Der tiefste Punkt Deutschlands - ein norddeutscher Streit

Stand: 06.04.2024 06:00 Uhr

Die offizielle "Tiefste Landstelle der Bundesrepublik Deutschland" liegt mit 3,54 Metern unter Normalnull in Schleswig-Holstein. Doch obwohl die Zahl eindeutig ist, gab es darüber jahrelang Streit mit einem Dorf in Niedersachsen.

von Lisa Pandelaki

Nur ein Pfahl auf einem kleinen Parkplatz weist darauf hin, dass die Wiese von Bauer Albert Karstens nebenan mehr ist als irgendeine Wiese. Irgendwo hier bei Neuendorf-Sachsenbande (Kreis Steinburg) in der Wilstermarsch, zwischen saftigem Grün und grasenden Kühen, liegt der tiefste Landpunkt der Bundesrepublik Deutschland. Doch dass hier überhaupt nachgemessen wurde, ist Freepsum in der Gemeinde Krummhörn in Niedersachsen und Hermann-Josef Thoben zu verdanken. Krummhörn, weil die Gemeinde 1983 verkündet, die tiefste Stelle der Bundesrepublik liege in Niedersachsen. Und Thoben, weil er sich dafür stark macht, in der Wilstermarsch nachzumessen.

Niedersachsen kommt mit tiefster Stelle ins Buch der Rekorde

Die Wiese mit der tiefsten Landstelle aus Vogelperspektive. © NDR
Weil sich ohnehin nur seine Kühe daran gerieben hätten, steht kein Pfahl direkt an der Messstelle auf Bauer Karstens Wiese.

Denn wie tief es hier genau ist, weiß man damals noch nicht. 1986 sagt der damalige Altbürgermeister Richard Meiforth dem NDR: "An der Landstraße 135 [...] ist die tiefste Stelle. Das ist nun überliefert von Vater und Großvater, es ist immer gesagt worden." In Krummhörn in Niedersachsen weiß man allerdings genau, wie tief es ist: 2,30 Meter unter Normalnull. Weil der Titel bisher nicht vergeben ist, kommt die Gemeinde damit ins Guinnessbuch der Rekorde, stellt eine Hinweistafel auf und druckt Werbematerial. Darüber berichtet auch unter anderem die ADAC Motorwelt. Das liest der Itzehoer Hermann-Josef Thoben und bittet darum, den Irrtum zu korrigieren. Krummhörn denkt aber nicht daran.

Streit um die tiefste Stelle

Ein Schild, das den tiefsten Punkt Deutschlands markiert. © NDR Foto: NDR
1983 stellt Freepsum in der Gemeinde Krummhörn in Niedersachsen ein Schild auf, um auf ihre tiefste Stelle hinzuweisen.

In der Dorfchronik Neuendorfs (seit 2003 Neuendorf-Sachsenbande) ist nachzulesen, dass die Fremdenverkehrsgesellschaft Ostfriesland eine eigene Definition der tiefsten Stelle aufstellt, die nur auf ihren Punkt zutrifft: eine seit 200 Jahren durchgehend landwirtschaftlich genutzte Fläche von mindestens 115 Hektar Größe und einer mittleren Geländelage von zwei Metern unter Normalnull. "Es ist daher verständlich, dass wir weiterhin und mit vollem Recht den Titel - Tiefster Punkt der BRD ist Freepsum mit 2,30 Meter unter Normalnull (NN) bzw. Meeresspiegel - führen", heißt es laut Dorfchronik in dem Schreiben. Desweiteren bittet man im Umkehrschluss Neuendorf die eigene Beschilderung abzubauen, um Missverständnisse zu vermeiden. "Es ist die tiefste zusammenhängende Fläche", erklärt eine Fremdenführerin in einem Bericht der Tagesthemen vor einem Schild in Krummhörn, das auf den tiefsten Punkt Deutschlands hinweist.

Das Bundesinnenministerium wird eingeschaltet

Mehrere Männer stehen nebeneinander. © NDR Foto: NDR
In einem Beitrag in den Tagesthemen kommen Landwirte aus der Wilstermarsch zu dem Streit zu Wort.

Das will Neuendorf aber nicht auf sich sitzen lassen. "Ein Punkt ist ja ein Punkt und keine Fläche", kommentiert ein Bauer aus der Wilstermarsch. "Das ist ostfriesische Mathematik," sagt ein anderer. "Es kann sich nur um einen ostfriesischen Witz handeln - einen neuen." Neuendorf bittet das Katasteramt Itzehoe nachzumessen. Das Ergebnis: 3,54 Meter unter NN. Das vom damaligen Bürgermeister eingeschaltete Bundesinnenministerium verweist wegen einer Schlichtung aber auf das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein. Von da heißt es: Da keine Wertungskriterien für die tiefste Stelle festgelegt worden seien, könne man nichts machen. Die Vermessungs- und Katasterverwaltung Niedersachsens erhebt aber keinen Einspruch. So bekommt Neuendorf am 5. September 1988 die offizielle Bestätigung vom Innenministerium, dass hier der tiefste Punkt Deutschlands liegt.

Freepsum wirbt weiter mit der tiefsten Stelle

Nach einigem Hin und Her mit dem Straßenbauamt in Itzehoe, wie genau auf die Stelle hingewiesen werden darf, kauft die Gemeinde Neuendorf 1991 ein Stück Land neben der Wiese von Landwirt Albert Karstens, um darauf einen Rastplatz für Besucher der tiefsten Stelle einzurichten. Erst seit 1998 dürfen auch Linien- und Reisebusse die Stelle anfahren. Jedes Jahr tragen sich seitdem rund 1.000 Besucher in das Gästebuch der tiefsten Landstelle ein. Freepsum wirbt derweil weiter damit, dass der tiefste Punkt Deutschlands bei ihnen liegt. Es bleibt also ein Streit ohne Schlichtung.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 05.04.2024 | 19:30 Uhr

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