Photovoltaik-Anlagen schneiden Rotwild den Weg ab

Stand: 03.07.2024 16:50 Uhr

Mehr als 20 Solarparks werden derzeit in Schleswig-Holstein auf Korridoren für den Wildwechsel geplant. Naturschützer kritisieren, dass Hirsche in ihren Revieren immer stärker isoliert werden.

von Peer-Axel Kroeske

Ohne einen Zaun wird es kompliziert. Das stellt der Landwirt Axel Lamp aus Brodersby-Goltoft (Kreis Schleswig-Flensburg) gerade fest. Er will auf 30 Hektar einen Solarpark ohne Maschendraht ringsherum bauen, damit die Anlage für Wildtiere kein Hindernis darstellt. Doch die meisten Versicherungen verlangen, Photovoltaik auf dem Feld zum Schutz gegen Diebstahl und Vandalismus einzuzäunen. Wenn nicht, müssen Betreiber zumindest ein Sicherheitskonzept mit speziellen Kameras vorweisen. Diesen Aufwand betreibt kaum ein Investor.

Austausch ist genetisch notwendig

Ein Maschendrahtzaun steht vor einem Solarpark. © NDR
Hier kommt kein Hirsch mehr durch: Photovoltaikanlagen müssen umzäunt sein.

Damit ist Rothirschen einmal mehr der Weg versperrt. Die Populationen vermischen sich kaum noch. Zwar habe es noch nie so viele Tiere wie im Moment zwischen den Meeren gegeben, heißt es im Rotwild-Managementbericht. Der genetische Austausch bleibe jedoch aus. Das sei besonders problematisch, weil der Gesamtbestand im 19. Jahrhundert durch starke Bejagung auf etwa 50 Stück reduziert worden sei.

Es kommt laut Bericht daher zu Missbildungen wie etwa Verkürzungen des Unterkiefers. Frank Zabel vom Landesjagdverband hat die wichtigsten Rotwildkorridore in Schleswig-Holstein kartiert. "Die Landschaft in Schleswig-Holstein ist unheimlich stark zerschnitten", stellt er fest. Dafür sorgen schon seit Jahren Autobahnen, Bahnlinien und Siedlungen.

Kein Durchkommen auch an Autobahnen und Siedlungen

Auf einer Schleswig-Holstein-Karte ist ein Geflecht zahlreicher Wildwechsel-Korridore im Westen und Süden eingezeichnet. © NDR
Auf diesen Korridoren wandert das heimische Rotwild in Schleswig-Holstein.

Zabel liegt insbesondere das Rotwild am Herzen. Die Populationen, die im Austausch mit Dänemark stehen, befinden sich westlich der A7. Den Wildschweinzaun an der Grenze können die Hirsche meist überspringen. Sie können auch schwimmen und somit den Nord-Ostsee-Kanal überqueren. In Südholstein gibt es südlich von Neumünster zwei Wildbrücken über die Autobahn. Nur gelegentlich traut sich ein Tier, diesen Weg zu gehen. Zwischen Lübeck und Hamburg fehlen solche Querungen über A1, A20 und A24, so dass der Austausch nach Einschätzung des Experten ausbleibt.

Petition für Bauverbot an Wildwechsel-Korridoren

Weil neue Solar-Planungen nun ausgerechnet auf den verbleibenden Wildwechsel-Routen laufen, schlägt Zabel Alarm. Eine Petition an den Bundestag soll dafür sorgen, dass in den sensiblen Bereichen sämtliche Bauvorhaben untersagt werden. Der Naturschutzverband BUND unterstützt dieses Ziel. Zabel betont, dass schmale Durchgänge zwischen den Modulen vermutlich nicht ausreichen. Sie würden von den scheuen Tieren vermutlich nicht angenommen werden.

Mehr als 15.000 Unterstützende von angestrebten 25.000 hatten sich bis Anfang Juli schon eingetragen. Letztlich gehe es darum, einen bereits vorhandenen Paragrafen des Bundes-Naturschutzgesetzes für einen Biotopverbund auch tatsächlich umzusetzen, heißt es in dem Aufruf.

Neue Solarparks in sensiblen Bereichen

Eine Hand zeigt auf einem Laptop-Bildschirm. Dort sind auf einer Karte PV-Anlagen im Bereich der Wildwechsel-Korridore eingezeichnet. © NDR
Kein Durchkommen für die Hirsche droht auf einer Fläche bei Boostedt (Kreis Segeberg). Im Norden liegt eine Siedlung, im Süden ein Bundeswehrdepot. Dazwischen wollen Investoren einen Solarpark errichten.

In den Korridoren in Schleswig-Holstein liegen bereits neun bestehende Solarparks. 22 von aktuell rund 200 geplanten Photovoltaikanlagen sind nun zusätzlich in den Wildwechsel-Bereichen geplant, teilt das Landes-Innenministerium auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein mit.

Sika-Wild sollte isoliert bleiben

Ausgespart sind auf der Windwechsel-Karte die Region Angeln (Kreis Schleswig-Flensburg) und die Halbinsel Schwansen (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Dort dominiert das Sika-Wild. Diese ostasiatische Art hat allerdings keine Chance auf besonderen Schutz, weil sie hier nicht heimisch ist. In diesem Fall sieht der Rotwildmanagementbericht die Isolierung positiv: Eine Vermischung, die so genannte Hybridisierung, würde das heimische Rotwild in seinem Bestand zusätzlich gefährden.

Gemeinden entscheiden eigenständig

Der Landesverband für Erneuerbare Energien (LEE-SH) betont, er sei ausdrücklich an einem Runden Tisch zu dem Thema interessiert. Das Innenministerium betont, die Behörden müssten vor Ort abwägen, wo sie Solarparks zulassen. Letztlich komme es auf den Einzelfall an. Zahlreiche Gemeinden haben bereits Büros für Landschaftsplanung damit beauftragt, sämtliche Flächen in ihrem Gebiet auf die Eignung für Solarparks zu untersuchen. Wenn die Wildwechsel-Routen einbezogen werden, haben Bauanträge dort keine Chance mehr.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 04.07.2024 | 19:30 Uhr

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