JVA Neumünster: Vätergruppe entwickelt eigenes Kinderbuch

Stand: 11.10.2023 16:44 Uhr

Vater in Haft zu sein, stellt die Familie vor besondere Herausforderungen. In ihrem Buch "Eine lange Zeit - wenn Papa im Gefängnis ist" teilen die Insassen ihre Geschichte mit ihren Kindern.

von Marina Heller

Regen und Wind läuten die dunkle Jahreszeit ein. Die Feiertage am Jahresende zeichnen sich schon langsam ab. Für viele Menschen ist es eine Zeit der Versöhnung und des Wiedersehens. Doch für die Väter des Buchprojektes "Eine lange Zeit - wenn Papa im Gefängnis ist" steht ein Weihnachtsfest ohne Familie in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Neumünster bevor. Seit 15 Monaten treffen sich die 14 inhaftierten Väter regelmäßig. Sie beraten gemeinsam mit Diplom-Psychologin Eva Hildebrandt darüber, wie sie ihren Kindern am besten erklären können, warum Papa nicht an besonderen Anlässen teilnehmen kann und an Feiertagen nicht zuhause ist. Dabei ist die Idee eines Kinderbuchs entstanden. Finanziert wird das Projekt von der Diakonie Altholstein, die mit zwölf Therapeuten das Projekt begleitet.

"In der Vätergruppe haben wir uns intensiv damit auseinandergesetzt, welche Fragen Kinder über Haft haben könnten und welche Informationen sie benötigen, um das Konzept des Gefängnis zu verstehen. Dieses Buch ist das Produkt unserer Überlegungen", erklärt Hildebrandt.

Die Gruppe war sich nicht immer über den Inhalt einig

So können die Informationen kindgerecht aufgearbeitet werden. Im Projekt stellen sich die Insassen ihren Gefühlen und können sich so auf ein Leben mit ihren Familien nach dem Vollzug vorbereiten. Bei den Treffen entstanden die Ideen für die Geschichte. Dabei geht es um die kleine Kim. Ihr Vater sitzt im Gefängnis und kommt nicht mehr nach Hause. Sie lernt, dass ihr Papa kein schlechter Mensch ist. Er hat etwas Verbotenes getan und muss deshalb in eine Art Hausarrest absitzen. Eine kleine Taube erzählt dann aus ihrer Sicht, wie der Alltag im Gefängnis abläuft.

Ein schmaler Gang führt an den Türen der 400 Haftzellen der Justizvollzugsanstalt in Neumünster vorbei. © NDR Foto: Marina Heller
Hinter den Türen der 400 Haftzellen der JVA Neumünster entstand die Geschichte.

Diese weiße Taube, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, hatte aber immer wieder für Diskussionen innerhalb der Gruppe gesorgt. "Für mich ist die Taube ein christliches Symbol, mit dem ich nichts anfangen konnte. Diese Konflikte friedlich zu lösen, haben mir viel über mich selbst beigebracht", erzählt uns Alban, der jetzt voller Stolz das Buch in seinen Händen hält. Alban sitzt wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz seit drei Jahren in der JVA Neumünster. Zuhause warten seine Frau und seine vierjährige Tochter auf ihn. "Mir hat das Projekt dabei geholfen, meine eigenen Emotionen zu verarbeiten. Zum Schluss konnte ich mich mit der weißen Taube identifizieren. Ich wäre gerne frei wie sie und würde ins Kinderzimmer meiner Tochter fliegen, um ihr jeden Tag zu erzählen, was ich erlebt habe", sagt er.

Gefängnisinsassen sind stolz auf das Projekt

"Am Anfang habe ich nicht an den Erfolg des Kinderbuches geglaubt. Darum bin ich jetzt stolz, dass wir es gemeinsam geschafft haben", erzählt Alban weiter. Er war gemeinsam mit anderen Insassen für den Inhalt der Geschichte verantwortlich. Auch der dreifache Vater Ünal hat in dem Projekt einen Weg gefunden, seinen Kindern zu erklären, warum er nicht zuhause sein kann. "Ich habe meinem vierjährigen Sohn bisher immer erzählt, dass ich hier arbeiten würde. Das Buch hilft mir dabei, ihm die Wahrheit zu sagen." Außerdem habe ihm die gemeinsame Arbeit das Gefühl gegeben, etwas geschafft zu haben. "So ein Gefühl ist im Gefängnis etwas Besonderes", erzählt Ünal, der die Bilder für das Kinderbuch zeichnete.

Unterstützung auch für die Familien

Gesa Kitschke vom Diakonie Verband Schleswig-Holstein leitet gemeinsam mit Diplom Psychologin Eva Hildebrandt und zwölf weiteren Therapeuten das Projekt. © NDR Foto: Marina Heller
Gesa Kitschke vom Diakonie Verband Schleswig-Holstein leitet gemeinsam mit Diplom-Psychologin Eva Hildebrandt und zwölf weiteren Therapeuten das Projekt.

Gerade für die Frauen und Kinder der Inhaftierten ist der Aufenthalt ihres Mannes oder Vaters im Gefängnis belastend. Deshalb finden seit 15 Jahren in den Räumlichkeiten der JVA in Neumünster Familienberatungen statt. Schleswig-Holstein ist mit diesem Projekt, das im Strafvollzugsgesetz des Landes verankert ist, ein Vorbild für ganz Deutschland. Das Team der Diakonie Altholstein bietet Familien und Insassen Hilfestellungen und Beratungen an, um mit der Situation nicht alleine zu sein.

"Uns ist es wichtig, dass wir die Familien nicht im Regen stehen lassen", sagt Gesa Kitschke von der Diakonie Altholstein. Oft stünden die Familien vor vielen Herausforderungen wie beispielsweise finanziellen Problemen. "Wir versuchen, die Probleme gemeinsam anzugehen und eine Lösung zu finden."

Erste Auflage mit 100 Büchern

Alle Beteiligten freuen sich auf das Feedback und die Reaktionen der Ehefrauen und der Kinder. Sie hoffen, dass die Kinder durch das Buch besser verstehen können, warum ihr Vater nicht bei ihnen sein kann und wichtige Ereignisse nicht mit ihnen teilt. "Wir haben eine Auflage von 100 Büchern drucken lassen, die wir jetzt an die Väter und ihre Familien austeilen. Den Rest werden wir in Zukunft in der Vätergruppe für Neuzugänge als Schulungsmaterial einsetzen", so Merle Koch, Pressesprecherin der Diakonie Altholstein.

Gerade für die Kleinsten sei es schwierig, ohne Vater aufzuwachsen. Mithilfe des Buches könnten sie spielerisch den Umgang mit der Situation lernen und sich auf die Zeit nach der Freilassung freuen, in der sie wieder eine richtige Familie sein können.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 10.10.2023 | 19:30 Uhr

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