Die heimliche Macht der Lübecker Bürgermeister
Die Lübecker wählen heute ihren zukünftigen Bürgermeister beziehungsweise Bürgermeisterin. Die beiden Kandidaten gehen mit zahlreichen Wahlversprechen ins Rennen. Dabei liegt die Macht der Bürgermeister in Wirklichkeit ganz woanders.
Im Rathaus sind die Zeiten noch präsent, in denen "Lübecker Bürgermeister" ein Amt von Weltruhm war. In den Fluren hängen große Porträts ehemaliger Amtsinhaber. Zu Zeiten der Hanse konnten sie sogar Könige absetzen, befehligten eine der mächtigsten Armeen des Nordens. Noch bis 1937 waren die Regierungschefs des Stadtstaates Lübeck in etwa vergleichbar mit einem heutigen Ministerpräsidenten.
Schleswig-Holsteins Bürgermeister haben besonders wenig zu sagen
Heute hat ein Lübecker Bürgermeister, mit Ausnahmen beim Denkmalschutz, genau so viel zu sagen wie Verwaltungschefs in anderen kreisfreien Städten Schleswig-Holsteins. Dazu kommt: "Bei uns haben Bürgermeister sehr viel weniger Befugnisse als in den meisten anderen Bundesländern", meint Michael Ruck, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Uni Flensburg.
Kandidaten machen trotzdem große Wahlversprechen
Im Wahlkampf werben die Kandidaten trotzdem mit markigen Versprechen. CDU-Kandidatin Melanie Puschaddel-Freitag etwa will dafür sorgen, dass es auf Lübecks Straßen weniger Baustellen parallel gibt. Außerdem möchte sie mehr Busse fahren lassen. Das will auch Gegenkandidat Jan Lindenau erreichen, der für SPD und Freie Wähler ins Rennen geht. Außerdem setzt er sich für die Einführung einer S-Bahn ein.
Politiker entscheiden - Bürgermeister führt aus
Ob die Wahlversprechen auch Wirklichkeit werden, können die Kandidaten im Falle ihrer Wahl aber gar nicht selbst entscheiden. Denn über zusätzliche Busse oder das Verschieben von Baustellen entscheidet letztendlich die Bürgerschaft. Bürgermeister setzen diese Beschlüsse um. Die Einführung einer S-Bahn ist im Kern sogar Sache des Landes. "Da werden Erwartungen geweckt, die von vornherein nicht erfüllt werden können", meint Professor Ruck. Die Kandidaten seien in einer heiklen Situation. Denn sie müssten sich trotz der wenigen Befugnisse irgendwie gegeneinander profilieren.
Bürgermeister müssen sich Mehrheiten suchen
Früher dominierte diejenige Partei, die den Lübecker Bürgermeister stellte, oft auch die Politik in der Bürgerschaft. Aktuell sitzen dort allerdings sieben Fraktionen. "Für Lübecker Bürgermeister ist es immer schwieriger geworden, Mehrheiten für ihre Projekte zu bekommen", meint Harald Denckmann. Seit 30 Jahren berichtet er für mehrere lokale Medien von den Sitzungen der Bürgerschaft. "Heute müssen die Bürgermeister mehr als früher Kompromisse machen".
Macht der Bürgermeister liegt im Verborgenen
Auf dem Papier hat zwar die Bürgerschaft die Entscheidungsgewalt. Ein Bürgermeister hat aber auch Spielraum. "Er kann bei der Umsetzung ein bisschen mehr oder minder engagiert sein", so Politikwissenschaftler Ruck. Und ein Bürgermeister könne auch seine herausgehobene Position in der Stadt nutzen. "Er oder sie kann quasi über Bande auf Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen, in dem er in geeigneter Form nach außen kommuniziert, zum Beispiel gegenüber Verbänden oder der Öffentlichkeit." Er könne so ein bestimmtes Meinungsklima in der Stadt schaffen und damit Projekte, die ihm wichtig sind, vorantreiben.
Bürgermeister: Wie CEO eines Großkonzerns
Ein Bürgermeister trägt viel Verantwortung. In Lübeck verwaltet und organisiert er einen milliardenschweren Haushalt und ist Chef von mehreren Tausend Mitarbeitenden, sitzt im Aufsichtsrat städtischer Unternehmen, leitet Stiftungen. Auch hierüber könne er Einfluss nehmen und bestimmte Themen an sich ziehen, so Politikwissenschaftler Ruck. "Bürgermeister haben die Möglichkeit, über die Organisation der Verwaltung deutlich zu machen: Das ist die zentrale Aufgabe". In Kiel etwa habe Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) das Thema Wirtschaft zur Chefsache gemacht und dem Bereich damit auch zu größerem Gewicht in der Kommunalpolitik verholfen.
Experte: Persönlichkeit der Kandidaten ist entscheidend
Mitarbeitende führen, geschickt kommunizieren, Mehrheiten organisieren: Politikwissenschaftler Ruck sieht die Persönlichkeit als entscheidendes Kriterium bei einer Bürgermeisterwahl. Und beide Kandidaten setzten durchaus unterschiedliche Akzente. Lindenau interpretiert die Rolle des Bürgermeisters eher selbstbewusst: "Als Bürgermeister leite ich die Verwaltung der Stadt nach den Zielen und Grundsätzen, die die Lübecker Bürgerschaft beschließt." Puschaddel-Freitag dagegen versteht das Bürgermeisteramt zurückhaltender: "Mir ist es wichtig, [...] als Bürgermeisterin die Beschlüsse der Bürgerschaft ausführen, so wie diese es beschlossen hat."