1974: Sprung in den Tod - die misslungene NATO-Übung
Sehestedt im Kreis Rendsburg-Eckernförde hat eine besondere Beziehung zum Nord-Ostsee-Kanal. Denn dieser geht mitten durchs Dorf. Am 11. September 1974 kommen dort sechs Soldaten bei einem NATO-Manöver ums Leben.
"Es war wie im Krieg." Hermann Kuhlmann erinnert sich noch genau an den Abend des 11. September 1974. Damals sterben sechs Fallschirmjäger aus Schottland im Nord-Ostsee-Kanal. Sie springen während des NATO-Manövers "Bold Guard" mit vielen weiteren Soldaten aus Flugzeugen ab und sollten südlich des Kanals auf einer Wiese landen. Doch der Wind treibt sie ab, direkt in den Kanal bei Sehestedt.
NATO-Länder demonstrieren Stärke
Es ist die Zeit des Kalten Krieges und der großen Militärübungen. Regelmäßig trainieren Zehntausende Soldaten den Ernstfall. Die NATO-Länder demonstrieren Stärke gegenüber dem Ostblock. September 1974: Die große Übung "Bold Guard" in Schleswig-Holstein ist schon zwei Tage in Gang. Hermann Kuhlmann ist damals 19 Jahre alt und als Soldat der Bundeswehr an der Hilfsaktion für die Fallschirmjäger beteiligt. "Dunkle Nacht, überall Suchscheinwerfer, Hubschrauber, die nach den Soldaten suchten - es war das Chaos", beschreibt er die Ereignisse, als er am Kanal eintrifft.
Sechs Soldaten kommen ums Leben
Noch früher ist Heiner Mohr am Unglücksort. Der Landwirt ist neugierig, was bei der Übung geschieht und macht sich am Abend mit zwei Freunden zu Fuß auf den Weg. "Das sah aus, als wenn Hunderte Wattebäusche vom Himmel fallen", erinnert sich der Sehestedter. Als sie über die Böschung des Kanals sehen, treiben bereits die ersten Soldaten im Wasser und rufen um Hilfe. Die Feuerwehrkameraden von Mohr sind schnell zur Stelle und ziehen einen Soldaten am Nordufer aus dem Kanal.
Für sechs Soldaten kommt jede Hilfe zu spät. Sie ertrinken trotz des sofortigen Rettungseinsatzes aller Hilfskräfte aus der Umgebung. Eine weitere Ursache für die Tragödie ist neben dem Wind auch die Beleuchtung des Kanals ein Problem. Die Soldaten sollen ihn für eine Straße gehalten haben - beides ist damals gelb beleuchtet. Das wird erst nach dem Unglück geändert.
Aus der Trauer entsteht eine Freundschaft
Die Sehestedter setzen den sechs verstorbenen Schotten einen Gedenkstein - unweit des Kanals und umrahmt von sechs Ei chen. Rita Koop trägt maßgeblich dazu bei, dass zwischen den schottischen Familien der damaligen Opfer, den Überlebenden und der Sehestedter Bevölkerung eine enge Freundschaft entsteht. Rita Koop war 40 Jahre in der Kommunalpolitik aktiv, 25 Jahre davon als Bürgermeisterin. Sie organisiert zum Jahrestag des Unglücks Unterkünfte für die schottischen Gäste. Denn diese kommen einmal im Jahr zu Besuch. "Erst haben wir uns in den Armen gelegen und getrauert und später haben wir gemeinsam gefeiert. Es ist eine Freundschaft entstanden", blickt Rita Koop zurück. Auch zum Gegenbesuch in Schottland kommt es laut Koop in regelmäßigen Abständen.
Schottisches Geschenk als Mahnmal
Diese Freundschaft lebt die nächste Generation nun weiter: Ihre Tochter und andere Sehestedter verabreden sich zum Beispiel einmal im Monat per Videochat mit den Schotten zu einem gemeinsamen Online-Whisky-Tasting. Im Sehestedter Dorfmuseum finden Besucher ein besonderes Geschenk der Schotten: die Original-Ausrüstung eines Fallschirmjägers. Die hat neben vielen anderen Zeugnissen des Unglücks von 1974 einen Ehrenplatz bekommen. Damit halten sie hier die Erinnerung aufrecht - an den Kalten Krieg, die riesigen Militärübungen - und an die Opfer.
Gedenkfeier zum 50. Jahrestag
Anlässlich des 50. Jahrestages des Unglücks fand in Sehestadt am 11. September eine Gedenkveranstaltung statt. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hielt eine Rede und gedachte der getöteten Soldaten.