Mobile Frauenberatung "undercover" - getarnt als Firmen-Transporter
Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Altersgruppen und Bildungsschichten, betroffen sind Frauen in Städten und auf dem Land. Ein Verein im Süden Schleswig-Holsteins hilft vor allem Frauen auf dem Land in einer als Firmenwagen getarnten mobilen Beratungsstelle.
Die Sozialarbeiterinnen nennen sich selbst "Land-Grazien" und sind in einem umgebauten Transporter auf den Dörfern und in kleineren Städten unterwegs, vor allem in den Kreisen Herzogtum Lauenburg und Stormarn. Ihr Fahrzeug ist als Firmenwagen getarnt, beschriftet mit einem unauffälligen Logo und einer Telefonnummer. Die Innenausstattung ist spartanisch, aber zweckmäßig. Die Heizung läuft, Kaffeebecher stehen auf dem Holztisch, Hängelampen sorgen für warmes Licht. Für das Beratungsgespräch mit Lea (Name geändert) hat der Transporter an einem versteckten Waldweg geparkt. Die zweifache Mutter ist mit der Sozialpädagogin Miriam Peters verabredet, um über ihre Jobsituation zu sprechen. "Ich möchte in meinen Beruf zurück, was mit zwei Kindern und Schichtdiensten schwierig ist", sagt Lea. "Da benötige ich ein bisschen Hilfe."
Lea: "Mein Ex wollte mich und meinen Sohn töten"
Vor drei Jahren, erzählt Lea, habe sie sich aus einer Beziehung mit einem Gewalttäter befreien können. "Er wollte meine Tochter entführen und mich und meinen Sohn töten". Damals bekam sie Hilfe in einer Frauenberatungsstelle, in einer Stadt nahe ihres damaligen Wohnortes. Von der mobilen Beratung im Camper hat sie auf Instagram erfahren - und ist froh über das Angebot: "Wir wohnen hier auf dem Dorf und sind nicht mobil. Da ist die mobile Beratung natürlich die beste Lösung für uns."
Viele Frauen auf "heimliche" Beratung angewiesen
Miriam Peters, 30 Jahre alt, ist Mitinitiatorin des Vereins "Frauen helfen Frauen in Sandesneben und Umgebung" und hat die spendenfinanzierte mobile Beratung mitaufgebaut. Nicht nur für Frauen wie Lea, die kein Auto haben. Denn auch Betroffene, die theoretisch mobil sind, könnten häufig eben nicht einfach in eine Frauenberatungsstelle fahren. Viele müssten den Gewalttätern erklären, wohin sie fahren und warum, sagt Peters. "Wir nehmen den Frauen die Rechenschaft, die sie gegenüber dem Mann ablegen müssten - was eventuell auch zu einem nächsten Gewaltakt zu Hause führen könnte, wenn sie es nicht tun."
Beraterinnen helfen bei Flucht und Geldfragen
Von häuslicher Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen können sich online oder telefonisch beim Verein melden. Der Transporter parkt dann je nach Bedarf auch mal auf einem Supermarktparkplatz. Die Beraterinnen helfen in der mobilen Beratungsstelle dann diskret und anonym, die Flucht zu planen und - ganz wichtig - Geldfragen zu regeln. Denn das Gefühl finanziell abhängig zu sein, ist neben Angst und Scham für viele Betroffene ein Grund, bei gewalttätigen Männern zu bleiben. Ob bei Jobcenter-Anträgen oder Besuchen beim Jugendamt, auch bei der Wohnungssuche unterstützen die Helferinnen und setzen dabei auf ihre Kontakte in der Region. Sie sorgen zum Beispiel dafür, dass die Wohnungssuchenden zunächst anonym bleiben. "Damit es nicht die Runde macht", erklärt Peters, denn: "Was würde passieren, wenn der Nachbar auf einmal klingelt und fragt: Was ist bei euch denn los? Warum sucht deine Frau denn jetzt eine Wohnung?"
Bedarf ist kaum zu bewältigen
Im vergangenen Jahr haben nach Angaben des schleswig-holsteinischen Innenministeriums landesweit knapp 4.000 Frauen Fälle von Gewalt in der Partnerschaft angezeigt. Und noch eine bedrückende offizielle Zahl: Jede vierte Frau erlebt mindestens einmal im Leben physische oder sexualisierte Gewalt in einer Beziehung. Die Dunkelziffer dürfte groß sein. Viele betroffene Frauen haben Hemmungen, über ihre Erlebnisse zu sprechen und sich helfen zu lassen. Das gilt erst recht auf dem Dorf, wo jeder jeden kennt. Umso wichtiger sei ein niedrigschwelliges Angebot wie die mobile Beratungsstelle, sagt Peters. Das Team werde von Anfragen förmlich überrannt: "Es ist kaum schaffbar. Wir sind jeden Tag mit dem Beratungsmobil unterwegs, haben im Durchschnitt pro Woche drei bis vier Erstanfragen. Es ist erschreckend."
Bald mehr mobile Frauenberatungsstellen?
Der Verein ist mit der schleswig-Holsteinischen Landesregierung im Gespräch. Es werde überlegt, im ganzen Land mobile Frauenberatungsstellen wie diese hier anzubieten, berichtet Peters. Für Betroffene in ländlichen Regionen wie Lea. Sie hat es auch mithilfe dieses Projekts geschafft, sich ein Leben ohne ihren gewalttätigen Ex-Partner aufzubauen. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, erzählt Lea. Und er weiß nicht, wo sie und ihre Kinder jetzt leben. "Uns geht es heute gut", sagt sie. "Wir haben alles einigermaßen gut verarbeitet, dank psychologischer Hilfe und guten Therapeuten. Und das Wichtigste ist: Wir leben sicher."