Praxis ohne Grenzen: "Es ist fünf vor zwölf"
Noch bevor die wöchentliche Sprechstunde um 15 Uhr beginnt, sind schon die ersten Patienten da - in der Praxis ohne Grenzen in Bad Segeberg (Kreis Segeberg). Jedes Jahr versorgen Uwe Denker und sein Team bis zu 800 Menschen, die keine Krankenversicherung haben oder nicht ausreichend versichert sind. "Es ist diese ganze Armutswelle, die auf uns zukommt wie ein Tsunami", sagt der ehrenamtliche Arzt NDR Schleswig-Holstein. Oft schämten sich die Menschen dafür, dass sie wenig Geld hätten. "Der, der veramt, dem es früher mal gutging, der sagt nicht unbedingt: Mir geht es jetzt schlecht und mir muss geholfen werden."
40 Jahre lang Bauunternehmer - dann insolvent
Vor 13 Jahren gründete Denker die Praxis. Seine Patientenliste ist lang: Vom Gastronom über den Malermeister bis hin zum Ingenieur. Meist sind es Selbstständige. Und Denker stellt fest, dass auch immer mehr Mittelständler zu ihm kommen. So zählt ein Mann zu seinen Patienten, der 40 Jahre lang Bauunternehmer war, 100 Angestellte hatte - und heute insolvent ist. Aus seiner privaten Krankenversicherung kommt er nicht raus. In die gesetzliche wechseln kann er nicht, weil er älter als 55 ist. Nun zählt er zu den Menschen, die sich Beiträge und Prämien nicht leisten können. Seine Kinder zahlen die Versicherung. Der Mann ist Diabetiker, braucht jeden Monat Tabletten für mehrere Hundert Euro. Dr. Denker finanziert die Medikamente aus Spendengeldern. "Für mich ist das hochdramatisch. Es ist im Grunde genommen schon fünf vor zwölf", sagt Denker.
Notlagen-Tarif nur für extreme Fälle
Offizielle Statistiken oder Zahlen gibt es nicht. Jedoch bestätigen die Krankenkassen, dass Beitragsschulden ein großes Problem seien. "Wenn sie ihre Beiträge nicht mehr bezahlen können, dann rutschen sie in einen Notlagen-Tarif, der aber dann nur im äußersten Notfall eintritt. Also für die banalen Krankheitsdinge des Alltags tritt die Kasse nicht ein", sagt Denker.
Samariter, Bettelmönch, Don Quichote
Sieben Praxen ohne Grenzen gibt es inzwischen in Schleswig-Holstein - nach Bad Segeberger Vorbild. Im Schnitt gibt jede Praxis ohne Grenzen jedes Jahr 25.000 Euro für Medikamente aus. Das größte Problem der spendenfinanzierten Praxen sind hohe Kosten - für spezielle Behandlungen, Krankenhausaufenthalte. Zudem beklagen die Mediziner bürokratische Hürden und Versicherungslücken bei Geflüchteten. Immer wieder fährt Uwe Denker nach Berlin - zu Kongressen und Ärztetagen und zum Gesundheitsminister. "Ich habe mich gesehen als den barmherzigen Samariter, ich habe mich gesehen als Bettelmönch und ich hab mich gesehen als Don Quichote", fasst der 85-Jährige zusammen.
"Es reicht nicht aus"
"Was wir als Praxis ohne Grenzen bewirken wollen, ist, dass das Menschenrecht auf Gesundheit berücksichtigt und durchgesetzt wird", sagt er. Seine Praxis sollte eine Notlösung sein, inzwischen ist sie eine Dauereinrichtung. Seit Jahren bemüht sich Dr. Denker um eine politische Lösung. Sein Fazit: "Ich bin immer optimistisch gewesen und bleibe es immer noch. Wir haben kleine Schritte erreicht, aber es reicht nicht aus."