Rickling: Abschiebung aus Klinik nach Suizidversuch sorgt für Kritik
In Rickling ist eine Frau aus Tunesien mitten in der Nacht aus einer psychiatrischen Klinik abgeschoben worden. Flüchtlingsbeauftragte sind entsetzt. Laut Schleswig-Holsteins Sozialministerium ist rechtlich nichts schiefgelaufen.
Der Flüchtslingsbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein und die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche fordern, Abschiebungen aus Krankenhäusern zu verbieten. Anlass ist ein Fall in Rickling (Kreis Segeberg), den Dietlind Jochims von der evangelischen Nordkirche einen "Skandal" nennt. Ihr Kollege vom Land, Stefan Schmidt, sagt, er sei "entsetzt" gewesen, als er von dem Fall gehört habe, "ich habe es erst gar nicht geglaubt".
Es geht um die Nacht zu Donnerstag, in der die Tunesierin Mariem F. aus einer psychiatrischen Klinik in Rickling direkt abgeschoben wurde. Dort war sie Patientin, nachdem sie versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.
Nordkirche: Frau in Tunesien wegen Homosexualität verfolgt
Die Frau sei in Tunesien wegen ihrer Homosexualität verfolgt worden, sagt Dietlind Jochims, die den Fall an die Öffentlichkeit brachte. Der Landesverein für Innere Mission ist Träger der Klinik in Rickling. Er gehört zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche. Die 37-Jährige sei aus Tunesien zunächst nach Schweden geflohen, so Jochims. Dort wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Sie floh im vergangenen Jahr weiter nach Deutschland und war zunächst in der Landesunterkunft in Boostedt (Kreis Segeberg) untergebracht.
Polizeibeamte kommen in der Nacht in die Klinik
Doch auch in Schleswig-Holstein durfte sie nicht bleiben. Als F. erfuhr, dass sie abgeschoben werden soll, beging sie einen Suizidversuch und kam in die Klinik nach Rickling. Dort wurde die Tunesierin nun mitten in der Nacht von Polizeibeamten aufgesucht. Inzwischen befindet sie sich im Abschiebegefängnis im Süden von Schweden. Bei einer Auslieferung nach Tunesien drohe ihr "Gefahr für Leib und Leben", sagt Stefan Schmidt.
BAMF entscheidet: Schweden ist für Asylantrag zuständig
Die Entscheidung, dass Mariem F. abgeschoben wird, hat der Bund getroffen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erklärte auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein, dass bei einem Asylantrag wie im Fall von F. immer geprüft werde, ob Deutschland zuständig ist. In diesem Fall sei Schweden zuständig. Daher habe man die Überstellung angeordnet. Der konkrete Vollzug der Rückführung, so hieß es weiter, liege allerdings in Zuständigkeit der Ausländerbehörden - und damit beim Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge von Schleswig-Holstein, das für die Abschiebung zuständig ist.
Sozialministerium: Klinikaufenthalt schließt Abschiebung nicht aus
Eine Sprecherin des Sozialministeriums sagte am Freitag auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein, dass es im Fall von Mariem F. keine Anhaltspunkte gebe, dass das zuständige Landesamt rechtlichen Anforderungen nicht entsprochen hätte. Laufende medizinische Behandlungen oder der Aufenthalt in einer Klinik seien "für sich genommen noch kein Grund, von einer Abschiebung abzusehen. Sie sind vielmehr Grund, die Frage der Reisefähigkeit einer besonders sorgfältigen Prüfung zu unterziehen und ggf. durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten", so die Sprecherin weiter. Grundsätzlich gehe das Aufenthaltsgesetz davon aus, dass gesundheitliche Belange einer Abschiebung nicht entgegenstehen.
Luca Grimminger, Landessprecher der Linken in Schleswig-Holstein, nannte die Umstände der Abschiebung "unfassbar". Die Recht- und Verhältnismäßigkeit müsse untersucht werden.
Andere Bundesländer dürfen aus Kliniken offenbar nicht abschieben
Laut dem Flüchtlingsbeauftragten des Landes gibt es kein Gesetz, das Abschiebungen aus Krankenhäusern verbietet. "Aber von der menschlichen Seite ist das doch ein Selbstgänger, dass man nicht aus dem Krankenhaus gezerrt und abgeschoben wird", zeigt sich Stefan Schmidt entsetzt. "Eine psychiatrische Klinik, wo Menschen gesunden wollen, kann offenbar nicht mehr als sicherer Ort empfunden werden", ergänzt Dietlind Jochims von der Nordkirche. Sie fordert einen Erlass, wie es ihn in anderen Bundesländern gebe: Ausländerbehörden in Rheinland-Pfalz und Thüringen zum Beispiel dürften dort keine Abschiebungen aus Krankenhäusern mehr vornehmen.
Das Sozialministerium will seinen Rückführungserlass nun mit denen von Rheinland-Pfalz und Thüringen vergleichen und gegebenenfalls anpassen.