Ungerecht: Familien werden bei Renten benachteiligt
Wer viele Kinder in die Welt setzt, wird im deutschen Sozialsystem doppelt belastet: Mütter zum Beispiel müssen später Einbußen in ihrer eigenen Rente hinnehmen, weil sie nicht genug einzahlen, denn eine durchgehende Vollzeitstelle ist mit mehreren Kindern kaum zu realisieren. Und zusätzlich gibt es für die Kosten der Kindererziehung keinen vollständigen Ausgleich.
Familien wie die Meschkes aus Flensburg kennen das Problem nur zu gut. "Ich finds natürlich nicht gerecht", sagt Iris Meschke. Die Mutter von sieben Kindern ist mit Haushalt und Erziehung vollständig ausgelastet, an einen regelmäßigen Job ist nicht zu denken. "Ich mach ja hier mehr als einen Fulltime Job", berichtet sie. Sie sagt: "Die Kinder, die ich großziehe, werden später ja auch mal in die Rente einzahlen - und dass das nicht belohnt wird, ist natürlich schon schade. Es ist ja nicht so, dass wir viel Geld haben, und später dann vielleicht in Altersarmut zu geraten, das ist natürlich echt eine bittere Vorstellung."
Rentensystem stützt sich auf Kinder
Und das, obwohl sich das deutsche Rentensystem in seinen Fundamenten auf Kinder stützt. Denn Kinder sind nun mal die zukünftigen Beitragszahler. Die Diskussionen um zusätzliche Rentenpunkte in der sogenannten Mütterrente verschleiern, dass trotz der zahlreichen familienpolitischen Leistungen in Milliardenhöhe Familien weiterhin die Nettozahler des Rentensystems bleiben.
Doch viele Kinderlose halten Forderungen nach einem höheren Rentenbeitrag für diskriminierend: Die Entscheidung zur Kinderlosigkeit sei rein privat, die Erziehung von Kindern in Schule und Universität sei für die Gesellschaft zudem sehr teuer. Dass ihre Rente aber später von den Kindern der anderen bezahlt wird, das erscheint ihnen nicht diskriminierend.
Ganz im Gegenteil: Nach einem Panorama Beitrag vor wenigen Wochen beschwerten sich viele Kinderlose im Internet mit Argumenten wie diesem: "Wer zahlt eigentlich für all diese Familien das Kindergeld? Was passiert mit den Kindern der kinderreichen Familien? Diese werden meist Sozialschwache und zahlen sicherlich nicht in die Rente. Für diese künftigen Hartz-IV-ler zahlen meist die Ledigen und Kinderlosen."
Jedes Kind ist ein Geschenk für die Rentenversicherung
Doch der Sozialökonom Prof. Martin Werding von der Universität Bochum hat ausgerechnet, wie hoch der "ökonomische Wert" eines Kindes im Durchschnitt ist. Auch nach Abzug aller Vergünstigungen für Familien, wie zum Beispiel Kindergeld, oder der Anerkennung von Kindererziehungszeiten bleibt jedes Kind ein Geschenk für die Rentenversicherung. Es zahlt im Lauf seines Lebens 50.000 Euro mehr ein als es herausbekommt.
Das Bundesverfassungsgericht zwang bereits im Jahr 2001 den Gesetzgeber, für Familien mit Kindern und für Kinderlose unterschiedlich hohe Beiträge zur Pflegversicherung zu erheben. Die Benachteiligung von Familien mit Kindern wurde höchstrichterlich festgestellt. Ein höherer Beitrag für Kinderlose sei auch in anderen Teilen der Sozialversicherung zu prüfen, wies das Gericht an. Die Bundesregierung aber lehnt eine Unterscheidung von Eltern und Kinderlosen bei den Rentenbeiträgen weiter ab.
Urteile müssen umgesetzt werden
Ein Skandal, sagt Jürgen Borchert, Richter am hessischen Landessozialgericht: "Die Politik hat die schlichte Aufgabe, Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die es an Klarheit nicht fehlen lassen, umzusetzen. Und diese Urteile, die der Politik seit vielen Jahren auferlegen, die Einkommensdifferenzen zwischen Personen mit und ohne Kindern zu beheben, zugunsten der Familien, werden behandelt wie feuchter Kehricht. Und das ist ein unerträglicher Zustand, der verantwortlich ist für ein soziales Desaster, was mittlerweile mit Händen zu greifen ist." Zudem begünstige das System Kinderarmut und behindere so eine adäquate Ausbildung der künftigen Beitragszahler. Die Rente schaffe sich so quasi von selbst ab.