Erziehermangel: Praxisintegrierte Ausbildung ist ein Erfolg
Normalerweise erhalten angehende Erzieherinnen und Erzieher keine Vergütung. Das ändert sich langsam - dank eines alternativen Ausbildungsmodells. Kita-Träger sehen darin ein Werkzeug gegen den Fachkräftemangel.
Lea Raddatz, 24 Jahre alt, sitzt mit einer Gruppe von Kindern in der Kita Fuchsbau in Bokholt-Hanredder, einer kleinen Gemeinde im Kreis Pinneberg. Sie stimmt ein Lied an, die Kinder singen mit: "Allen wünschen wir einen schönen guten Morgen." Die Kinder glucksen, lachen, albern, gähnen - ein ganz normaler Mittwochmorgen in der Kita.
Die junge Frau, die den Takt vorgibt, steht kurz vor dem Ende ihrer dreijährigen Ausbildung zur Erzieherin. Ihr Beruf erfüllt sie, sagt Lea Raddatz: "Am meisten Spaß bringt mir einfach die Liebe, die man von den Kindern bekommt - diese Dankbarkeit, diese Wertschätzung."
Ohne Gehalt wäre sie keine Erzieherin geworden
Trotzdem, sagt sie, hätte sie wahrscheinlich einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen. Wäre da nicht PiA gewesen. Das steht für "Praxisintegrierte Ausbildung". Ein Ausbildungsmodell, bei dem angehende pädagogische Fachkräfte Geld verdienen - anders als bei der klassischen Ausbildung. Rund 1.300 Euro brutto verdient Lea Raddatz pro Monat. "Ich muss ja meinen Lebensunterhalt bestreiten", sagt sie. "Ich finde: Wenn man eine Ausbildung startet, sollte man auch ein Gehalt dafür bekommen."
Pädagogische Berufe für Menschen wie Lea Raddatz wieder attraktiver zu machen - das ist das Ziel des PiA-Modells. Dass das dringend notwendig ist, zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung: Demnach fehlen in Schleswig-Holstein 15.600 Kita-Plätze. Ein weiterer Befund: Mehr als die Hälfte der Kita-Kinder im Land wird nicht nach dem empfohlenen Personalschlüssel betreut. PiA soll zusätzliche Anreize bieten - im knallharten Kampf um Fachkräfte.
Ausbildung verzahnt Theorie und Praxis
Nachdem das neue Ausbildungsmodell in Schleswig-Holstein erstmals 2017 angeboten wurde, wurde es im Laufe der Zeit immer beliebter. Mittlerweile bieten Berufsschulen im ganzen Land die PiA-Ausbildung an - sowohl für angehende Erzieherinnen und Erzieher als auch für sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten. Das Geld dafür kommt aus verschiedenen Töpfen: vom Land, von den Kreisen und von den Kommunen.
Dabei winkt den Azubis, die einen der Plätze ergattert haben, nicht nur eine Vergütung, sondern sie verbringen neben dem Unterricht in der Berufsschule oft mehrere Tage pro Woche in der Kita. Praxis und Theorie sind so deutlich stärker verzahnt als in der klassischen schulischen Ausbildung.
Quereinsteiger in die Kitas locken
Die große Beliebtheit des Modells macht sich auch an den Berufsschulen bemerkbar. In Ahrensburg steht Lehrerin Jennifer Kempa an diesem Mittag vor einer Gruppe von Auszubildenden und spricht übers Thema "Reflexion". Sie alle wollen sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten werden. Mehr als zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler im Raum profitiert von dem neuen PiA-Modell.
"Das Interesse ist so groß, wir könnten locker noch eine dritte oder vierte Unterstufenklasse aufmachen", sagt Kempa. Die Lehrerin meint, PiA mache den Berufseinstieg auch für Quereinsteiger attraktiver: Denn die Ausbildungsvergütung und die stärkere Verknüpfung von Theorie und Praxis locke auch Menschen in den Beruf, die vorher nichts mit dem pädagogischen Bereich zu tun hatten.
Kita-Träger sind begeistert von dem Modell
Laut Zahlen des schleswig-holsteinischen Bildungsministeriums machen PiA-Auszubildende bei den angehenden Erzieherinnen und Erziehern inzwischen immerhin rund 19 Prozent aus. Anders gesagt: Für das neue Ausbildungsformat entscheiden sich Hunderte Menschen, die sonst womöglich einen anderen Beruf ergriffen hätten.
Kita-Träger wie der AWO-Landesverband Schleswig-Holstein sind deshalb begeistert von dem Modell. Eine Sprecherin schreibt: Es gebe sehr viele Rückmeldungen auf PiA-Stellenanzeigen, "deutlich mehr als auf jede andere Stellenanzeige". Und: "Wir könnten viel mehr ausbilden." Allerdings fehle das Geld für zusätzliche PiA-Stellen und es sei außerdem sehr aufwendig, die Förderung dafür zu beantragen.
Auch Peter Küpper, der als Bereichsleiter bei den Johannitern dreißig Kitas betreut, sagt über PiA: "Es werden mehr Auszubildende. Da merkt man eine deutliche Steigerung." Küpper sieht in dem Ausbildungsmodell "eine gute Hilfe, dem Fachkräftemangel in pädagogischen Berufen zu begegnen".
Für Lea Raddatz, die Auszubildende an der Kita in Bokholt-Hanredder, steht in zwei Monaten die Abschlussprüfung an. Schon jetzt ist klar, dass ihre Kita sie nach ihrem Abschluss übernehmen wird. "Ich bin hier glücklich", sagt Raddatz. Ab August wird sie hier weiterarbeiten - dann als fertig ausgebildete Erzieherin.