Übergriffe auf Einsatzkräfte: Ein Notfallsanitäter erzählt
Christian Mandel arbeitet seit 31 Jahren im Rettungsdienst. Die Vorfälle in Kiel und Lübeck, bei denen an Silvester Einsatzkräfte angegriffen wurden, überraschen ihn nicht.
Der Beginn des Jahres 2025 gestaltete sich für die Einsatzkräfte in Schleswig-Holstein ähnlich ereignisreich wie in den Jahren zuvor. Insgesamt verzeichnete die Landespolizei 712 Einsätze im Zusammenhang mit Silvesterfeierlichkeiten. Der Großteil dieser Einsätze war auf Brände zurückzuführen, vor allem Müllcontainer, die in Flammen aufgingen. Besonders erschreckend war jedoch ein Vorfall in Lübeck, bei dem zwei Feuerwehrleute durch Böller verletzt wurden. Berichten zufolge sollen mehr als 50 Personen sowohl Einsatzkräfte als auch Passanten mit Feuerwerkskörpern beschossen haben. Ein weiterer Zwischenfall ereignete sich in Kiel, wo Polizei- und Rettungskräfte bei einem Einsatz im Rahmen eines medizinischen Notfalls von rund 50 Personen an ihrer Arbeit gehindert wurden.
Christian Mandel arbeitet seit 31 Jahren für den Rettungsdienst - inzwischen als Notfallsanitäter für die Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH). Im Gespräch mit NDR 1 Welle Nord Moderatorin Miriam Pede erzählt er von seinen Erfahrungen im Einsatz.
Herr Mandel, sind Sie schon mal in so eine Situation geraten, in der es brenzlig war?
Christian Mandel: Naja, in über 30 Jahren kommen immer mal wieder Einsatzsituationen zustande, die wirklich skurril sind. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem wir einem Kind helfen wollten, das Krämpfe hatte. Der Vater hat jedoch unsere Behandlung völlig fehlinterpretiert und daraus geschlossen, wir würden dem Kind Schaden zufügen. Die Wohnung war zudem schon sehr speziell ausgestattet - mit Gittertüren. Der Vater hat uns einfach mit seinem Kind in diesem Raum eingesperrt. Das war eine Situation, mit der wir überhaupt nicht gerechnet hatten. Es war schon etwas Besonderes. Wir mussten uns darauf konzentrieren, den Patienten zu versorgen, aber durften uns auch selbst nicht aus den Augen verlieren. Letztendlich konnte die Polizei die Situation lösen, und es gab glücklicherweise keine Verletzten.
Dass muss ein mulmiges Gefühl gewesen sein. Man hat doch Angst, oder?
Mandel: Natürlich, das ist völlig verständlich. Es ist etwas, was überhaupt nicht in unser Bild passt. Wir sind da, um zu helfen. Das ist unser Auftrag. Und plötzlich werden wir behindert, bedroht oder im schlimmsten Fall sogar verletzt - durch das Fehlverhalten von Mitmenschen. Das ist für uns völlig unverständlich und schwer nachvollziehbar. Darüber sind wir schlichtweg schockiert. Es scheint, als gäbe es Menschen, die gezielt Schaden anrichten wollen, sei es durch Angriffe auf Einsatzkräfte oder durch Vandalismus an Rettungsfahrzeugen, Feuerwehr- und Polizeiwagen. Eine Spur der Verwüstung, die einfach nicht akzeptiert werden kann.
31 Jahre sind Sie nun im Rettungsdienst. Haben Sie es selbst schon erlebt, dass Sie auf einer Fahrt angegriffen oder sogar beschossen wurden? Oder haben Sie davon gehört?
Mandel: Davon gehört habe ich auf jeden Fall. Wir tauschen uns regelmäßig im Kollegium aus. Wir führen im Gesamtbetrieb auch eine Statistik über Gewaltdelikte gegen unsere Einsatzkräfte. Das ist etwas, das uns alle betrifft und wirklich schockiert. Beschossen wurde ich zum Glück noch nicht, aber ich erinnere mich an eine Bedrohungssituation mit einer Pistole. Wir hatten an einer Tür geklingelt, um zu helfen, und wurden mit einer Pistole begrüßt, die auf uns gerichtet war. Das ist ein Vorfall, der mindestens 15 Jahre zurückliegt, eher 20, aber trotzdem bleibt er präsent, besonders wenn solche Themen immer wieder diskutiert werden.
Hat sich die Zahl dieser Fälle tatsächlich erhöht, oder ist es nur das Gefühl, dass immer mehr auf Rettungskräfte losgegangen wird?
Mandel: Es ist natürlich einerseits ein Gefühl, weil solche Vorfälle auch immer wieder medial aufgearbeitet werden. Ich war viele Jahre in der Pressearbeit tätig und weiß, dass nach besonderen Ereignissen, insbesondere nach der Silvesternacht, immer wieder die Frage aufkommt: "Wie war es bei euch?" Aber es lässt sich definitiv eine Zunahme beobachten. Allein dadurch, dass die Zahl der Einsätze insgesamt steigt, gibt es natürlich auch mehr Möglichkeiten für Bedrohungssituationen. Je mehr Einsätze, desto mehr Chancen, in solche gefährlichen Situationen zu geraten. Deshalb nehmen diese Fälle leider auch zu.
Wie geht es den Einsatzkräften nach solchen Situationen, in denen plötzlich etwas Unvorhergesehenes passiert?
Mandel: Letztlich steht der medizinische Auftrag im Mittelpunkt - die Versorgung des Patienten. Aber wir dürfen uns selbst natürlich nicht aus den Augen verlieren, und das zu vereinen, erfordert eine hohe Professionalität. Es ist schon so, dass eine Situation, die einen völlig anderen Verlauf nimmt, einen auch durcheinanderbringen kann. Und in solchen Momenten gewinnt jemand, der Böses im Sinn hat, vielleicht die Oberhand. Aber wir arbeiten als Team und unterstützen uns gegenseitig. Nach einem Einsatz, der mit einer Bedrohung oder Ähnlichem verbunden war, ist es besonders wichtig, dass niemand mit dieser Erfahrung alleine bleibt. Wir sind ein starkes Kollegium und bieten uns gegenseitig Unterstützung. Über unsere psychosozialen Notfallversorgungsmechanismen können wir sicherstellen, dass niemand allein mit den psychischen Belastungen eines Einsatzes bleibt. Wenn es zu Verletzungen kommt, wird der Dienst beendet, die betroffenen Kollegen gehen nach Hause, erhalten Behandlung und werden weiter betreut. Wir lassen niemanden allein, nicht bei solchen Vorfällen und auch nicht bei normalen, aber emotional belastenden Einsätzen. Dieses Miteinander wird bei uns groß geschrieben.
Ist es so, dass man denkt: "Hauptsache, ich muss nicht in der Silvesternacht arbeiten", oder gibt es immer noch genügend Freiwillige, die sich gerne für solche Nachtschichten melden?
Mandel: Ich glaube, es gibt immer noch eine ganze Menge Kollegen, die richtig Spaß daran haben. Es ist ja nicht nur die Sorge: "Hoffentlich werde ich nicht beschossen und komme heil nach Hause", sondern auch das Gemeinschaftsgefühl, das Leben auf der Wache, die Zeit, die man miteinander verbringt. Oft gibt es Momente ohne Einsätze, in denen Kollegen zusammen essen, sich austauschen und einfach das kollegiale Miteinander genießen. Und gerade an Silvester ist das besonders. Aber ganz ehrlich, bei mir persönlich lässt der Enthusiasmus mit der Zeit etwas nach. Mit Familie, Frau und Kindern ist der Wunsch an Silvester zu arbeiten nicht mehr so groß wie vor 20 Jahren. Aber zum Glück haben wir immer wieder Kollegen, die sich gerne darauf einlassen. Und es ist beeindruckend zu sehen, mit welchem Engagement unser Team unterwegs ist. Der Auftrag zu helfen, wo es wirklich nötig ist, wird mit voller Hingabe erfüllt.
Ist es also so, dass der Zusammenhalt im Team so stark ist, dass alles, was um Sie herum passiert gemeinsam aufgefangen wird?
Ja, grundsätzlich ist das richtig. Natürlich muss man auch sehen, dass wir in der Rettungsdienst-Kooperation jährlich über 250.000 Einsätze leisten, verteilt auf fünf Kreise. Die gute Nachricht ist, dass der überwiegende Teil dieser Einsätze gut und glimpflich verläuft. Häufig sogar in einem wirklich positiven, freundlichen Miteinander mit den Patienten und deren Angehörigen. Die Situationen, über die wir hier gesprochen haben - der Teil, der Spuren hinterlässt und völlig unverständlich ist - sind glücklicherweise nur ein kleiner Teil des Gesamtbildes. Ein starkes Team ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir machen diesen Beruf aus einem tiefen Idealismus und der Freude an der Arbeit. Dem gegenüber steht das, was wir nicht verstehen können: Wenn Einsatzkräfte angegriffen, bedroht oder verletzt werden.
Das Interview führte NDR 1 Welle Nord Moderatorin Miriam Pede.