Beten, Taufen, Einkaufen - "Heilige Geschäfte" in Lübeck
In Lübeck kann man bis zum 5. November das tägliche Gebet mit dem Wochen-Einkauf vereinbaren. Das Projekt "Heilige Geschäfte" des Berliner Konzeptkünstlers Christian Jankowski soll die Nähe von Handel und Kirche von früher ins Heute bringen.
Mit feierlichen Tönen läutet die Orgel an diesem Sonntagmorgen den Gottesdienst ein. Pastorin Imke Akkermann-Dorn betritt den Altarraum und begrüßt die Anwesenden in der evangelisch-reformierten Kirche in Lübeck. Heute ist es ein besonderer Gottesdienst. Der kleine Arvid wird getauft. Der Rahmen für die Taufe - ein heiliges Geschäft.
Kunstprojekt "Heilige Geschäfte"
Hinter dem Begriff "Heilige Geschäfte" steht eine besondere Kunstaktion. In insgesamt vier Lübecker Kirchen verkaufen Händler zwei Wochen lang ihre Waren - von Bio-Lebensmitteln bis zu Hi-Fi-Geräten - und kommen mit den Gläubigen ins Gespräch. Initiator der Kunstaktion "Heilige Geschäfte" ist der Berliner Konzeptkünstler Christian Jankowski.
In Kooperation mit der Lübecker Overbeck-Gesellschaft stellt Jankowski den ersten Teil seines Projekts "Heilige Geschäfte" seit Ende August aus. Im Garten des Kunstvereins ist eine Videoinstallation mit den Pastoren zu sehen. Seit dem 22. Oktober beherbergen in dem zweiten Teil des Projekts die vier Lübecker Partner-Kirchen St. Jakobi, St. Petri, die evangelisch-reformierte Kirche und die Johann-Hinrich-Wichern-Kirchengemeinde verschiedene Geschäfte und laden zu einem lebendigen Austausch ein.
Gemeinsames Schaffen
In der evangelisch-reformierten Kirche ist ein Stand vom Biomarkt "Landwege" aufgebaut. Auf großen Holztabletts über den Kirchenbänken angerichtet, liegen die "Landwege"-Produkte gut ausgeleuchtet und laden zum Einkauf ein. Während Arvid getauft wird, kann hier der Wochen-Einkauf gemacht werden.
Christoph Beckmann-Roden vom Biomarkt "Landwege" entschied sich genau wegen dieses Austauschs für die Aktion: "Mich persönlich hat es motiviert, dass es hier um etwas geht, was uns alle bewegt. Ich stehe für den Erhalt der Natur und für das große Miteinander und ich glaube, das ist hier so das Thema, was sich immer durchzieht durch alle Gespräche. Hier geht es um den Erhalt und um das gemeinsame Schaffen", so der Geschäftsführer des Biohandels.
Dialog statt Provokation
Mit seiner historisch bedingten Verbindung zum Handel durch die Hanse sowie durch die Bedeutung der Kirchen für die Stadt, sei laut Christian Jankowski Lübeck der perfekte Austragungsort der Kunstaktion "Heilige Geschäfte". In seiner Arbeit versucht Jankowski Gewöhnliches zu durchbrechen und eine Reaktion hervorzurufen - welche auch immer das ist bei seinem Publikum: "Es ist oft so in meiner Kunst, dass ich versuche, Gruppen oder Systeme auf einer Art zu nehmen und ihnen mit etwas anderem zu begegnen. Dass da etwas stattfindet, wo man agiert und reagiert und ein Prozess ausgelöst wird, der sich auch verändert, wo sich manchmal Freundschaften ergeben oder Konflikte zuspitzen - das kann in alle Richtungen gehen", so der Künstler.
In der evangelisch-reformierten Kirche erfährt seine Kunst in Kombination mit dem Sakrament eine vorwiegend positive Resonanz. "Außergewöhnlich, aber irgendwie auch erfrischend", findet ein Gottesdienst-Besucher. "Ich fand das sehr berührend und sehr schön. Es war etwas Besonderes und ich denke, die Eltern werden das nicht wieder vergessen - es war für sie und die Angehörigen ganz schön", teilt die Gottesdienst-Besucherin Ilse ihre Eindrücke. Auch für die Familie des Täuflings war die außergewöhnliche Kombination etwas Besonderes: "Wir waren sehr gerührt, weil es ein besonderer Gottesdienst war. Ich finde, es war etwas Lebendiges, etwas Besonderes", hält Arvids Mutter Rabea Stadermann fest.
Taufen und Kaufen
Manche Gäste dieses Taufgottesdienstes nutzen auch gleich die Gelegenheit, um in der Kirche einige Lebensmittel zu besorgen. So wie ein Besucher der Taufe, der in der Kirche eine Packung Müsli für das Frühstück am Montagmorgen eingekauft hat: "Wir sind heute hier gewesen und das hat sich gut ergeben, hat irgendwie gepasst - wir hatten kein Frühstück mehr und das war, finde ich, eine ganz gute Idee. An einem Sonntag kriegt man sonst nirgendwo was", so der Familienvater.
Heilige Geschäfte und Tempelreinigung?
Nicht nur Handel treiben, sondern auch Räume öffnen - darum geht es für Pastorin Imke Akkermann-Dorn bei den "Heiligen Geschäften". Dabei sieht sie keinen Widerspruch zur Tempelreinigung, wie sie in der Bibel steht:
"Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb hinaus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: 'Mein Haus soll ein Bethaus heißen'; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus." Matthäus 21,12
Akkermann-Dorn sieht den offenen Raum, der biblisch durch Jesus geschaffen wurde, als eine Möglichkeit für Begegnung: "Unsere Gemeinde denkt sehr offen und es ist ein Gemeindeprinzip, dass wir Räume öffnen möchten. Insofern traf diese Kunstaktion auf offene Herzen und Ohren bei uns, sodass wir gerne bereit waren mitzumachen und mitzugestalten. Das ist das Schöne an dieser Aktion - dass wir sie im Miteinander gestalten", so die Pastorin.
Lebensmittel bei der Taufe, Luxuselektronik in der Seefahrerkirche St. Jakobi, eine Möbelausstellung in der Petrikirche und aktuelle Mode in der Johann-Hinrich-Wichern-Kirche: In Lübeck breiten sich die "Heiligen Geschäfte" noch bis zum 5. November in insgesamt vier Kirchenräumen aus - und laden zu Widerspruch ein.