So viele offene Ausbildungsstellen wie noch nie
Unternehmen ringen um Nachwuchskräfte. Auf der "PinBall" in Pinneberg werben Unternehmen mit kreativen Lösungen für betriebliche Ausbildungen.
Arda, Julian, Victoria und Celine suchen auf der Ausbildungsmesse "PinBall" in Pinneberg (Kreis Pinneberg) einen passenden Ausbildungsplatz. Für die Entscheidung, welchen Platz sie am Ende antreten werden, können sie sich Zeit lassen. Das war mal anders. Während laut Arbeitsagentur im Jahr 2012 Logistik-Unternehmen unter rund 700 Bewerbern zehn Azubis aussuchten, suchen sich nun die Auszubildenden den Betrieb aus.
Problem: Geburtenschwache Jahrgänge
Grund dafür sind vor allem die geburtenschwachen Jahrgänge und das wird sich auch in naher Zukunft nicht ändern. Bis 2035 wird Deutschland ungefähr drei Millionen Erwerbstätige weniger haben. Das geht aus einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft hervor. Und so beginnt schon jetzt der Kampf um die Nachwuchskräfte. Nach Angaben der Regionaldirektion der Arbeitsagentur in Kiel sind derzeit 15.700 Ausbildungsstellen in Schleswig-Holstein unbesetzt - ein Höchststand.
Fachkräftemangel laut Unternehmerverbänden unter Top-3-Herausforderungen
Die Folge: Es wird immer schwieriger, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Das Problem gehört nach Angaben aller großen Unternehmensverbände zu den wichtigsten Herausforderungen der Betriebe. Denn Fachkräfte müssen entweder über Zuwanderung oder betriebliche Ausbildungen kommen. 350.000 bis 450.000 ausgebildete Menschen müssten nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft jährlich zuwandern, um den beschriebenen Schwund aufzufangen. Bislang fuhr Deutschland mit der zweiten Möglichkeit, junge Menschen direkt in den Betrieben zu Fachkräften auszubilden, gut. Doch inzwischen machen nach Angaben des Arbeitgeberverbands Nordmetall nur noch zwölf Prozent der jungen Erwachsenen eine Ausbildung.
Berufs- und Azubimessen gewinnen mehr und mehr an Bedeutung
Deshalb versuchen viele Unternehmen, mit Erwachsenen unter 25 Jahren in direkten Kontakt zu kommen. Etwa auf Ausbildungsmessen wie der "PinBall" in Pinneberg, eine der größten Messen dieser Art in Schleswig-Holstein und im Raum Hamburg. Dort stellen sich 180 Unternehmen rund 2.000 Schulabgängerinnen und Schulabgängern direkt vor. In Speed-Datings, also ganz kurzen Terminen, versuchen die Unternehmen mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und stellen sich und ihre Vorzüge vor.
Attraktive Arbeitszeiten und Mitbestimmung gefragt
Das Unternehmen Tempelmann Feinwerktechnik aus Pinneberg wirbt hier beispielsweise mit einem "fast krisensicheren Job", attraktiven Arbeitszeiten im Zwei-Schicht-Modell, guter Bezahlung und viel Mitbestimmung der Mitarbeitenden. Das Unternehmen stellt Metallprodukte unter anderem für die Luft- und Raumfahrttechnik her. Firmen-Chef Hardy Tempelmann sagt, wichtig sei heute eine direkte Ansprache. "Ich bitte sie dann in unseren Raum. Dort stellen unsere Azubis unser Unternehmen, unsere Kultur, unser Klima und unsere Vorzüge vor. Das ist authentisch", so Tempelmann. Das Unternehmen hat momentan kaum Nachwuchssorgen.
Lösungen für Sonderwünsche engagierter Mitarbeiter
Marius Bull ist Personaler der Meierei Barmstedt im Kreis Pinneberg mit mehreren Hundert Beschäftigten. "Wir müssen umdenken und viel ausprobieren", erklärt Bull. Bei ihm im Betrieb gibt es ein ganz außergewöhnliches Beispiel. Ein Mitarbeiter fragte nach einem dreimonatigen bezahlten Urlaub, um auf Mallorca als Animateur arbeiten zu können. Da die Meierei den engagierten Kollegen behalten wollte, fand sie eine Lösung. "Das geht nur im Einzelfall - hier hat es funktioniert", erzählt Bull. Der Mitarbeiter hat vorab über ein halbes Jahr lang sein Arbeitszeitkonto "gefüttert". "Jetzt gehe ich ab Mai für drei Monate nach Malle. Ich freue mich riesig und bin sehr dankbar für die Unterstützung durchs Unternehmen", sagt der Mitarbeiter.
Nordmetall fordert Begegnung auf Augenhöhe
Die Unternehmen müssen nach Meinung von Alexander Luckow von Nordmetall wirklich schauen, was für sie möglich ist. "Alles geht nicht. Themen wie eine Vier-Tage-Woche sehen wir eher kritisch", so Luckow. Aber wichtig sei die Begegnung auf Augenhöhe und das gegenseitige Bemühen um Lösungen. Denn junge Menschen seien nach einer repräsentativen Studie des Metallverbandes sowie der Nordakademie in Elmshorn trotz aller Veränderungen sehr werteorientiert, fleißig und pünktlich. Unterschätzt werden allenfalls Schulnoten in Mathe, Deutsch und Englisch sowie Verdienstmöglichkeiten in der Metallbranche.
Azubis von morgen: Faire Behandlung, familiäre Umgebung und Spaß auf der Arbeit
Auf das Geld kommt es vielen Abschluss-Schülerinnen und -Schülern offenbar wirklich nicht so sehr an. Für Arda, Julian, Tim, Victoria und Celine, die auf der "PinBall" nach passenden Ausbildungsbetrieben suchen, geht es viel mehr um faire Behandlung. "Ich möchte einfach nicht wie ein Praktikant behandelt werden, sondern vernünftige Aufgaben bekommen und dann gern auch Verantwortung übernehmen", sagt Arda. Für Julian geht es um Spaß und abwechslungsreiche Arbeit und Celine sucht ein freundschaftliches, familiäres Umfeld. Wenn sie dann das Passende finden, würden sie einen Ausbildungsvertrag unterschreiben, sagen sie.