Lehrer mit 75: Warum Schleswig-Holstein auf Senioren im Unterricht setzt
In Schleswig-Holstein fehlen Lehrkräfte. Das Bildungsministerium versucht, das Problem mit mehreren Maßnahmen zu beheben. Doch um Ausfälle zu verhindern, greifen viele Schulen auf alte Hasen im Geschäft zurück.
Jörg Senkspiel ist 75 Jahre alt. Erst vor wenigen Tagen hat er sein 50-jähriges Dienstjubiläum als Lehrer gefeiert. Denn anders als die meisten seiner Kollegen, ist der pensionierte Schulleiter noch immer im Schulleben aktiv. Und das als einer von 318 im laufenden Schuljahr. "Senior-Experten" nennt die Landesregierung die ehemaligen Lehrkräfte, die im Schulbetrieb aushelfen, wenn es mal eng wird.

Drei der Seniorlehrkräfte in Schleswig-Holstein sind nach Angaben des Bildungsministeriums inzwischen 77 Jahre alt. Eine Altersgrenze für den Job gebe es nicht. Das Bildungsministerium wirbt seit mehr als zehn Jahren gezielt um Lehrkräfte im Ruhestand. Besonders gefragt sind sie in den naturwissenschaftlichen Fächern, Kunst und Musik. Aber auch im Sportbereich fehlen qualifizierte Lehrer, vor allem für den Schwimmunterricht.
Lübecker Schwimmlehrer mit 75 Jahren
Die ersten zwei Jahre seiner Pension hat Jörg Senkspiel wie viele seiner Kollegen im Ruhestand verbracht. Bis dahin war er Schulleiter an der Holstentor Realschule in Lübeck. Doch nach zwei Jahren kam eine Schule auf ihn zu und fragte, ob er beim Schwimmunterricht aushelfen könne - eine Bitte, der er gerne nachkam. "Eine einzelne Lehrkraft pro Klasse reicht nicht aus, da die Schüler auf ganz unterschiedlichen Niveaus sind. Man braucht kleine Gruppen, um effektiv unterrichten zu können," erklärt Senkspiel und meint damit den Schwimmunterricht. Für Senkspiel ist die Arbeit keine Pflicht, sondern eine Herzensangelegenheit.
"Ich war über 30 Jahre mit Herzblut Lehrer und Schulleiter. Solange es mir Spaß macht und es gebraucht wird, mache ich weiter.“ Jörg Senkspiel, Senior-Lehrkraft
"Senior-Experten" als wichtige Unterstützung für Schulen
Nicht nur Senkspiel, sondern auch seine gut 300 Senior-Kollegen in Schleswig-Holstein sind für Schulen eine große Hilfe. Ulrike Winkler, Schulleiterin der Lübecker Grundschule Schönböcken, für die auch Jörg Senkspiel arbeitet, betont die Bedeutung ihres Einsatzes: "Uns fehlt einfach der Nachwuchs. Wenn mitten im Schuljahr Lehrkräfte ausfallen, weil sie krank werden oder in Elternzeit gehen, haben wir kaum Möglichkeiten, die Lücken zu füllen. Deshalb sind wir unglaublich dankbar, dass engagierte Senior-Lehrkräfte uns unterstützen." Allerdings besetzten sie keine festen Planstellen, sondern springen als Vertretungskräfte ein. "Es geht darum, kurzfristige Engpässe zu überbrücken, damit der Unterricht nicht ausfällt", so Winkler.
Schüler freuen sich über Senior-Lehrer

Die Schülerinnen und Schüler von Jörg Senkspiel haben kein Problem mit seinem Alter. Im Gegenteil. "Man merkt überhaupt nicht, dass er schon ein bisschen älter ist", meint Ella aus der dritten Klasse der Grundschule Schönböcken. "Er ist total nett und hilfsbereit", finden auch ihre Klassenkameraden Nikolas und Alessa. Über die Unterstützung freut sich auch Schwimmlehrer-Kollegin Tina Kamke. "Ich bin im Moment die einzige, die die Schwimmlehrbefähigung an unserer Schule hat und in diesem Jahrgang haben wir 32 Kinder, 15 sind aber nur pro Lehrkraft erlaubt. Ohne Herrn Senkspiel wäre der Schwimmunterricht also nicht möglich", so die Grundschullehrerin.
Keine einfache Lösung für den Lehrermangel
So wertvoll der Einsatz von Senior-Lehrkräften ist - eine langfristige Lösung für den Lehrermangel ist er nicht. Jörg Senkspiel sieht die Politik dennoch nicht in der Verantwortung:
"Die Planstellen sind knapp und es gibt nicht mehr Lehrer. Man ist also auf zusätzliche Kräfte wie Senioren, Lehramtsstudierende oder Quereinsteiger angewiesen." Jörg Senkspiel, Senior-Lehrkraft
Erst vor wenigen Wochen hatte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) ein neues Maßnahmenpaket vorgestellt, um den Lehrkräftemangel zu beheben, inzwischen das Dritte. Das Ziel: Studienabbrüche verhindern, beispielsweise durch einen extra Studiengang für Grundschul-Mathematik. Fehler bei der Studienwahl sollen vermindert und zum Beispiel Abiturienten gezielt für ein Lehramtsstudium in Mangelfächern geworben werden. Denn obwohl fast alle der gut 20.000 Lehrkräfte-Stellen in Schleswig-Holstein in diesem Schuljahr besetzt sind, sind nicht nur voll ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer im Einsatz.
GEW: Lehrkräftemangel wird immer stärker
Zwar fehlen laut Lehrergewerkschaft GEW nicht so viele Lehrerinnen und Lehrer wie in den ostdeutschen Bundesländern. Aber der Mangel werde immer stärker, so GEW-Landesgeschäftsführer Bernd Schauer. Die Gewerkschaft schätzt, dass rund 2.500 Stellen von nicht vollständig ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden. Deshalb begrüßt sie den Einsatz der Seniorlehrkräfte. "Sie stopfen eine Lücke, die durch eine falsche Politik gerissen wird", so Schauer. Er findet, dass ein Land wie Schleswig-Holstein eigentlich genügend Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stellen müsste, die noch nicht die Altersgrenze überschritten hätten.
Doch bis auf Weiteres wird Schleswig-Holstein auf "Senior-Experten" wie Jörg Senkspiel angewiesen sein. Für ihn ist das kein Problem. Solange er gebraucht wird und es ihm Freude bereitet, will er im Schuldienst bleiben. Wie lange noch? "Ich denke von Jahr zu Jahr", sagt er. Und ergänzt mit einem Lächeln: "Wie ein Fußballtrainer - von Spiel zu Spiel."
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