Stand: 01.09.2018 07:00 Uhr

Preetz: Hinter den Fassaden ein Stück Finnland

Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. NDR Autoren tauchen in die Stadtarchive ein. Dabei fördern sie persönliche Geschichten und historische Aufnahmen zu Tage, die teilweise in großem Kontrast zur Gegenwart stehen. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.

von Daniel Kummetz

Ein See liegt fast vor der Haustür, zum Bahnhof und in die Innenstadt dauert es zu Fuß nur zehn bis fünfzehn Minuten - es gibt große Keller, Gärten und Dachböden: Die Häuser in Preetz (Kreis Plön) zwischen Thomas-Mann-Straße und Wilhelm-Raabe-Straße sind attraktiv. Wenn sie angeboten werden, finden sich schnell Interessenten. Nach einem in die Jahre gekommenen Notquartier sieht es hier nicht aus. Und doch waren die etwa 60 Doppelhäuser der sogenannten Finnenhaussiedlung in der Nähe des Postsees während des Zweiten Weltkriegs genau das.

Siedlung © Stadtarchiv Preetz Siedlung heute © Stadtarchiv Preetz

Noch bis in die 1950er-Jahre sahen die Finnenhäuser in Preetz - wie hier am Klaus-Groth-Platz und in der Reuterstraße - von außen sehr ähnlich aus. Es fehlte den Bewohnern am Geld für Umbauten. (Mit dem Schieberegler auf diesem und den weiteren Bildern können Sie das Preetz von früher und heute vergleichen. Verschieben Sie den Regler einfach mit der Maus oder dem Finger auf Smartphone und Tablet.)

Fertighäuser gegen Munition

"Die Häuser sind im Krieg als Möglichkeit gebaut worden, die ausgebombten Kieler Werftarbeiter unterzubringen", erzählt der Preetzer Historiker und ehrenamtliche Stadtarchivar Peter Pauselius. Kiel liegt rund 20 Kilometer von Preetz entfernt. In dem von ihm verwalteten Schatz lokaler Erinnerungen finden sich einige Aufnahmen von diesem besonderen Teil seiner Heimatstadt. Die Häuser waren Ergebnis eines Deals zwischen Nazi-Deutschland und Finnland: Die Finnen lieferten im Gegenzug für Munition Fertighäuser aus Holz. Die nationalsozialistsche Regierung unter Adolf Hitler ließ sie für die strategisch wichtigen Arbeiter an Orten mit Bahn-Direktverbindung nach Kiel errichten. Das geschah nicht nur in Preetz, sondern etwa auch in Bordesholm, Flintbek (beide Kreis Rendsburg-Eckernförde) und dem Neumünsteraner Stadtteil Einfeld. Aufgebaut wurden sie auch von Zwangsarbeitern.

Bahnhofstraße © Stadtarchiv Preetz Blick auf die heutige Bahnhofstraße. © NDR Foto: Daniel Kummetz

Der Blick von der Bahnhofstraße hinunter zum Preetzer Marktplatz. 1865, ein Jahr nach der Eröffnung der Bahnstation, liegt diese noch im Grünen. Heute ist sie dicht bebaut.

Kulisse für Zarah-Leander-Film

"Das waren ganz normale Holzhäuser mit einer Klöntür als Eingang", erzählt Pauselius. "Da konnte man sich hineinstellen, die obere Klappe öffnen, um sich mit Nachbarn zu unterhalten." In jeder Haushälfte gab es vier Zimmer. Auf Fotos aus den 50er-Jahren ist noch zu sehen, dass es sich um eine Holzhaussiedlung handelt. Der Finnland-Flair überzeugte damals auch Filmproduzenten: Eine kleine Szene des Zarah-Leander-Films "Ave Maria", der in Finnland spielt, wurde in Preetz gedreht. Das würde heute nicht mehr funktionieren: In mancher Straße ist jedes zweite Haus verklinkert, die Hinweise auf die Geschichte dieser Siedlung liegen im Verborgenen, verschwinden hinter der Fassade. Es sieht aus wie in einer Nachkriegssiedlung.

Der Markplatz in Preetz um 1955. © Stadtarchiv Preetz Blick auf den heutigen Markplatz in Preetz. © NDR Foto: Daniel Kummetz

In den 1950er-Jahren gab es auf dem Markt in Preetz noch ein Hotel (rechts). Heute steht an dieser Stelle ein Supermarkt.

Zwölf Menschen in vier Zimmern

Christa Riecken und ihre Tochter Gabriele Behnke. © Daniel Kummetz/NDR Foto: Daniel Kummetz
Christa Riecken (l.) zog 1943 in ein Finnenhaus ein. Ihre Tochter Gabriele Behnke wurde in der Siedlung geboren und lebt heute dort.

Christa Riecken zog als Kind 1943 in so eine Holzhaushälfte ein - mit ihren Eltern, sechs Geschwistern und Großmutter in vier Zimmern. Ihr Vater arbeitete auf einer Kieler Werft. Die Familie war froh über die neue Bleibe. "Man war ein bisschen vom Krieg weg", sagt sie. "Wir haben vorher in Kiel gelebt, da ist man schon aufgestanden, wenn nur eine Sirene ging, und ist in den Bunker gegangen." In Preetz habe ihr Vater dann nur kontrolliert, ob nicht zufällig auf dem Rückflug von Kiel ein Flugzeug Bomben über der Siedlung abgeworfen hatte.

Riecken wird in der Siedlung das erste Mal Mutter, auch ihr Mann lebt später in dem Finnenhaus. Insgesamt sind sie dann dort zu zwölft. Anfang der 1950er zieht sie in die Obergeschoss-Wohnung am Hebbelplatz 6 - auch ein Finnenhaus. In den 1960ern, ihr drittes Kind ist gerade auf die Welt gekommen, übernimmt sie auch das Erdgeschoss.

"Man muss Geld in die Hand nehmen"

Da beginnen auch die Veränderungen im Haus. "Wir haben die Wände rausgenommen", erinnert sich Riecken. Aus den zwei Räumen im Erdgeschoss wird einer - ein Wohn- und Esszimmer. In den 1960ern verschwindet auch nach und nach die Holzhaus-Optik. Erst versuchen die Rieckens mit Platten ein bessere Isolierung hinzubekommen. Denn im Originalzustand waren die Häuser nur mit Pappe gedämmt. "Die Witterung hat diesen Platten aber auch immer zugesetzt, dann haben wir Nägel mit Köpfen gemacht und eine Mauer vorgesetzt", erinnert sich Riecken. Als 1993 ihre Tochter Gabriele Behnke das Haus mit ihrer Familie übernimmt, setzt sie die Modernisierungsarbeiten fort. "Wer ein Finnenhaus kauft, muss erstmal ein bisschen Geld in die Hand nehmen", erzählt Behnke.

Das Haus ist nun komplett verklinkert und auch im Obergeschoss ändert sich was: Behnke erneuert die Treppe, eine Küche wird zum Bad, Winkel verschwinden aus einem Zimmer, ein Giebel kommt hinzu. "Man muss eben immer was machen", sagt Behnke. Die Ideen kämen zum Teil von den Nachbarn. "Irgendeiner fängt an in der Finnenhaussiedlung und schwuppdiwupp ziehen ganz viele nach."

"Das alte Holzhaus knackt auch mal"

Anfangs geschehen diese Arbeiten ohne Auflagen. "Hier in der Siedlung hat ja jeder das, was er will", sagt Behnke. Inzwischen gibt es ein festes Regelwerk. Verklinkern gehe nun nicht mehr, bedauert Behnke. Die Stadt will den Charme der Siedlung erhalten. "Einige haben wirklich Finnenhäuser, bei denen man nicht mehr sieht, dass es ein Finnenhaus ist", findet Behnke. Vor dem Haus am Hebbelplatz steht allerdings auch wieder ein Gerüst. "Das ist unsere letzte große Baustelle: Ein isoliertes Dach", sagt sie. Alles andere sei eigentlich schon abgedichtet. Doch hundertprozentigen Erfolg gebe es nicht: "Je nachdem welchen Wind man hat, zieht es noch durch die eine oder andere Steckdose", berichtet Behnke. "Es ist halt ein altes Holzhaus. Das knackt auch mal."

Der Cathrinplatz in den 1960er Jahren © Stadtarchiv Preetz Der Cathrinplatz in den 1960er Jahren © NDR Foto: Daniel Kummetz

Der Blick vom Cathrinplatz auf die Stadtkirche: Was noch in den 1960ern eine Wiese war, ist heute Veranstaltungs- und vor allem Parkplatz.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein mittendrin | 02.09.2018 | 10:05 Uhr

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