Wie Menschen mit Beeinträchtigung alles zur Bundestagswahl lernen
Was macht der Bundestag? Und wie fülle ich einen Wahlzettel aus? Im Politiktreff in Oldenburg geht es um ganz grundlegende Fragen. Menschen mit Beeinträchtigungen kommen her, auch um fit für die Bundestagswahl zu werden.
"In dieser Gesellschaft sollte jeder das Recht haben, wählen zu gehen." Das sagt Frank Weber. Er ist Bildungsbegleiter beim gemeinnützigen Unternehmen "Die Ostholsteiner". Alle zwei Wochen leitet Frank Weber an der Werkstatt in Oldenburg (Kreis Ostholstein) den Politiktreff. Menschen mit Beeinträchtigungen lernen hier alles über Politik - und auch über die anstehende Bundestagswahl. An diesem Tag sind 22 Politikinteressierte gekommen. Viele sind sich noch nicht ganz sicher, bei wem - und auch wie - sie ihr Kreuzchen setzen werden.
Hohe Hürden für politische Teilhabe
Was macht der Bundestag? Und wie fülle ich überhaupt einen Wahlzettel aus? In den anderthalb Stunden Politiktreff geht es um ganz grundlegende Fragen. Aber auch darum, was die Parteien voneinander unterscheidet und welche politischen Themen aktuell diskutiert werden. Die größte Schwierigkeit sei es, die politischen Inhalte so weit herunterzubrechen, dass die Teilnehmenden es verstehen, sagt Frank Weber: "Selbst für uns ist es ja total schwierig, Politik heute zu verstehen.(...) Für diese Menschen ist es noch mal schwieriger."
Zehntausende in SH auf leichte Sprache angewiesen
In Schleswig-Holstein leben laut Landesregierung rund 346.000 schwerbehinderte Menschen. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass 24 Prozent der Schwerbehinderungen sogenannte geistige oder seelische Behinderung und zerebrale Störung sind. In Schleswig-Holstein sind von diesen Formen der Beeinträchtigung also um die 83.000 Menschen betroffen. Damit verbunden sind meist eingeschränkte kognitive Funktionen. Kursleiter Frank Weber findet es entscheidend, dass auch diese Menschen, sofern sie dazu in der Lage sind, ihr Wahlrecht wahrnehmen: "Gerade für diese Menschen ist es wichtig, wie unser Sozialstaat aufgestellt ist, damit sie weiterhin auch genug Unterstützung bekommen."
Mehr über Politiker erfahren
Alisa Haliti ist 19 Jahre alt und wählt dieses Jahr zum ersten Mal. Nach der Förderschule, durchläuft macht gerade ein Einstiegspraktikum bei "die Ostholsteiner". In der Zukunft will sie mal als Bürokauffrau arbeiten. Sie ist beim Politiktreff, weil sie mehr über die Politiker erfahren will, die zur Wahl stehen. "Wer uns regiert in Deutschland, das ist mir wichtig", erklärt sie. Alisas Eltern kommen aus dem Kosovo. Ihr bereitet gerade vor allem ein Thema Sorge: "Ich glaube wenn die AfD an die Macht kommen würde, haben viele Migrationskinder Angst. Die AfD sagt immer 'reines Deutschland' und das ist sehr böse finde ich."
"Es ist wichtig zu wissen, was uns in der Zukunft erwartet"
Kai Jörg Bielfeldt hat schon öfter gewählt. Der Gang zur Wahlurne macht ihn trotzdem manchmal unsicher. "Für mich ist es wichtig zu wissen, was uns in der Zukunft erwartet", erklärt der 49-jährige, der in den Werkstätten bei der Montage von Wasseruhren arbeitet.
Wählen zu gehen ist allerdings nicht für alle Beschäftigen der Werkstätten schon immer selbstverständlich. Menschen mit einer Beeinträchtigung, die in allen Belangen einen Betreuer zur Seite gestellt bekommen haben, dürfen in Deutschland erst seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2019 an Wahlen teilnehmen. Für sie ist es also erst die zweite Bundestagswahl, die sie aktiv mitentscheiden können.
Neue Broschüre in leichter Sprache
Im Kurs wird auch die neue Broschüre des Landesbeauftragten für politische Bildung in Schleswig-Holstein verteilt. Auf 28 Seiten erklärt das Heft unter anderem, was der Bundestag macht, wie ein Stimmzettel korrekt ausgefüllt wird und was eine Demokratie ist. In leichter Sprache wir das so erklärt: "In Deutschland entscheidet nicht nur ein einziger Mensch. In Deutschland entscheiden alle Menschen mit. Denn Demokratie heißt auch: Jeder Mensch ist wichtig. Und alle Menschen sind gleich viel wert."
Laut dem stellvertretenden Landesbeauftragten für politische Bildung, Hauke Petersen, wolle man mit der Broschüre insbesondere Menschen erreichen, die Sprachbarrieren haben oder Probleme mit dem Leseverständnis haben. "Wir möchten möglichst viele Menschen in Schleswig Holstein über die anstehende Bundestagswahl informieren", so Petersen.
Wahlprogramme in leichter Sprache
Auch Parteien veröffentlichen mittlerweile ihre Wahlprogramme in leichter Sprache. Für die Bundestagswahl 2025 gibt es die Programme der CDU, der SPD, der Grünen und der Linken in leichter Sprache. Beim Politiktreff in Oldenburg kommt das gut an. Alisa Haliti sagt, früher habe sie mehr Schwierigkeiten gehabt, Politik zu verstehen: "Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten, auch in leichter Sprache und ich denke, das kann jeder verstehen. Ich finde gut, dass es das gibt." Die FDP und die AfD haben bisher kein gesondertes Programm in leichter Sprache veröffentlicht.