Windkraftausbau: Kann SH seine Ziele noch erreichen?
Ein Projektentwickler aus Heide wartet auch mal sieben Jahre, bis eine Windkraftanlage in Betrieb gehen kann. Schleswig-Holsteins Ausbauziele können bei so einem Tempo wohl nicht erreicht werden. Die Gründe: Zu wenige ausgewiesene Flächen und zu lange Genehmigungsverfahren.
In der Windkraftbranche braucht man einen langen Atem. Das stellt auch Projektentwickler Matthias Frauen aus Heide (Kreis Dithmarschen) immer wieder fest. Er steht auf einem matschigen Acker bei St. Michaleisdonn im Kreis Dithmarschen vor einer Windkraftanlage: "Der erste Projektgedanke stammt aus dem Jahre 2015. Dann wurden hier entsprechende Flächensicherungen getätigt. Und heute haben wir das Jahr 2022, also nach sieben Jahren stehen wir jetzt kurz vor der Inbetriebnahme."
Ausbauziele bei dem Tempo nicht zu erreichen
Das sei ein viel zu langer Zeitraum, sagt Frauen, vor allem angesichts der Energiekrise und der Klimaziele: "Wenn das unsere Maßgabe für die Zukunft sein soll, dann können wir die Ausbauziele, die wir in Schleswig-Holstein und auch bundesweit haben, sehr stark hinterfragen. Momentan ist das Ziel absolut nicht erreichbar, aus meiner Sicht."
Die Ausbauziele für Schleswig-Holstein stehen im Koalitionsvertrag zwischen CDU und den Grünen: 15 Gigawatt installierte Leistung bis zum Jahr 2030. Aktuell hat Schleswig-Holstein noch nicht einmal die Hälfte erreicht. Mit Stand Juli 2022 kamen die Windkraftanlagen in Betrieb zusammen auf 7,05 Gigawatt. Um das Ziel zu erreichen, müsste jedes Jahr ein Gigawatt hinzukommen. Vergangenes Jahr waren es 0,26 Gigawatt, im Jahr davor 0,13, die in Betrieb gingen.
Zu wenig Flächen und zu lange Genehmigungsverfahren
Dass zu wenig und zu langsam gebaut wird, hat laut Bundesverband Windkraft vor allem zwei Gründe: Die ausgewiesenen Flächen reichen nicht aus. Und die Genehmigungsverfahren für neue Anlagen dauern zu lange. "Klar ist, dass wir jetzt einen Turbo beim Ausbau zünden müssen", sagt Marcus Hrach, Leiter der Landesgeschäftsstelle des Bundesverbands Windenergie in Schleswig-Holstein.
In Schleswig-Holstein sind aktuell zwei Prozent der Landesfläche als Vorranggebiete für Windkraft ausgewiesen. Aber: "Nur 1,1 Prozent der Landesfläche stehen derzeit für die Bebauung mit modernen Anlagen zur Verfügung“, sagt Hrach. Die Ursache seien Beschränkungen und Abstandsregeln, die in Schleswig-Holstein gelten.
Sechs statt zehn Anlagen mit Rotor-In-Regelung
Eine davon ist die Rotor-In-Regelung: Diese besagt, dass der Rotor einer Windkraftanlage nicht über die Grenze des ausgewiesenen Vorranggebiets hinausragen darf. Also muss die Windkraftanlage zur Grenze des Gebiets immer mindestens einen Abstand der Hälfte des Rotordurchmessers haben. Dadurch werden die Flächen kleiner. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts um bis zu 60 Prozent.
Als Beispiel schaute sich das Fraunhofer-Institut Vorranggebiete in Schleswig-Holstein an, wie die beiden bei Tasdorf (Kreis Plön) östlich von Neumünster. Ohne Rotor-In-Regelung könnten dort laut den Berechnungen zehn Windkraftanlagen mit einem Rotordurchmesser von 150 Metern errichtet werden. Greift die Rotor-In-Regelung, verkleinern sich die Flächen. Der Platz reicht nur noch für sechs solcher Anlagen.
"Abstände zu Wohngebäuden bleiben unangetastet"
Die im Koalitionsvertrag angekündigte Prüfung, ob von einer Rotor-In- zu einer Rotor-Out-Regelung umgestellt werden kann, ist allerdings inzwischen zu einem Ergebnis gekommen: Die derzeitige Regel soll bleiben - obwohl das neue "Wind-an-Land-Gesetz" eigentlich von einer Rotor-Out-Planung ausgeht.
Ein Sprecher des Innenministeriums, das für die Flächenplanung zuständig ist, begründet das so: "Ein Wechsel zu Rotor-Out auf den schon ausgewiesenen Flächen würde dazu führen, dass Windenergieanlagen noch näher an Wohngebäude heranrücken dürfen." Die Landesregierung bleibe aber dabei, dass die Abstände zur Wohnbebauung unangetastet bleiben.
Außerdem heißt es aus dem Innenministerium, der Effekt wäre wegen der dichten Bebauung sowieso wenig hilfreich. Es müsse also mehr Fläche für Windkraft ausgewiesen werden, um das 15-Gigawatt-Ziel zu erreichen, knapp ein Prozent der Landesfläche zusätzlich. Die müsse gefunden und ausgewiesen werden.
Elf volle Aktenordner für ein Windrad
Als zweiten Hauptgrund für den langsamen Windkraftausbau nennt der Branchenverband zu langsame Genehmigungsverfahren und zu viel Bürokratie. Also das, was Projektplaner Matthias Frauen einen langen Atem von der Idee zum fertigen Windrad abverlangt. Dazwischen füllt das Antragspapier für eine seiner geplanten Windkraftanlagen elf Aktenordner, die bei der zuständigen Behörde, dem Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR), eingereicht werden muss.
"Wir rechnen in der Regel mit einem Jahr in einem förmlichen Verfahren, sprich mit Umweltfreundlichkeitsprüfung", sagt Frauen. Er reichte auch schon Klage ein, wenn sehr lange nichts passierte. Zahlen des Energiewendeministeriums zeigen: Im Jahr 2020 dauerte es im Schnitt 20 Monate zwischen Antragseingang und Bescheid, 2021 waren es 14 Monate und in diesem Jahr sind es bisher 16 Monate, die ein Windradbauer warten muss. Aktuell warten 377 Antragsteller auf eine Genehmigung.
"In den ersten drei Quartalen 2022 wurden 46 Prozent weniger Genehmigungen im Vergleich mit dem Jahr 2021 erteilt" sagt Marcus Hrach vom Bundesverband Windenergie. Verantwortlich für dieses langsame Tempo ist laut Hrach ein Personalmangel in den Genehmigungsbehörden.
Personalmangel in den Genehmigungsbehörden
Das Energiewendeministerium bestätigt dies: Aktuell gebe es im LLUR unbesetzte Stellen im Bereich der Genehmigungen. Insgesamt müssten mehr Menschen in diesem Bereich arbeiten, um die langen Antragsverfahren zu beschleunigen, sagt Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne): "Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, ranzugehen. Zum Beispiel, indem die Antragsteller, die die Anlagen bauen wollen, gut beraten werden. Das heißt: Wir brauchen Personal in den Genehmigungsbehörden, die das machen können." Das koste natürlich Geld, sagt Goldschmidt: "Ich erzähle natürlich nichts aus Haushaltsverhandlungen, kann aber sagen, dass die Notwendigkeit auch in der Koalition erkannt ist."
"Ein bisschen mehr Move auf allen Seiten"
Mehr Fläche, weniger Bürokratie - nur so kann also erreicht werden, was sich Schleswig-Holstein vorgenommen hat. Denn auf dem Lob, in der Windkraft Spitzenreiter zu sein, könne sich Schleswig-Holstein nicht ausruhen, sagt Hrach: "Das Problem ist , dass Schleswig-Holstein mit diesem Besser-Sein noch lange nicht gut genug ist, auch nur seine eigenen Ziele zu erreichen. Wenn sich alle Bundesländer Schleswig-Holstein zum Vorbild nehmen würden, (...) dann würde Deutschland seine Ziele nicht erreichen."
Projektplaner Matthias Frauen sagt: "Ein bisschen mehr Move auf allen Seiten wäre gut, damit wir aktuell weiterkommen. (...) Das ist die Krönung des Planungsprozesses über die vielen Jahre: Wenn man hier am Ende steht, in dem Windpark, und sieht die fertig errichtete Anlage."