Zahl der Insolvenzen in Schleswig-Holstein steigt

Stand: 18.01.2025 06:00 Uhr

Die Wirtschaft im Norden ist unter Druck - in den ersten neun Monaten 2024 ist die Zahl der Insolvenzen in Schleswig-Holstein gestiegen. Investoren für Firmen in der Krise zu finden, wird laut Experten immer schwieriger.

von Christian Lang

Der Blick ist gigantisch: Durch große Bürofenster sieht man aus dem fünften Stock direkt auf die Containerverladung im Kieler Hafen. Unten ist viel los. Oben auch. Insolvenzverwalter Reinhold Schmid-Sperber muss sich aber um die Betriebe kümmern, in denen es nicht so gut läuft. Und deren Zahl steigt laut Statistikamt deutschlandweit. Auch in Schleswig-Holstein: "75 Prozent der insolventen Betriebe können nicht mehr gerettet werden. Die Quote lag vor wenigen Monaten noch bei 25 Prozent", so Schmid-Sperber.

Insolvenzverwalter: Investoren fehlt Planungssicherheit

Der Insolvenzverwalter hat momentan keinen Blick übrig für das emsige Treiben vor seinen Fenstern. Er hat Hochkonjunktur und es wird seinen Angaben zufolge immer schwerer, potenzielle Investoren zu finden für insolvente Firmen und Betriebe. Denen fehle momentan vor allem die Planungssicherheit.

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Unsicherheit durch Politik

Die politischen Rahmenbedingungen der vergangenen Jahre waren zu wechselhaft, erzählt der Insolvenzverwalter. Durch die gestiegenen Kreditzinsen sitze das Geld zudem nicht mehr so locker. Immer seltener können strauchelnde Betriebe weitergeführt werden.

Mehr Insolvenzen zum Beispiel im Baugewerbe und der Gastronomie

Viele Branchen sind in Sorge vor einer weiteren Konjunktureintrübung. So wurden im Baugewerbe von Januar bis September 2024 etwa 25 Prozent mehr Insolvenzverfahren eröffnet als im Vorjahreszeitraum. Im Gastgewerbe stiegen die Insolvenzen um 23 Prozent, im verarbeitenden Gewerbe um 50 Prozent. Die Zahlen für die Monate Oktober bis Dezember 2024 liegen noch nicht vor.

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Gestiegene Kosten sind ein großes Problem

Gründe sind laut den Experten unter anderem die gestiegenen Kosten für Energie, Rohstoffe und Personal. Hinzu kommen die höheren Kreditzinsen nach einer langen Niedrigzinsphase. Dies mache sich gerade im Baugewerbe stark bemerkbar. Bei exportorientierten Wirtschaftszweigen - wie dem Maschinenbau oder den Kfz-Zulieferern - führte der Einbruch der Verkaufszahlen auf dem chinesischen Markt laut Statistikamt Nord zu Umsatzrückgängen im zweistelligen Bereich. Die Arbeitslosenquote in Schleswig-Holstein stieg im Dezember 2024 auf 5,9 Prozent (2023: 5,6 Prozent). Aktuell sind knapp 95.000 Menschen im Land ohne Arbeit.

Insolvenzen nicht nur durch Managementfehler

Laut Insolvenzverwalter Schmid-Sperber entstehen Insolvenzen klassischerweise durch Managementfehler. Doch momentan kämen seinen Angaben zufolge weitere Gründe hinzu. Die jahrelange Niedrigzinspolitik, sowie die finanziellen Hilfen des Bundes und der Landesregierung während der Corona-Pandemie ermöglichte es Betrieben, weiter zu existieren, auch wenn ihr Geschäftsmodell im Alltagsbetrieb nicht genug Geld in die Kasse brachte, so der Restrukturierungsexperte.

Insolvenzverwalter sieht Marktbereinigung

Er ist sich sicher: Die Beendigung der Niedrigzinsphase durch die Europäische Zentralbank änderte die Lage - nun würden die gestiegenen Kosten und Kreditzinsen zeigen, wer am Markt bestehen kann. Viele jüngere Unternehmen könnten dies nicht. Seit 20 Jahren arbeitet der Insolvenzverwalter in seinem Job. Er meint: "Nicht die aktuell gestiegene Zahl an Insolvenzen ist ungewöhnlich. Sondern die niedrigen Insolvenzzahlen der Vorjahre." Es sei also eine Art Nachholeffekt und eine Marktbereinigung.

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Verödete Innenstädte im Land - Zeugen der Wirtschaftsflaute

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Abwärtsspirale des stationären Einzelhandels

Das Ergebnis: Konsumzurückhaltung. Das ziehe die Umsätze nach unten, weiß der Verbandsvertreter. Fröhlich fordert von der neuen Bundesregierung einen drastischen Wechsel der Wirtschaftspolitik. Die Abwärtsspirale des stationären Einzelhandels solle seiner Meinung nach zum Beispiel mit Entlastung der Unternehmen von Bürokratie, Verringerung der Lohnnebenkosten und sinkenden Energiepreisen gestoppt werden. Er wirbt für längere Arbeitszeiten, um die Unternehmen wieder in Schwung zu bringen.

"Schleswig-Holstein muss erreichbarer werden"

Doch auch die Landespolitik sei gefragt. Er fordert neue Nutzungs- und Verkehrskonzepte für die Innenstädte. Verkehrsinfrastrukturprojekte - wie der Ausbau der A20 - sollten seiner Meinung nach vorangetrieben werden. "Schleswig-Holstein muss erreichbarer werden", sagt der Hauptgeschäftsführer des UV-Nord. Und verabschiedet sich. Sieben Neujahrsempfänge stehen heute noch auf seinem Programm.

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Sorgenvoller Blick in die USA

Er spricht damit aus, was die Branchen beim Blick nach China erst verwundert, dann besorgt alarmiert mit ansehen mussten. Und auch die Wirtschaftspolitik der kommenden US-Regierung werde von den Betrieben voller Sorge gesehen, sagt der Konjunkturexperte. Der Blick auf den Binnenmarkt sei auch für ihn voller Fragezeichen. Denn es wird maßgeblich auch vom Konsumverhalten der Schleswig-Holsteiner abhängen, wie es weitergeht, macht der Konjunkturforscher am Ende des Gesprächs deutlich.

Experte: Handeln, nicht resignieren

Insolvenzverwalter Schmid-Sperber steht an den großen Fenstern in seinem Büro am Hafen. Nun bekommt das rege Verladen von Containern und Gastanks am Terminal kurz seine Aufmerksamkeit. Ein Anliegen hat er noch zum Abschluss des Gesprächs: "Wenn man früh eingreift, ist die Krise eines Unternehmens eine Chance. Es kann besser aufgestellt werden." Doch viele Unternehmer kämen erst, wenn es zu spät sei. Dann könne der Betrieb oft nur schwer weitergeführt werden und wird dann abgewickelt.

Der Dominoeffekt einer Insolvenz

Die Folge fasst Schmid-Sperber als Kettenreaktion, als Dominoeffekt zusammen: Der Betrieb fällt dann als Kunde für andere Betriebe aus, hat vielleicht noch Schulden bei anderen Unternehmen. Dieses Geld müssen sie nun abschreiben. Die Zulieferer verlieren einen Kunden. Das Angebot an Dienstleistungen und Gütern schrumpft, Steuereinnahmen sinken, die Arbeitslosigkeit steigt.

Chancen auf passenden Job sinken

Eine Beobachtung gibt der Insolvenzverwalter noch mit auf den Weg: "Wir merken, dass es für freigestelltes Personal immer schwieriger wird, einen adäquaten Job zu finden", sagt Schmid-Sperber, "auch das hat sich verändert". Die Arbeiter unten im Hafen sind beschäftigt. Sprühregen legt sich auf den Fensterscheiben der Bürofenster. Der Blick nach außen wird getrübt. Und auch der Insolvenzverwalter muss nun in einen weiteren Termin.

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Schleswig-Holstein Magazin | 15.01.2025 | 19:30 Uhr

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