Der letzte Arbeitstag: Abschied eines Gefängnisseelsorgers

Stand: 15.04.2023 05:00 Uhr

Der katholische Gefängnisseelsorger Frank Hattwig hatte mehr als 20 Jahre lang ein offenes Ohr für die Gefangenen in den Justizvollzugsanstalten in Schleswig-Holstein. Diese Woche war sein letzter Arbeitstag in der JVA Kiel.

von Alexandra Bauer

Eigentlich ist noch einiges zu tun, bevor der Diplom-Theologe ein letztes Mal zur Arbeit in die Justizvollzugsanstalt in Kiel geht. Trotzdem nimmt er sich an diesem regnerischen Spätnachmittag Zeit. Mit einer Zigarette im Mund wartet er unter einem Dachvorsprung des Erzbischöflichen Amts in Kiel und schaut in den grauen Apriltag. Im Rampenlicht steht er nicht gerne. Mehr als 20 Jahre lang war Frank Hattwig katholischer Seelsorger für Inhaftierte im ganzen Land. Nach seinem Theologiestudium hat er eine dreijährige Zusatzausbildung als Seelsorger gemacht. Zuletzt hat er in der Jugendanstalt Schleswig und der Justizvollzugsanstalt in Kiel gearbeitet.

Gespräche über Haft, Familie und Gewalt

Den Gefangenen hat er immer wieder zugehört, Mut zugesprochen und versucht ihnen die Sorgen zu nehmen. Regelmäßig hat er für sie Gottesdienste ausgerichtet. In den Tausenden Einzel- und Gruppengesprächen, die er geführt hat, ging es um verschiedene Themen: die anstrengenden Haftbedingungen, wenn Gefangene gewalttätig wurden, sich durch Sanktionen ungerecht behandelt fühlten, oder auch, wenn es Ärger mit Angehörigen gab. "Wenn eine Frau draußen mit ihren Kindern alleine lebt, weil der Partner inhaftiert ist, steht sie mit allen Problemen alleine da. Das führt unweigerlich zu Konflikten", so Hattwig. Außerdem gebe es auch immer mal wieder Gefangene, die Lust haben über den Glauben zu sprechen. Das sei aber keine Massenbewegung, sagt der katholische Seelsorger schmunzelnd.

Psychische Erkrankungen nehmen zu

Frank Hattwig steht vor der JVA in Kiel und blickt in die Kamera © NDR Foto: Alexandra Bauer
Einen Nachfolger für Gefängnisseelsorger Frank Hattwig gibt es noch nicht. Man müsse Lust haben, mit diesem besonderen Klientel umzugehen und das sei nicht für jeden was, sagt Hattwig.

In den letzten paar Jahren habe die Anzahl psychich erkrankter Inhaftierter zugenommen, sagt er. Auch die Drogenproblematik, die mit psychischen Erkrankungen oft einhergeht, habe sich über die Jahre verschärft. Dazu kommen Menschen aus anderen Kulturkreisen, die Krieg und Flucht erlebt haben, bei denen der Freiheitsentzug eine Traumatisierung mit schlimmen Auswirkungen auslösen könne, sagt der katholische Seelsorger. Für die Arbeit im Gefängnis sei das ziemlich bedrückend. Seelsorgliche Gespräche seien mit schwerst psychisch Erkrankten nur schwer möglich, schildert Hattwig, "weil sie Gedankengänge nicht vollenden können und sehr sprunghaft sind". Trotzdem kann menschliche Zuwendung helfen, damit sie sich beruhigen. In der Justizvollzugsanstalt Neumünster gäbe es eine psychiatrische Station, in die Inhaftierte mit psychischen Problemen freiwillig gehen könnten. Doch nicht alle wollen dort hin, schildert Hattwig. Mit psychisch schwerst Erkrankten menschlich umzugehen, wenn sie aggressiv und unberechenbar werden und suizidgefährdet sind, sei nicht einfach und für alle Beteiligten schwer.

Viele Inhaftierte mit schwerer Kindheit

Nach mehr als zwei Jahrzehnten Berufserfahrung ähneln sich die Erzählungen der Gefangenen, schildert Frank Hattwig. Immer wieder berichten die Inhaftierten von ähnlichen Mustern: Zum Beispiel von einer Kindheit mit Eltern, die nicht die Fähigkeit hatten, sich um ihre Kinder zu kümmern und von Kindern, die deswegen in Heimen oder Pflegefamilien groß wurden. Menschen, die deswegen immer wieder Probleme bekommen und früh mit Drogen und Alkohol in Berührung kommen. Oft kann er den Gefangenen nicht helfen. Viele schaffen es nicht, nach ihrer Haft einen guten Weg zu gehen. Das sei frustrierend. Doch auch solche Menschen dürfe man nicht aufgeben. Denn es gebe immer wieder die Chance eines Neuanfangs, sagt Hattwig. Vor allem bei Inhaftierten, die kürzer in der Haftanstalt sind und schnell wieder rauskommen.

Inhaftierte müssen mit der Schuld weiterleben

Auch die Frage der Schuld hat den Seelsorger in den vielen Gesprächen mit Gefangenen sehr beschäftigt: "Wenn jemand einen anderen Menschen umgebracht hat, ist das unwiederbringlich. Man kann nichts mehr gut machen". Und mit dieser Schuld umzugehen und trotzdem weiter leben zu können, das sei eine große Herausforderung. Trotzdem mache es keinen Sinn, dass ein Mensch an dieser Schuld zerbricht, sagt Hattwig. Deshalb rät er Inhaftierten, soziale Verantwortung zu übernehmen und anderen Menschen etwas Gutes zu tun - als eine Art Wiedergutmachung, auch wenn es diese persönliche Wiedergutmachung nicht geben kann, weil das Leben nicht mehr da ist. Trotz der vielen menschlichen Abgründe mit denen Hattwig jahrelang zu tun hatte, ist es ihm gut gelungen, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen, sagt er. Für die Zukunft wünscht sich der Seelsorger mehr aufsuchende Sozialarbeit. Denn manche Menschen, die obdachlos, sowie körperlich und seelisch beeinträchtigt sind, seien so weit abgesackt, dass sie keine Kraft mehr hätten, eigenständig Beratungsstellen aufzusuchen.

Sein letzter Gottesdienst in der Justizvollzugsanstalt Kiel

Diese Woche hat der Diplom-Theologe ein letztes Mal in der Justizvollzugsanstalt in Kiel einen Gottesdienst gefeiert und mit den Gefangenen gesungen. Die Gottesdienste behält er in guter Erinnerung. Sogar inhaftierte Jugendliche haben sich darauf eingelassen und sind den damit verbundenen Ritualen, wie das Anzünden einer Kerze für ihre Liebsten, mit Respekt und Achtung begegnet. Das habe sein Glaubensleben geprägt, sagt Hattwig. Immer mal wieder gäbe es Menschen, die sich nach der Haft bei ihm melden und sich für seine Gespräche und seine Gottesdienste bedanken. Den Menschen beizustehen, die es schwer haben im Leben, das habe ihn an dem Job gereizt. Einen Nachfolger für ihn gibt es noch nicht. Und die Suche sei auch nicht einfach. Man müsse Lust haben, mit diesem besonderen Klientel umzugehen und das sei nicht für jeden was, sagt der Seelsorger.

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 13.04.2023 | 19:30 Uhr

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