Aus Gaza nach Kiel: "Der Krieg hat alles geändert"

Stand: 11.02.2024 06:00 Uhr

Hamza Abed ist für ein medizinisches Praktikum am UKSH in Kiel, als im Nahen Osten der Krieg ausbricht. Eine Zukunft hat er im Gazastreifen jetzt nicht mehr, doch ob er in Deutschland bleiben darf, ist ungewiss. Sein Visum läuft Ende Februar aus.

von Lisa Pandelaki

In seinem Kopf hört Hamza Abed die Bomben fallen. Der angehende Mediziner aus dem Gazastreifen ist in Kiel in Sicherheit. Seine Familie ist es nicht. "Die ersten paar Tage konnte ich nicht rausgehen. Ich konnte nicht das Fenster aufmachen, weil in meinem Kopf ist: Draußen ist es gefährlich! Und wenn ich einen Rettungswagen gehört habe, habe ich das Gefühl, dass etwas passiert ist", erinnert er sich. Jeden Morgen wartet er auf das erlösende Brummen seines Telefons, wenn die Nachricht von seinem Vater kommt: "Hallo Hamza, wir leben noch." Oft kann er erst dann einschlafen. 17 Verwandte hat er in den letzten Monaten schon verloren, erzählt er. Wie lange er selbst noch in Deutschland und damit in Sicherheit bleiben darf, steht noch nicht fest. Er telefoniert, schreibt E-Mails und versucht, einen Termin bei der Ausländerbehörde zu bekommen. Bisher erfolglos. Bis Ende Februar ist sein Visum noch gültig. Was danach kommt, weiß er nicht.

"Der Krieg hat alles geändert"

Im Gazastreifen hat der 24-Jährige sechs Jahre Medizin studiert. Im August 2023 kam er für ein dreimonatiges Praktikum am UKSH nach Kiel. Sein Studium werde hier anerkannt. Er schätze das deutsche Gesundheitssystem und habe bei Urlauben schon einiges in Europa gesehen, begründet er seine Entscheidung für ein Praktikum in Deutschland. Drei Monate - dann sollte ein praktisches Jahr im Gazastreifen folgen. Er hatte einen ganz konkreten Plan für sein Leben. "Der Krieg hat alles geändert", sagt Hamza Abed. Von seiner Familie hat er sich gar nicht richtig verabschiedet - drei Monate erschienen ja nicht lang, erzählt er in seinem kleinen Zimmer im Studentenwohnheim im Kieler Kloster.

Nur ein Andenken an seine Familie

Hamza Abed sitzt an seinem Schreibtisch und lernt. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
In seiner Freizeit sitzt Hamza Abed viel am Schreibtisch und lernt.

Zehn weitere Studierende haben hier je ein Zimmer. Küche und Bad werden geteilt. Freunde haben ihm geholfen, das Zimmer zu bekommen. Auf den etwa 15 Quadratmetern stehen ein Bett, ein Schrank und ein Regal. Vor den beiden großen Fenstern außerdem ein Schreibtisch und ein graues Sofa. Sofa, Teppich und Couchtisch habe er über Kleinanzeigen ergattert, erzählt er stolz. Im Regal liegen Hygieneartikel, eine Uhr, Medizin-Bücher, eine Fusselrolle und ein Fusselrasierer. Alles ist ordentlich. Im Schrank liegt neben seiner Kleidung außerdem eine türkisfarbene Haarbürste. Sie hat seiner Mutter gehört, die vor zwei Jahren gestorben ist. Neben den Fotos und Videos auf seinem Handy ist die Bürste das einzige Andenken an seine Familie, das er mitgenommen hat.

Ein zweigeteiltes Leben

Durch die Nachricht eines Freundes erfährt er im Oktober vom Ausbruch des Krieges in seiner Heimat. "Am Anfang konnte ich das nicht glauben. Ich hab' gedacht, vielleicht ist es ein Witz oder so." Doch dann liest er all die Nachrichten auf seinem Telefon. Und mit den Nachrichten kommt die Angst. "Weil ich weiß, was ein Krieg bedeutet", sagt er. Vier Kriege habe er schon miterlebt. Er storniert seinen Flug, verlängert sein Visum und sucht sich einen weiteren Praktikumsplatz. Jeden Tag fährt er jetzt mit dem Zug in die Rendsburger Schön-Klinik (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Abends kommt er todmüde zurück. Am Wochenende lernt er oder trifft sich mit Freunden.

"Ich gucke immer Nachrichten. Ich gucke immer Videos, versuche, meine Familie anzurufen. Manchmal klappt es, manchmal nicht. Aber es ist so wie ein zweigeteiltes Leben. Ich muss hier leben, aber mein Herz ist noch in Gaza, bei meiner Familie." Hamza Abed

Auf seinem Gesicht spiegeln sich verschiedene Emotionen, während er durch Fotos und Videos auf seinem Telefon scrollt. Trauer, als er nah an die Gesichter seiner Familie auf einem Foto ranzoomt. Fast versteinert wirkt sein Blick, als er Bilder seiner zerstörten Heimat sieht. Dann schmunzelt er wieder bei einem Video, das seinen Neffen beim Eisessen vor dem Krieg zeigt. Er versucht, nicht so viel Zeit am Telefon zu verbringen und sich lieber um die Dinge hier zu kümmern - zum Beispiel darum, ein Visum zu bekommen.

Zukunft liegt in Deutschland

Hamza Abed bei einem Spaziergang im Park mit einer Freundin. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Hamza Abed hat schon einige Freunde in Kiel gefunden. Sie versuchen im dabei zu helfen, einen Weg zu finden, um bleiben zu können.

Die Bomben haben auch seine berufliche Zukunft in seiner Heimat zerstört. "Fast alles ist dort zerstört, mein Zuhause ist zerstört", sagt Hamza Abed auf die Frage, ob er in seine Heimat zurückkehren würde, wenn Frieden herrsche. Seine Zukunft sieht er jetzt in Deutschland - auch wenn es eine Zukunft ohne seine Familie bedeutet. Er hat drei Möglichkeiten, in Deutschland zu bleiben: ein Aufenthaltstitel, Asyl oder Duldung. Asyl beantragen möchte er nicht. Zu lange dürfte er dann nicht arbeiten. "Ich bin auch Arzt. Ich habe eine Qualifikation. Ich kann hier arbeiten. Ich möchte hier arbeiten. Ich möchte hier leben. Ich möchte die Kultur kennenlernen, und ich möchte mich besser integrieren", erklärt er. Auch eine Duldung brächte zu viele Einschränkungen mit sich.

Eine Bekannte in Baden-Württemberg, die in einer ähnlichen Situation ist, hat auf ihren Visumantrag bereits eine Ablehnung erhalten. Die Begründung: Die allgemeine Lage in Gaza stelle nach Auffassung des Regierungspräsidiums in Karlsruhe keine Sondersituation dar. Für ausländische Staatsangehörige aus Gaza in Deutschland, deren Aufenthaltstitel oder Visa abliefen, bestünde seitens des Bundesinnenministeriums und des baden-württembergischen Justizministeriums keine Sonderregelung.

Keine andere Option

Wenn er ein neues Visum - einen Aufenthaltstitel - bekommt, möchte er sein praktisches Jahr hier abschließen. Acht Monate fehlen ihm dafür noch. Die könnte er in der Schön Klinik absolvieren. Sobald sein Studium inklusive des praktischen Jahres anschließend anerkannt sind, solle er sich direkt bei ihnen bewerben, hat sein dortiger Chef ihm gesagt. Man würde ihn gerne behalten.

Auf die Frage, was er machen wird, falls er kein Visum bekommt, antwortet er: "Ich weiß es nicht. Ich versuche, darüber nicht soviel nachzudenken." Er lebt sein Leben hier weiter, steht jeden Tag um fünf Uhr auf, um nach Rendsburg zur Arbeit zu fahren. Er operiert, übersetzt für arabischsprachige Patienten und tauscht sich mit Kolleginnen und Kollegen aus. Trotzdem zählt er die Tage, bis sein Visum abläuft. Auch wenn er es äußerlich nicht zeigt, macht ihm die Situation Angst, gesteht er. Damit es endlich irgendwie weitergeht, hat Hamza Abed einen Termin bei einem Anwalt vereinbart. Ob ihn das weiterbringt, weiß er nicht. "Aber ich bin optimistisch, dass wir eine Lösung finden. Weil eigentlich habe ich keine andere Option."

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Dieses Thema im Programm:

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