Windkraft in SH: Kabinett beschließt neue Abstandsregeln
Bei neuen, größeren Windkraftanlagen können künftig in Schleswig-Holstein die Abstände zu Häusern im Verhältnis kleiner werden. Denkmal- und Artenschutz wird dann geringer gewertet. Die Abstandsregeln sind Teil der künftigen Planung für Windenergie.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und den Grünen steht ein Ziel für den Ausbau von Windkraft an Land festgeschrieben: 15 Gigawatt installierte Leistung bis zum Jahr 2030. Momentan, sieben Jahre vor diesem Ziel steht das Land bei 7,9 Gigawatt - knapp über der Hälfte. Mit den bestehenden Plänen sind zehn Gigawatt angestrebt, was für das Ziel also nicht ausreicht. Deswegen - und auch weil das Land Prozesse gegen Kläger gegen die Regionalplanung verloren hat - braucht Schleswig-Holstein eine neue Regionalplanung für den Ausbau von Windenergie.
Weniger Fläche durch Sonderregel in SH
Derzeit sind zwei Prozent der Landesfläche für die Bebauung mit Windenergie ausgewiesen. Da es in Schleswig-Holstein aber eine Sonderregelung - die Rotor-In-Regelung - gibt, bleiben am Ende nur etwa 1,1 Prozent übrig. Und damit ist das Ziel aus dem Koalitionsvertrag nicht zu erreichen. Die Rotor-In-Regelung besagt, dass die Rotorblätter einer Windkraftanlage nicht über die Grenze der ausgewiesenen Fläche hinausragen dürfen. Dadurch passen am Ende weniger Anlagen auf eine Fläche als bei der sonst in Deutschland verbreiteten Rotor-Out-Regelung.
Also muss die ausgewiesene Fläche erweitert werden - von zwei auf drei Prozent der Landesfläche. Das entspricht einer zusätzlichen Fläche von 160 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Das ist deutlich mehr als das Kieler Stadtgebiet, das sich nach Angaben der Landeshauptstadt auf knapp 119 Quadratkilometern erstreckt. "Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir deutlich stärker als bisher in Schutzbelange eingreifen, um zusätzliche Vorranggebiete auszuweisen", sagt Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). "Dafür haben wir den bisherigen Kriterienkatalog zur Auswahl der Vorrangflächen überarbeitet."
3H/5H-Regelung entfällt
Konkret heißt das: Schutzabstände zur Wohnbebauung sollen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, unverändert bleiben. Im Außenbereich müssen Vorranggebiete 400 Meter Abstand zur Wohnbebauung halten, zu Dörfern und Städten 800 bzw. 1.000 Meter. Diese Abstände sind also festgeschrieben. Was wegfällt, ist die sogenannte 3H/5H-Regelung, die derzeit regelt, dass neue Anlagen nur dann genehmigt werden, wenn sie einen Abstand von ihrer dreifachen Höhe zu allein stehenden Wohnhäusern (3H) und ihrer fünffachen Höhe zu Wohnsiedlungen (5H) haben. Größere Anlagen würden also weiter als 400 Meter von Häusern wegrücken. Mit den neuen Eckpunkten zur Windenergieplanung gilt diese Regelung dann nicht mehr. Auch größere Anlagen dürfen dann in einem Abstand von 400 Metern gebaut werden.
Weniger Schutz für Natur und Arten
Einige Kriterien des Landschafts- und Artenschutzes und des Denkmalschutzes werden außerdem geringer gewichtet. "Der Ausbau der erneuerbaren Energien steht im überragenden öffentlichen Interesse", so Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne): "Wir haben Kompromisse in der Abwägung der Schutzgüter zugunsten des Klimaschutzes gemacht." Für Naturschutz besonders bedeutsame Bereiche würden weiterhin von Windkraftanlagen freigehalten. "Klima- und Naturschutz sind zwei Seiten derselben Medaille", so Goldschmidt.
Goldschmidt: "Haben in Schleswig-Holstein Windfrieden"
"Worum wir bundesweit beneidet werden ist, dass wir in Schleswig-Holstein nahezu keine Klagen gegen die Genehmigung von Windkraftanlagen haben" sagt Minister Goldschmidt. Das habe mit der Planung zu tun und auch damit, dass sie die Schutzgüter ernst nehmen würden. Zwar seien jetzt an einigen Stellen Naturschutzkriterien verändert und abgeschwächt worden, es gebe aber immer noch einen starken Naturschutz im Land. Die, die klagen könnten, würden dies wertschätzen. "Wir haben in Schleswig-Holstein tatsächlich so etwas wie einen Windfrieden."
Konkret schließt die Koalition Landschaftsschutzgebiete bei der Ausweisung von Vorrangflächen nicht mehr pauschal aus. Den Abstand zu Wäldern passt sie abhängig von deren ökologischer Wertigkeit an. Die Schutzbereiche um Brutplätze von Großvögeln reduziert sie teilweise. Änderungen gibt es auch bei Naturschutzgebieten. Alte Windräder dürfen künftig auch außerhalb der Vorranggebiete durch neuere, leistungsstärkere Anlagen (Repowering) ersetzt werden. Öffentliche Belange oder Ziele der Raumordnung dürfen dadurch aber nicht beeinträchtigt werden.
Windenergie-Branche begrüßt Pläne
Der Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien, Marcus Hrach, lobt die Pläne: "Die schwarz-grüne Regierung hat erkannt, dass auf dem Weg zur Klimaneutralität deutlich mehr Flächen für die Windenergie benötigt werden." Somit würde Schleswig-Holstein nun auch die Vorgaben des Bundes erfüllen. Um die energiepolitischen Ziele 2030 erreichen zu können, müssten laut Hrach allerdings noch mehr bebaubare Flächen ausgewiesen werden. Die aktuell ausgewiesenen Gebiete seien bereits weitestgehend bebaut und verplant.
Windkraftgegner: Netzinfrastruktur fehlt
Windkraft-Gegner werfen Ministerpräsident Günther dagegen vor, sein Wahlversprechen gebrochen zu haben. Die Sprecherin der Initiative Vernunftkraft Schleswig-Holstein, Susanne Kirchhof, meint dazu: "Hier geht es offensichtlich nur darum, der Windbranche neue Flächen zum Bau von Windkraftanlagen zuzuschanzen, anstatt ein abgewogenes energiepolitisches Ziel zu erreichen." Es fehle die Netzinfrastruktur und genügend Speichermöglichkeiten, um mehr Energie auch tatsächlich nutzen zu können. "Das geht zulasten der Anwohner, das geht zulasten von Umwelt- und Naturschutz und Artenschutz", so Kirchhof.
Nabu kritisiert die Senkung von Abständen zu Brutgebieten
Der Naturschutzbund Schleswig-Holstein (Nabu) sieht vor allem die Seeadler und Schwarzstörche gefährdet. Die Mindestabstände sollen künftig 2.000 statt bisher 3.000 Meter betragen. Naturschutzreferent Thomas Behrend betont: "Das halten wir für inakzeptabel." Schwarzstörche seien vom Aussterben bedroht. Im Kern würden für den Nabu nach dem ersten Eindruck die Naturschutzbelange im Auge behalten werden.
BUND: Ausbau der Windkraft geht zu Lasten des Artenschutzes
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Schleswig-Holstein sieht dagegen die Belange des Artenschutzes nicht ausreichend berücksichtigt. Landesgeschäftsführer Ole Eggers sagt: "Es wird zu Lasten von Natur und Umwelt geplant." Besonders steht der auf 30 Meter verringerte Abstand zu Waldgebieten beim BUND in der Kritik. Laut Eggers werden vor allem Fledermäuse leiden, wenn in ihren Jagdgebieten Windkraftanlagen gebaut werden.
SPD fordert Interessensausgleich
Laut SPD-Energiepolitiker Marc Timmer sei der Ausbau der Windenergie der richtige Schritt - dies schließe auch die Bereitstellung weiterer Flächen sowie die Planung höherer Anlagen für mehr Ertrag ein. Jedoch müsse bedacht werden, dass künftig deutlich mehr Menschen in der Nähe von Windrädern leben würden. Da sei ein Interessensausgleich, auch in Form von Ausgleichszahlungen, angemessen.
FDP-Fraktionschef Christopher Vogt sieht in der Änderung der Abstandsregeln die Akzeptanz der Windenergie in Gefahr: "Mit dieser Planung bricht die CDU ein wichtiges Wahlversprechen", sagt Vogt. Dabei seien die Vorgaben des Bundes zweitranging, der Grund für die Neuregelung sei der Koalitionsvertrag von CDU und Grünen und die darin festgehaltenen Ausbauziele.