Vom Häftling zum Helfer
In Deutschland sind rund 4,6 Millionen Erwachsene spielsüchtig oder zeigen erste Symptome. Das geht aus dem "Glücksspiel-Atlas 2023“ hervor. Einer von ihnen ist Marco Schmidt. Sein Lebensweg ist von Sucht und Kriminalität geprägt. Jetzt will er Jugendlichen helfen.
Den 22.02.2021 wird Marco Schmidt wohl nie vergessen. An dem Tag klickten die Handschellen; ab da hieß es für ihn: "Knast". Sechs Jahre werden ihm aufgebrummt. Wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Diebstahls und Untreue. Marcos Lebenslauf liest sich bis dahin wie ein schlechter Film: Zocken, Schulden, Lügen. "Meine Verbrechen sind ein Sammelsurium aus dem Drang, Geld zu organisieren, um meine Spielsucht zu bedienen", sagt er. "Ich habe angefangen mit Identitätsdiebstählen. Habe Kreditkartendaten anderer online dafür genutzt, um Geld zu beschaffen oder Waren, um die dann zu Geld zu machen."
Schon als Teenager beklaut er den Vater
So geht es weiter, bis er irgendwann auch seinen Arbeitgeber bestiehlt, Firmengelder veruntreut. Über die Jahre häuft er so einen Schuldenberg von über 250.000 Euro an. Schon in der Jugend, vor dem eigentlichen Spielen und dem Wetten, zeigte der gelernte Sport- und Fitnesskaufmann einen problematischen Umgang mit Geld. "Mit 17, 18 Jahren habe ich regelmäßig das Portemonnaie meines Vater leer gemacht. Gecheckt hat er das nicht", sagt Marco.
Vorbelastung für die Sucht liegt offenbar in der Familie
Sein Vater sei Alkoholiker gewesen. Der Großvater auch. Nach dem Tod des Vaters stellt sich raus: auch ER war spielsüchtig. Nach dessen Tod fängt er selbst mit dem Spielen an. Um der Realität zu entfliehen und die schlechten Gefühle wegzudrücken, sagt Marco. Er ist damals 19. Im Februar 2021 fasst ihn die Polizei. Ab da tauscht er seine Wohnung gegen eine Zelle in der JVA Glasmoor ein. Am 13. September 2024 wird Marco wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen.
Noch im Gefängnis: Studium und Vereinsgründung
Um Jugendliche vor einem Lebensweg wie seinem zu bewahren, gibt Marco jetzt Präventionskurse an Schulen. "Noch im Knast habe ich angefangen, "soziale Arbeit" zu studieren und habe den Verein "Sport statt Straße" gegründet." Heute besucht der 36-Jährige an der Rosenstadtschule in Uetersen. Fünf Kids zwischen 14 und 16 Jahren machen heute mit ihm Sport. "Zum Auspowern. Und um Aggressionen abzubauen. Aber auch, um Teamwork zu lernen und aufeinander acht zu geben", erklärt Marco. Gemacht wird, worauf die Kids Bock haben. In diesem Fall werden Fußball und eine Art Football gespielt. Zusätzlich finden die Schüler hier ein offenes Ohr. "Nicht alle Kinder können oder wollen zu Hause von ihren Sorgen und Problemen erzählen. Hier bekommen sie den Raum dafür."
Marco, der Freund und Zuhörer
Und sie nutzen ihn. "Marco ist so ein lieber Mensch. Wie ein Kumpel. Der hört uns zu", sagt der 14-jährige Emil. "Ich habe hier neue Freunde gefunden und finde Marco toll. Er könnte ein Lehrer sein, aber auch ein Freund", ergänzt der 14-jährige Umut. Über Marcos kriminelle Vergangenheit und seine Zeit im Gefängnis wissen sie Bescheid. Auch das gehört zur Prävention. "Ich finde das traurig, was er alles gemacht hat. Aber er ist trotzdem so ein guter Mensch", sagt der 16-jährige Vardan. "Aber ich frage mich, warum man sowas tut. Das ist doch falsch", finden Abddulah und Umut.
Hilfe, die gut ankommt
Für das pädagogische Team der Schule war die Entscheidung, Marcos Workshop in Anspruch zu nehmen, eine leichte. "Marcos Arbeit knüpft da an, wo wir nicht mehr weiterkommen", erklärt Erzieherin Claudia Scheiba. Den Kindern ist es freigestellt, ob sie an Marcos Kurs teilnehmen oder am regulären Unterricht. Einigen Kindern haben sie die Teilnahme nahegelegt. "Weil es ihnen helfen kann", sagt die Erzieherin. Denn einige der Jugendlichen würden bereits jetzt auffälliges Verhalten zeigen. "Marcos Arbeit, der Sport, das offene Ohr: das alles sind wichtige Ergänzungen für uns."
Schweigen ist kein gutes Zeichen
1,5 Stunden rennen die Kinder durch die Sporthalle, bolzen Bälle gegen die Wand, spielen im Team. Am Ende gibts ein Feedback: Wie starten die Kinder ins Wochenende? Wie gehen sie mit den bevorstehenden Zeugnissen um? Auch hier findet jeder Gehör. Marco sagt: "Wenn die Kinder erstmal schweigen und gar nichts mehr erzählen, dann sollte das Umfeld hellhörig werden."
Das Stigma abbauen
Marco Schmidt hat es geschafft: Durch seinen Verein und sein Engagement hilft er gefährdeten Kids, leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Das Stigma abzulegen, sei eine Lebensaufgabe, sagt er. "Das, was ich hier mache, ist quasi auch meine Entschuldigung, eine Art Wiedergutmachung." Er selbst hat den Weg bisher und bis hierhin gut gemeistert. Und auch Andere können jetzt von ihm und seinem steinigen Lebensweg profitieren.