Kritik an Sportförderung: Top-Talente verlassen SH für die Karriere
Cornelius Jahn ist eines der Top-Talente des Schwimmsports in Deutschland. Jetzt zieht es ihn ins Ausland. Der Landessportverband in Schleswig-Holstein kritisiert: Bei der Förderung von Leistungssportlern laufe einiges schief.
Cornelius Jahn träumt von Olympia. Der Schwimmer aus Ahrensburg (Kreis Stormarn) ist 21 Jahre alt und hat die Spiele in Paris nur um eine halbe Sekunde verpasst. Viermal ist der 2,03 Meter große Sportler schon deutscher Meister geworden, in seiner Paradedisziplin, dem Rückenschwimmen. "Ich bin optimistisch, dass ich das schaffen kann", sagt Jahn. Um seinem Olympia-Traum ein Stück näher zu kommen, verlässt er in wenigen Tagen Deutschland.
Er hat ein Sportstipendium bekommen, um vier Jahre lang in den USA zu studieren. An der Ohio State University hat er sich für Wirtschaftsinformatik eingeschrieben - und will neben dem Studium auf einem Top-Niveau trainieren. "Das ist leider in Deutschland nicht auf dem Level möglich", sagt Jahn.
Viele deutsche Spitzensportler gingen in die USA
Mit seinem Schritt reiht er sich ein in eine Riege von Top-Athleten, die Deutschland den Rücken zugekehrt haben, um in den USA besser zu werden. Der Zehnkämpfer Leo Neugebauer gehört dazu, der in Paris Silber gewonnen hat. Die Sprinterin Gina Lückenkemper, die Europameisterin geworden ist. Oder der Pinneberger Schwimmer Jacob Heidtmann, vielfacher Medaillengewinner bei deutschen Meisterschaften.
"Das kann ein großer Karriereschritt für ihn sein", sagt Tobias Müller, Cornelius Jahns langjähriger Trainer, über die Entscheidung seines Schützlings. Das Trainingssystem in den USA funktioniere grundsätzlich anders als in Deutschland. Die Leistungsdichte an den Colleges sei enorm hoch; die Teams der Universitäten würden zweiwöchentlich in Wettbewerben gegeneinander antreten, die Athleten müssten ständig performen, würden permanent unter Strom stehen.
Deutsche Sportförderung in der Kritik
"Ich wünsche ihm das Beste, ich habe ein gutes Gefühl", sagt der Trainer. Er traue Jahn zu, sich für die nächsten olympischen Spiele zu qualifizieren. Allerdings meint Müller auch: Der Gang in die USA sei kein Garant für Erfolg. "Ich hatte Sportler, die in den USA sehr, sehr erfolgreich wurden. Aber auch solche, die es da nicht geschafft haben, weil das Trainingssystem für sie nicht gepasst hat." Letztlich müsse jeder Athlet diese Entscheidung sorgfältig abwägen und individuell treffen.
Klar ist: Jahns Ankündigung, Deutschland zu verlassen, kommt für Beobachter nicht überraschend. Die deutsche Sportförderung steht immer wieder in der Kritik. Zwar ist die Fördersumme in den vergangenen Jahren immer weiter angestiegen: 300 Millionen Euro investierte das Bundesinnenministerium zuletzt in den Leistungssport. Aber: Das System sei zu starr und bürokratisch, kritisiert der Landessportverband Schleswig-Holstein (LSV).
Landessportverband: Viel Talent geht verloren
"Die Rahmenbedingungen an einer Uni in den USA sind halt ganz anders als bei uns. Da wird alles für die Athletinnen und Athleten getan", sagt Thomas Behr, der als LSV-Geschäftsführer den Bereich Leistungssport verantwortet. In Deutschland müssten sich Sportler und Verbände mit zahlreichen Regularien und Fördertöpfen herumschlagen: Behördengänge machen, Anträge einreichen, Gelder einholen - das sei für alle Beteiligten ein enormer Aufwand. In den USA dagegen laufe die Förderung oft auch über Sponsoren und private Investoren.
Nach Corona kamen viele Ehrenamtlichen nicht wieder
Es gehe ihm dabei aber nicht nur ums Geld, sagt Behr. Er sei besorgt, dass in Deutschland viele potenzielle Nachwuchstalente gar nicht entdeckt würden. "Wir brauchen mehr Sportunterricht an den Grundschulen durch qualifizierte Lehrkräfte", fordert der Verbandsfunktionär. "Sonst wird das nicht besser werden in den nächsten Jahren." Außerdem fehle es in Sportvereinen an Übungsleitern und Trainern. Viele hätten ihr Ehrenamt während der Corona-Pandemie aufgegeben und danach nicht wieder aufgenommen. Dieser Personalmangel könne dazu führen, dass besonders leistungsstarke Kinder unter Umständen nicht ausreichend gefördert würden, befürchtet Behr. "Da geht uns viel Talent verloren."
Der Ahrensburger Schwimmer Cornelius Jahn sagt, er freue sich auf die Zeit in den USA. "Ich bin sehr aufgeregt, weil das eine Erfahrung ist, die ich schon lange machen möchte." In wenigen Tagen wird er ins Flugzeug steigen und sein altes Umfeld hinter sich lassen. Für seinen Traum von Olympia.