen. Also zum Beispiel medizinisches Know-How oder einen psychosozialen Background. Es ist auch ganz wichtig zu differenzieren: Das eine machen die Securities, also Gewalt deeskalieren. Das andere machen die Awareness-Teams: da sein, an der Seite sein.
Wie ist denn die Bilanz nach fünf Tagen Kieler Woche?
Schaffeld: Die Nutzung der App wird immer größer. Das heißt: Es spricht sich rum. Wir rechnen mit steigenden Fallzahlen durch die gestiegene Akzeptanz zum nächsten Wochenende. Insgesamt sind wir sehr zufrieden. Die Teams arbeiten fantastisch zusammen. Auch mit den anderen Kräften, mit den anderen Sicherheitsfirmen, mit der Polizei, mit dem Rettungsdienst, das läuft deutlich besser als wir uns das vorgestellt haben.
Rott: Aus den Erfahrungen der letzten Tage: Gewalt an Frauen ist auf jeden Fall ein Thema. Ein Mann hatte seiner Begleitperson ins Gesicht geschlagen. Die Person, die das beobachtet hat, war überfordert. Sie hat dann den QR-Code gescannt und wir haben Bescheid gesagt, dass sich das Awareness-Team direkt auf den Weg macht. Am Ende musste das Awareness-Team gar nicht eingreifen, weil es sich schon geklärt hatte. Was der positive Aspekt davon ist: Es zeigt, dass Menschen aufmerksam sind und in Akutfällen Hilfe holen.
Was kann in Zukunft noch besser werden?
Rott: Es gibt Bereiche, die im nächsten Jahr optimiert werden können. Zum Beispiel wird es im nächsten Jahr die Möglichkeit geben, sogar von jedem Standort auf der Kieler Woche aus Hilfe zu holen. Ich bin ziemlich froh darüber, wie es läuft. Meine größte Sorge war, dass es einfach nicht stemmbar ist, bei 3,5 Millionen Menschen so viele Meldungen zu bearbeiten.
Das Interview führte Julia Jänisch, NDR Schleswig-Holstein.