Schlafende Schönheiten: Brautkleider, die nie getragen wurden

Stand: 11.09.2024 08:48 Uhr

Was passiert mit Brautkleidern, die in Vorfreude ausgesucht worden sind, aber dann nie abgeholt wurden? Bei Festgarderobe Laue in Tellingstedt (Kreis Dithmarschen) werden sie erstmal aufbewahrt. Insgesamt schlummern dutzende Kleider in extra Schränken.

von Sofia Tchernomordik

Die Treppe, die aus dem Verkaufsraum auf die Galerie hinaufführt, knarzt bei jedem Schritt. Die dort verbauten Schränke sind aus hellem, massivem Holz. An den Rändern verzieren sie feine Windungen, die wohl ein geübter Handwerker in mühevoller Arbeit angebracht hat. Diese Schränke sind ein Mausoleum. Sie beherbergen 40 Brautkleider, die gekauft, gesteckt, angepasst und niemals abgeholt worden sind. Es ist die Ruhestätte von Schönheiten im Dornröschenschlaf.

Ein mit Rosen besetzes Brautkleid hängt in einem Kleiderschrank © NDR Foto: NDR
In diesem Schrank hängen Hochzeitskleider, die nie abgeholt wurden - teils seit vielen Jahren.

Wenn Inhaber Henning Laue die Türen öffnet, fliegt feiner Staub in die Luft. Die einst schwarzen Schutzhüllen sind mittlerweile ergraut. Einige dieser Einzelstücke hängen hier seit knapp zwei Jahrzehnten. "Wir haben normalerweise per Gesetz eine Aufbewahrungsfrist von zwei Jahren. Aber hier hängen sie alle auch darüber hinaus, weil wir sie nicht entsorgen mögen", sagt Laue.

Die Geschichten hinter den Kleidern bleiben oft unerzählt

Warum die Bräute ihre Kleider nicht abholen? Bei den meisten kann er das nur vermuten. Die Fäden ihrer Geschichten verblassen mit der Zeit. Viele Kleider wurden nicht komplett abbezahlt, die Näharbeiten schon gar nicht. Aber er hegt keinen Groll, nur die Hoffnung, dass die Besitzerinnen eines Tages die Geschichte ihres Kleides zu Ende schreiben. Und hier und da funktioniert es auch. Erst vor wenigen Wochen meldete sich eine Braut, deren Kleid Laue acht Jahre lang aufbewahrt hat. "In der Zwischenzeit hat sie drei Kinder bekommen, ihr Mann ist zur See gefahren. Sie haben schon standesamtlich geheiratet und nun soll eine große Hochzeit kommen", erinnert sich Laue. Doch die meisten Brautkleider bleiben bei ihm.

Wegen Corona sind einige Hochzeitskleider nie getragen worden

Zwei Frauen tragen weiße Brautkleider und werden beraten. © NDR Foto: NDR
So sah der Brautsaal bei Festmoden Laue 1984 aus.

Zwei Kleider nimmt er heraus und trägt sie in den Verkaufsraum. Sie haben seit Jahren kein Licht mehr gesehen. "Viele Hochzeiten sind coronabedingt ausgefallen oder verschoben worden. Dieses Kleid" - er nimmt vorsichtig ein schulterfreies, cremefarbenes Kleid aus der Verpackung - "wurde 2019 gekauft. Erst am letzten Freitag ruft uns die Braut an, ein freudiger Anruf: Die Hochzeit findet jetzt statt. Wie gut, dass wir das Kleid noch aufbewahrt haben!"

Ein Raum voller Melancholie

Der Bereich mit den "alten" Schränken ist wohl der einzige Raum auf den rund 4.000 Quadratmetern des Brautmodengeschäfts, dem eine gewisse Melancholie innewohnt. An jedem Kleid hängen ein Zettel und ein Bon. Sie stehen für Menschen, die nicht erreicht werden konnten, Telefonnummern, auf denen Anrufe nicht beantwortet wurden und Adressen, von denen die Post zurückkam.

Tellingstedt ist schon seit Jahrzehnten Anlaufpunkt für Hochzeitswillige

Die Eingangstür des Second-Hand-Ladens Laue in Tellingstedt. © NDR Foto: NDR
Die Anfänge von Laue Festmoden begründete Henning Laues Großmutter Grete: Sie führte einen Second-Hand-Laden im eigenen Schlafzimmer.

Menschen aus ganz Deutschland kommen seit Jahrzehnten zu Festmoden Laue. Vor 50 Jahren hätte Henning Laues Großmutter Grete das wohl nicht gedacht, als sie im eigenen Schlafzimmer zunächst einen Second-Hand-Laden gründete. Eigentlich war sie Landwirtin. Wegen eines Rückenleidens konnte sie nicht weiter arbeiten. Doch mit 50 Jahren wollte sie sich nicht auf die faule Haut legen. Ihr fiel da auf, dass die Frauen im Dorf immer dieselben Kleider tragen und sie wollte ein bisschen Schwung in die Bude bringen. So ging es los mit der Second-Hand-Mode. Dass daraus mal "echte" Arbeit werden würde, hätte sie sich nie gedacht. Das Schlafzimmer, in dem es losging, war gerade einmal 24 qm² groß.

"Speed-Kauf" für vergessene Kleider

Mittlerweile ist nicht nur die Fläche gewachsen. Seit 2019 ist der über Schleswig-Holstein hinaus bekannte Abend-und Brautmodenladen auch Veranstalter einer Brautmodenmesse, bei der den Angaben zufolge an einem Tag 300 zukünftige Bräute nach Tellingstedt kommen, um neue Kleider zu probieren.

Aber auch Kleider, die zu Ladenhütern geworden sind, sollen durch besondere Veranstaltungen an die Frau gebracht werden. Zum Beispiel dadurch, dass sie immer mal wieder bei speziellen Aktionen für unter 100 Euro angeboten werden. Sie hängen zusammen in einem Raum im Erdgeschoss. Der Haken: Die Bräute haben nur drei Minuten Zeit, sich für ein Exemplar zu entscheiden, ohne dass sie es anprobieren oder zurückgeben dürfen. Der Andrang ist groß.

Henning Laue wird sich nach und nach von allen alten Kleidern verabschieden. Wenn Bedarf besteht, schenkt er die ungetragenen Stücke an den Verein Sternenkinder. Dann werden aus Brautkleidern die letzten Kleidchen für Kinder. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 10.09.2024 | 19:30 Uhr

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