Naturparadies Truppenübungsplatz: Das Schutzgebiet am Ostseestrand
Putlos im Kreis Ostholstein ist ein Ort der Gegensätze: Truppenübungsplatz, aber auch europäisches FFH-Schutzgebiet. Experten sprechen von einer "Arche Noah" mit landesweit einmaliger Artenvielfalt.
Ausgerechnet zwischen zwei großen Campingplätzen direkt am Ostseestrand wird an 220 Tagen im Jahr geschossen. Gleichzeitig besteht auf mehr als 90 Prozent der Landfläche des Bundeswehr-Geländes in Putlos (Kreis Ostholstein) ein sogenanntes Fauna-Flora-Habitat-Gebiet. Seltene Amphibien, Eulen, Fledermäuse, Wildbienen und andere Insekten leben hier. An Tagen, an denen nicht geschossen wird, sind deshalb immer wieder Biologen und Naturschützer zu Gast. Wegen der hohen Blindgänger-Gefahr ist das Betreten aber nur mit militärischer Sicherheits-Begleitung erlaubt.
Stiftung Naturschutz: Landschaft wie vor 100 Jahren
Detlev Kolligs von der Stiftung Naturschutz fängt Nachtfalter mit Hilfe von Lichtfallen. Er kennt das Gebiet seit 30 Jahren. "Putlos ist ein Hotspot, es gibt viele besondere Arten hier, die wir in der normalen Landschaft verloren haben. Das ist ein historischer Landschaftsausschnitt, so wie Schleswig Holstein vor ungefähr 100 Jahren ausgesehen hat", sagt er.
Ab 1935 bildeten die Nationalsozialisten in Putlos Panzerbesatzungen aus und erprobten Kriegstechnik. Nach 1945 trainierte hier die Britische Armee, 1957 übernahm die Bundeswehr. Weil in Putlos seit den 30er-Jahren keine intensive Landwirtschaft betrieben und nicht gedüngt oder gespritzt wurde, bieten die artenreichen Wiesen, Dünen und Heiden ein reiches Nahrungsangebot für Schmetterlinge, Wespen und Hummeln. Brände, Befahren oder Beschuss verhindern, dass alles von Büschen überwuchert wird. Das sogenannte "Offenland" ist Lebensraum für viele gefährdete Arten.
Biologe: Militärische Nutzung weniger schlimm als Landwirtschaft
Die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein sammelt hier seit 2011 regelmäßig Samen von vom Aussterben bedrohten, heimischen Wildpflanzen und sät sie anderswo wieder aus. Nur in der "schießfreien Zeit" kann Biologe Björn Rickert die bunt-blühenden Flächen begutachten. Sein Fazit beim Besuch im Juni: "Es ist das Paradoxon, dass eine intensive militärische Nutzung, das Schießen mit scharfer Munition, weniger schlimm ist als Landwirtschaft für die Biodiversität. Wenn man das ausblendet, was hier an Übungsbetrieb ist, wie die weltpolitische Lage dahinter ist, dann ist das einfach ein unheimlich tolles Fleckchen Erde, wo man als Naturschützer unheimlich viel sieht, was sonst einfach weg ist." Rickert soll vergleichbare Biotope auch anderswo wiederherstellen - mit einer Samen-Spende vom Truppenübungsplatz, der sogenannten "Mahdgutübertragung". Anhängerweise lässt die Stiftung Naturschutz dazu frisch gemähtes Saatgut vom Bundeswehrgelände holen und im benachbarten Nessendorf (Kreis Plön) auf einem ehemaligen Acker wieder ausbringen.
Militärische Nutzung und Naturschutz sind kein Gegensatz
Auch für Mathias Göttsche vom Fledermaus-Monitoring Schleswig-Holstein gibt es auf dem Gelände viel zu sehen und zu tun. Im uralten "Wienbergwald" auf dem Gelände bestimmt er die nachtaktiven Flugsäuger - acht verschiedene Arten leben hier. Truppenübungsplatz und Naturschutz? Für ihn kein Gegensatz. "Natürlich gibt es auch viele Störflächen und zerfahrene Bereiche und auch Munitionsbelastung, man darf das alles nicht unterschätzen. Das hat natürlich auch alles seine Schattenseiten", sagt er. "Aber für die Tiere spielt es eine große Rolle, dass der Wald nicht mehr forstlich genutzt wird."
Kleinere Brände können Platz für neue Arten schaffen
Putlos ist der einzige Truppenübungsplatz an der deutschen Küste. Regelmäßig üben hier Einheiten der Bundeswehr und 20 befreundeter Armeen, schießen mit Flugabwehrraketen, Maschinengewehren, Artillerie-Geschützen, neuerdings sogar mit Hochleistungs-Laserwaffen. Seit dem vergangenen Sommer werden hier auf ausgemusterten Gepard-Flugabwehrpanzern auch ukrainische Soldaten ausgebildet. Immer wieder kommt es bei Schießübungen zu kleineren Bränden, deshalb gibt es sogar eine eigene Stützpunkt-Feuerwehr. Aber: Schießübungen können auch neue Lebensräume schaffen, so Biologe Detlev Kolligs: "Kleinräumige, kontrollierte Brände schaffen mosaikartige Vielfalt, beseitigen die Streu, schaffen wieder Platz für neue Arten und sind auch einer der Gründe, warum militärische Übungsplätze so artenreich sind."
Seit fast 90 Jahren gibt es den Truppenübungsplatz Putlos: ohne Landwirtschaft, ohne Dünger, ohne Pestizide, ohne Tourismus - ein einmaliges Schutzgebiet am Ostseestrand.