Dämmstoff mit Zukunft: Seegras aus Schleswig-Holstein
Seegras ist eine vielversprechende Alternative für herkömmliches Dämmmaterial: Es brennt nicht. Dafür bindet es CO2 und ist nachwachsend. Eine Firma im schleswig-holsteinischen Kreis Steinburg hat deshalb große Pläne.
Im Frühjahr und im Herbst peitschen Stürme über die Ostsee und ihre Seegraswiesen. Wellen reißen dann Wurzeln, die Rhizome, ab und spülen sie als Treibgut an die Strände. Für viele Gemeinden an der Küste ist das ein Ärgernis: Sie wollen schöne, saubere Ostseestrände. Dabei hat das Seegras im Treibgut viele positive Eigenschaften. Unter anderem kann es als Dämmstoff eingesetzt werden und steht im Vergleich zur klassischen Steinwolle richtig gut da: Es ist ein nachwachsender, ökologischer Rohstoff, es brennt nicht und es bindet CO2.
Sehr geringer Energieverbrauch dank Seegras
Stefan Köhl wohnt mit seiner Frau in so einem mit Seegras gedämmten Haus - und zwar ziemlich weit draußen, da wo der Wind richtig pfeift. In Grabau im südlichen Schleswig-Holstein haben sich die beiden einen alten Stall umgebaut, der nun nach schwedischem Ferienhaus aussieht. Ochsenblutrot, wie frisch gestrichen, leuchtet das Holz außen - dahinter ist eine Menge Seegras. "Hinter der Holzfassade des Hauses ist eine Hinterlüftung", erklärt Stefan Köhl, "dann kommt eine wetterfeste Holzfaserplatte und dann kommen 20 Zentimeter Isolierung." Der Dachstuhl sei ebenfalls mit 24 Zentimetern Seegras gedämmt worden. Dadurch entstehe eine Außenwand von 54 Zentimetern Stärke. Nach außen ist so eine Art Fachwerk entstanden. Das Seegras dazwischen sei zwar fest, aber ohne zu viel Druck verarbeitet worden.
Eigentlich sollte das Haus mit Eichenkork gedämmt werden. Das ist zwar auch ein natürliches Material, stellte sich aber als zu kostspielig heraus. Dann kam der Kontakt zum Seegrashändler, 20 Kilometer entfernt: "Seitdem ist es bei uns immer muckelig warm. Wir haben ein Fast-Nullenergie-Haus", erzählt Köhl stolz. Bei fast Null Grad Außentemperatur müsse er nicht heizen: "Ich habe gerade eben erst den Ofen angemacht und ich habe 20 Grad im Haus."
Rohstoff mit guter Energiebilanz
Ökologische Baustoffe gelten als teuer und werden dann oft aus Prinzip nicht eingesetzt. In diesem Fall hat das Paar vor dem Bau eine gründliche Recherche betrieben: Die Korkdämmung hätte die beiden 11.500 Euro gekostet, eine sonst durchaus übliche Dämmung mit Glaswolle 3.500 Euro, und das Seegras schlug mit 4.500 Euro zu Buche. Ein Kubikmeter Dämmung, etwa 40 Kilo Seegras, kostet derzeit 104 Euro.
Für Stefan Köhl sind 20 Prozent höhere Kosten völlig angemessen: "Es ist ein baubiologisch vernünftiges Material, das keine Gesundheitsbeeinträchtigungen mit sich bringt. Zudem hat es wenig Energie in sich gebunden. Es ist ein Naturprodukt, das durch Sonne, Wind, Wasser und Regen hergestellt wird, und es braucht nur ein bisschen Diesel, um es zu einem Rundballen zu machen und herzutransportieren."
Seegras wird immer stärker nachgefragt
Im 20 Kilometer entfernten Westerau sind das entscheidende Themen: Hier betreiben Jörn Hartje und Swantje Streich die Seegrashandel GmbH. Dass ihre Lager leer sind, kann nur Gutes bedeuten. Jörn Hartje, der eigentlich Ornithologe ist, freut sich über die Nachfrage. Gleichzeitig sei die Menge an Seegras, das meist von dänischen Ostseeinseln komme, zu wenig. In Deutschland werde das Seegras relativ spät, erst im Herbst, angespült. In Dänemark kommt das Seegras auch bei Westwind an, wird dann auf Wiesen ausgebreitet und getrocknet. Hartje bekommt sein Seegras nur bei Oststürmen. Und im Herbst wird es dann auch so schnell nicht mehr trocken.
Wird auch zukünftigen Anforderungen auf dem Bau gerecht
Gerade steht Jörn Hartje neben seinem vorerst letzten Rundballen aus Seegras, etwa 200 Kilo schwer, ausreichend für ungefähr fünf Kubikmeter. Er betont die Vorteile von Seegras: Die Wärmeleitfähigkeit sei fast wie bei klassischer Mineralwolle. Es sei beständig gegen Feuchtigkeit, Schimmel und Schädlinge. Wegen seines hohen Silikat- und Salzgehaltes brenne es praktisch nicht. Jörn Hartje spricht von den jahrhundertealten Seegras-gedeckten Häusern auf der Insel Læsø. Außerdem habe das Material einen sehr guten Schallschutzwert und man erreiche mit 20 Zentimetern Dämmung sogar die Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG).
Entnahme unproblematisch für Naturschutz
"Wir versuchen, möglichst langfaseriges Seegras zu ernten. Die langen Fasern verzwirbeln sich und das bildet in der Dämmung eine Art Matte", erzählt er. Dass es bisher noch wenig deutsches verwertbares Seegras gibt, hat aus seiner Sicht mit dem Sand und den anderen Bestandteilen im Treibsel zu tun - und damit, dass die Gemeinden vor Ort alles nach Gewicht verkaufen. In Dänemark werde oft an steinigen Stränden geerntet und nicht alles Seegras wird weggenommen. Es gebe Befürchtungen, dass die Entnahme von zu viel Seegras Biotope zerstören könnte. "Das ist eigentlich nicht so, weil Seegras in Tausenden Tonnen angespült wird. Man kann sich daher auf gute Qualität konzentrieren." Für Küstenschutz oder Dünenbildung entstünden dadurch aus seiner Sicht keine Probleme.
Ordentliche Genehmigung als Dämmstoff steht noch aus
Seegras wird auch als Füllmaterial für Kissen eingesetzt und ist gerade für Allergiker geeignet. Schon immer seien Matratzen damit befüllt worden, weiß Jörn Hartje. Wer sich noch tiefer ins Seegras-Universum begibt, erfährt von seiner wundheilenden Wirkung und dem Einsatz als Gartenerde und Mulch. Für Hartje aber zählen gerade nur zwei Dinge: Er braucht neues Seegras und hofft auf die ordentliche Genehmigung als Dämmstoff. Zurzeit läuft ein von der Firma initiiertes Crowdfunding für die bauaufsichtliche Zulassung als offizielles Dämmmaterial. Hartje selbst hat den Praxistest schon bestanden: 500 Häuser wurden bereits mit Seegras gedämmt. Mit der Genehmigung könnten aber eines Tages auch öffentliche Gebäude mit Seegras isoliert werden.