Grundfos-Aus in Wahlstedt: Eine Kleinstadt am Scheideweg
Mehr als 500 Angestellte verlieren bei Grundfos in Wahlstedt ihre Jobs. Das hat auch für die Stadt massive Auswirkungen. Belegschaft und Stadt stellen jetzt die Weichen für ihre Zukunft.
"Ich bin echt keine Heulsuse", sagt Sylvia und blickt auf ihren Noch-Arbeitsort. "Aber als wir erfahren haben, dass Grundfos geht, da kamen mir echt die Tränen. Da war ich fassungslos." Rund acht Monate ist das mittlerweile her. Der dänische Pumpenhersteller Grundfos hat bekanntgegeben, den Standort in Wahlstedt (Kreis Segeberg) nach mehr als 60 Jahren zu schließen und die Arbeitsplätze bis Ende 2026 nach Osteuropa zu verlagern. Den Schock hat Sylvia noch immer nicht wirklich verdaut.
"Heute in meiner Schicht war es wieder ganz komisch. Es läuft zwar alles irgendwie normal, aber ständig ist der Gedanke da: Die Leute um mich rum sind seit 24 Jahren meine Kollegen, irgendwie auch meine Familie geworden. Und bald ist das alles vorbei." Sylvia, Mitarbeiterin bei Grundfos
Grundfos-Aus erschüttert die Stadt
Neben Sylvia verlieren bei Grundfos in Wahlstedt mehr als 500 weitere Angestellte ihre Jobs. Für die meisten von ihnen, erzählt Sylvia, ist noch völlig unklar, wie es für sie danach weitergeht. Und auch für die Kleinstadt Wahlstedt mit ihren rund 10.000 Einwohnern droht nach dem Aus von Grundfos eine Reise ins Ungewisse. Rund ein Viertel aller Industriearbeitsplätze in Wahlstedt gehen verloren - und mit dem umsatzstarken Unternehmen Grundfos auch ein bedeutender Teil der Gewerbesteuereinnahmen der Stadt. "Das ist schon ein herber Schlag ins Kontor der Finanzen unserer Stadt", drückt es Wolfgang Lippke von der Wählergemeinschaft der Unabhängigen Kommunalpolitiker/innen Wahlstedt (UKW) aus.
Er ist seit 25 Jahren Vorsitzender im Wirtschaftsausschuss von Wahlstedt. "Dann werden wir uns genau überlegen müssen, welche Projekte wir noch umsetzen können." Was die Stadt bisher mit eigenen Mitteln bezahlen konnte, müsse in Zukunft womöglich mit höheren Schulden finanziert werden oder ganz wegfallen. Ein konkretes Beispiel sei etwa der Umbau der Grundschulen in Wahlstedt. Ab dem Schuljahr 2026/27 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung ihrer Kinder. "Und dafür müssen die Klassenzimmer umgestaltet werden. Es braucht Gruppenräume, Zimmer zur Einzelbetreuung und so weiter. Da haben wir schonmal die ersten Schätzungen eingeholt und das ist gewaltig", sagt Lippke.
Für Wahlstedt geht es nicht nur ums Geld
Andere städtische Infrastrukturprojekte, die bisher teilweise aus den Gewerbesteuereinnahmen finanziert worden sind, reichen von Sportplätzen, Straßenbau und Schwimmbädern bis hin zum gerade sanierten "Kleinen Theater am Markt". Das allein habe mehr als vier Millionen Euro gekostet, so Lippke. Und nicht nur die Gewerbesteuereinnahmen durch Grundfos werden wegfallen. "Die ganzen Zuliefererfirmen verlieren ja auch Aufträge und machen weniger Umsatz", fürchtet Lippke und sorgt sich außerdem um den temporären Kaufkraftverlust der Grundfos-Angestellten: "Wer weniger Geld hat, kann auch weniger Geld in Geschäften ausgeben."
Das Aus von Grundfos in Wahlstedt wird sich aber wahrscheinlich nicht nur finanziell bemerkbar machen. Das Unternehmen kooperiert eng mit der Poul-Due-Jensen-Schule, die nach dem Gründer von Grundfos benannt ist. Berufsorientierungstage und Ausbildungsmöglichkeiten fallen weg. Wie es mit der beliebten Sportveranstaltung "Niels-Due-Jensen-Cup" - benannt nach dem Sohn des Gründers - weitergeht, ist offen. Und auch, ob das Grundfos-Aus einen Einfluss auf die Städtepartnerschaft Wahlstedts mit dem dänischen Bjerringbro - dort ist die Firma Grundfos beheimatet - haben wird, ist unklar.
Grundfos nicht pleite - und trotzdem weg aus Wahlstedt
"Das ist so, als würde man der Stadt einen Teil der Organe rausreißen", sagt Wolfgang Lippke. Einen so großen Einschnitt in das Stadtleben habe er noch nicht erlebt. Und sowohl für die Stadt als auch für die Mitarbeitenden kam das Aus von Grundfos völlig überraschend. Die drei letzten veröffentlichten Jahresabschlüsse für die Jahre 2019 bis 2021 weisen zusammengerechnet einen Gewinn nach Steuern von knapp 13 Millionen Euro aus. Auf NDR Anfrage begründet Grundfos die Standortverlagerung nach Serbien und Ungarn jedoch damit, eine "langfristige Wettbewerbsfähigkeit" sicherstellen zu wollen.
Regionalökonomin: Bund und Land hätten mehr tun müssen
Für Industrieunternehmen werden Standortverlagerungen ins Ausland immer attraktiver. Das liegt auch an Versäumnissen der Politik in den vergangenen Jahren, sagt Regionalökonomin Prof. Annekatrin Niebuhr von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Sie ist der Meinung, dass es mehr Investitionen in die Infrastruktur geben hätte müssen: "Das Gleiche gilt für den Bereich der Bürokratie. Wir reden seit langem darüber, dass alles sehr kompliziert und komplex ist. Da würde ich mir mehr Tempo wünschen, dass wir da zu besseren Bedingungen kommen."
Das Wirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein, dass in Anbetracht der aktuellen konjunkturellen Lage mit Produktionseinschränkungen in der Industrie gerechnet werden müsse. Nichtsdestotrotz sei das Land weiterhin ein attraktiver Standort mit guten Bedingungen. Abwanderungen und Stellenkürzungen bei Industrieunternehmen im Land seien bislang Einzelfälle.
Wahlstedt sucht Nachnutzer für 80.000 Quadratmeter-Immobilie
Nach dem Aus von Grundfos in Wahlstedt, sucht die Stadt jetzt nach Lösungen für die Herausforderung, die durch den Weggang entstehen. Die zeigen sich auf mehreren Ebenen, sagt der Wirtschaftsausschussvorsitzende Wolfgang Lippke. Für das 84.000-Quadratmeter große Grundstück des dänischen Pumpenherstellers soll ein Nachfolger gefunden werden. Der könne dann im besten Fall auch die wegfallenden Gewerbesteuereinnahmen ausgleichen.
Die Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft des Kreises sieht im Weggehen von Grundfos einen Verlust für den Wirtschaftsstandort Segeberg. Jedoch biete die Region im Vergleich zu anderen Landesteilen Standortvorteile, vor allem durch die zentrale Lage zwischen Hamburg, Kiel und Lübeck. Auf Anfrage zeigt sich die Gesellschaft zuversichtlich, dass es auch in Zukunft Gewerbesteuereinnahmen in Wahlstedt geben werde und in absehbarer Zeit auch neue Arbeitsplätze entstehen werden.
Sylvia: "Ich weiß nicht, wie es weitergeht"
Ob die Grundfossanerinnen und Grundfossaner, wie sich selbst nennen, von diesen neuen Arbeitsplätzen profitieren werden, ist noch unklar. Gudrun blickt diesbezüglich wenig zuversichtlich in die Zukunft: "Firmentechnisch haben wir hier nicht mehr viele Fabriken, in denen man Vollzeit arbeiten kann. Wir haben hier zwar ein paar Unternehmen, aber die werden nachher komplett überlaufen sein." Sie hat sich überlegt, nach Grundfos einen Neustart zu wagen und beruflich in die Schulbetreuung zu wechseln. Sylvia macht sich auch Gedanken über ihre Zukunft, sagt aber selbst: "Ich weiß nicht, wie es weitergeht, keine Ahnung."
Wann ihre Stellen gestrichen werden und sie so ihre finalen Kündigungen bekommen werden, können weder Sylvia noch Gudrun einschätzen. Bis dahin, bleibt ihnen nur am Arbeitsalltag im Grundfos-Werk in Wahlstedt festzuhalten und die Momente mit ihren Kolleginnen und Kollegen, mit der Grundfos-Familie so gut es geht zu genießen. Und vielleicht ergibt sich auch noch etwas ganz Neues, meint Gudrun: "Wer weiß, vielleicht gewinn' ich auch im Lotto ...".