Kolumne: Freude schenken - ohne Gegenleistung
Unerwartete Gesten der Freundlichkeit können unseren Alltag aufhellen - doch warum tun wir uns damit so schwer? Unsere Kolumnistin fragt sich, ob es nicht an der Zeit ist, mehr dieser kleiner Nettigkeiten bewusst zu verteilen - und zu lernen, sie anzunehmen.
Erst vergangene Woche wieder: ich war auf dem Weg zur Arbeit, als ich bemerkte, dass mein Fahrradreifen platt war. In der Hektik der morgendlichen Rushhour versuchte ich verzweifelt, ihn selbst zu flicken, als plötzlich ein Fremder neben mir anhielt. "Soll ich helfen?", fragte er freundlich. Ohne groß nachzudenken, schüttelte ich den Kopf. "Nein, danke, das kriege ich schon hin", sagte ich, obwohl ich keine Ahnung von dem Flickzeug hatte. Minuten später, als ich immer noch erfolglos an dem Reifen herumbastelte, fragte ich mich, warum ich das Angebot so reflexartig abgelehnt hatte.
Das Geben und Nehmen von Freundlichkeit
Diese Szene blieb mir den ganzen Tag im Kopf. Warum war es mir so schwer gefallen, eine einfache Hilfe anzunehmen? Es war doch nichts dabei, jemanden freundlich zur Hand gehen zu lassen oder selbst Unterstützung zu erhalten. Und dennoch merkte ich, wie tief in mir diese automatische Abwehrhaltung verwurzelt war. Vielleicht, weil wir es gewohnt sind, unser Leben selbst zu meistern, unabhängig und stark zu wirken - auch wenn das manchmal auf Kosten von wertvollen Momenten der Verbundenheit geht. In den folgenden Stunden dachte ich immer wieder über diese Dynamik nach - über das Geben und Nehmen von Freundlichkeit.
Heißt Hilfe annehmen, dass wir nicht alles alleine schaffen können?
Das Verteilen kleiner Nettigkeiten ohne Gegenleistung zu erwarten ist übrigens ein Trend. Random acts of kindness nennt er sich und kommt aus den USA. Er beschreibt eben diese Gesten, die oft so klein und beiläufig sind, dass sie schnell übersehen oder abgelehnt werden. Eigentlich selbstverständlich, aber in Zeiten von zunehmender sozialer Isolierung immer seltener. Ich habe zumindest die Ahnung zu verstehen, dass es uns manchmal schwerfällt, sie zu empfangen, weil es uns verletzlich macht. Wenn wir Hilfe annehmen, geben wir zu, dass wir nicht alles alleine schaffen können. Und vielleicht fällt genau das uns so schwer.
Miteinander im Regen - nicht mehr nur nebeneinander
Vor ein paar Tagen ergab sich erneut eine solche Situation. Ich stand an einer regnerischen Bushaltestelle, als eine ältere Frau neben mir Schutz suchte, klatschnass und ohne Regenschirm. Ohne groß zu überlegen, hielt ich ihr meinen Schirm hin. Sie zögerte zuerst, schaute mich verwundert an - und nahm dann dankbar an. Wir standen schweigend nebeneinander, doch dieser kurze Moment der geteilten Menschlichkeit blieb mir im Gedächtnis. Ihre anfängliche Zurückhaltung spiegelte genau das wider, was auch mir oft passiert: die Schwierigkeit, Hilfe anzunehmen, selbst wenn sie direkt vor uns steht.
Und genau hier liegt der Schlüssel: Freundlichkeit ist nicht nur ein Geschenk, das man gibt, sondern auch eines, das man empfängt. Wir alle haben die Fähigkeit, ein bisschen Licht in den Alltag anderer zu bringen. Und oft braucht es dafür nicht mehr als einen kleinen, unerwarteten Akt der Freundlichkeit - und die Offenheit, ihn auch anzunehmen.