Stand: 09.07.2018 14:59 Uhr

Ein "Babynest" für Föhr

von Lukas Knauer

Lange Wege zum Kreißsaal sind in vielen Orten ein Problem für werdende Mütter - vor allem auf dem Land. Die Zahl der Entbindungsstationen geht seit Jahren zurück. Schwangere haben die Sorge, es rechtzeitig zur nächsten Klinik zu schaffen. Ein besonderes Beispiel, wie Bürger jetzt selbst anpacken und etwas tun, damit die Kinder nicht weit entfernt zur Welt kommen müssen, entsteht gerade auf der Insel Föhr. Eine Hebamme und viele ehrenamtliche Helfer bauen dort ein richtiges Geburtshaus und geben damit den schwangeren Frauen auf der Insel Hoffnung.

Wer auf den Inseln im nordfriesischen Wattenmeer ein Kind zur Welt bringen will, dem wird es nicht leicht gemacht. 2014 schloss die Geburtenstation auf Sylt, ein Jahr darauf wurde auch der Kreißsaal der Inselklinik auf Föhr dicht gemacht. Damit folgt man auf den Inseln einem bundesweiten Trend: Die Zahl der Kreißsäle in Deutschland hat sich seit Anfang der 90er-Jahre halbiert. Im Norden hat knapp ein Drittel der Geburtsstationen in den vergangenen 15 Jahren geschlossen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Laut Krankenhausgesellschaft schreiben viele Kliniken rote Zahlen und schließen deshalb die personalintensive Geburtshilfe.

Hebammen arbeiten lieber frei

Zudem finden sich weniger Hebammen als früher für Geburtsstationen, unter anderem weil die Belastung in dem Job zunimmt. Die Kreißsäle in den Städten sind oft ausgelastet wegen der Versorgungslücken auf dem Land. Viele Hebammen entscheiden sich inzwischen gegen eine Akkord-Arbeit im Kreißsaal.

Kliniken weisen Schwangere mit Wehen ab

Eine Umfrage der Deutschen Gynäkologischen Gesellschaft hat ergeben, dass 35 Prozent der Kliniken bereits eine Schwangere mit Wehen an der Kreißsaaltür abweisen und woanders hinschicken mussten, weil sie aus Personal- oder Platzmangel keine Geburt gewährleisten konnten.

Für die schwangeren Frauen auf Föhr ergibt sich daraus eine schwierige Situation: Sie müssen vor der Geburt von den Inseln runter und auf dem Festland entbinden. Das bedeutet oft eine zusätzliche Belastung für die ganze Familie.

Hebamme Lauterberg gründet Geburtshaus

Kerstin Lauterberg, eine von zwei Hebammen auf der Insel, konnte diesen Zustand nicht länger hinnehmen. Sie ist dabei, ein Geburtshaus auf der Insel aufzubauen. Getragen wird ihr Projekt von einer privaten Initiative, Spenden und viel Unterstützung von den Inselbewohnern. In wenigen Wochen soll das künftige "Babynest" auf Föhr eröffnen. Zurzeit gibt es dort allerdings noch viel Lärm, Bauschutt und Handwerker.

In dem Reetdachhaus in Wyk auf Föhr soll ein richtiges Geburtshaus entstehen, mit einer Geburtswanne und allem, was Entbindende sich wünschen. Der Verein "Inselgeburt" hat das Haus gemietet, Gelder für die Sanierung akquiriert und Helfer mobilisiert. Es ist ein einzigartiges Projekt in Norddeutschland: ein Geburtshaus, getragen von einem Verein - ohne Klinik im Rücken - und das auch noch auf einer Insel. So etwas gab es vorher noch nie.

Hebamme Kerstin Lauterberg hat lange für diese Einrichtung gekämpft: "Die letzten drei, vier Jahre haben schon an den Nerven gezerrt: die Schließungen der Kreißsäle und die Situation der Frauen. Auch wenn ich mittlerweile erschöpft von dem Thema bin, will ich nach vorne schauen und weiterkämpfen. Ich hoffe natürlich, anderen auf dem Festland Mut zu machen. Die Frauen haben einfach verdient, dass es weitergeht", sagt sie.

Hausgeburt oder aufs Festland

Solange das Geburtshaus noch nicht fertig ist, muss die Hebamme Hausbesuche machen. Eine ihrer Kundinnen ist Karin Petersen. Sie erwartet ihr drittes Kind und wird wieder zu Hause entbinden. Das neue Geburtshaus wird nicht rechtzeitig zum Entbindungstermin fertig sein. Ein bisschen, sagt sie, freue sie sich auch darüber, dass alle Kinder dann zu Hause geboren sind.

Bislang entscheidet Hebamme Kerstin Lauterberg zwei Wochen vor dem geplanten Geburtstermin, ob eine Schwangere zu Hause entbinden darf oder aufs Festland muss. "Wir haben natürlich genaue Richtlinien. Jede Frau muss sich trotz alledem auf eine Geburt auf dem Festland vorbereiten und sich eine Klinik suchen, zu der sie gehen könnte."

Geburtshaus ist noch im Bau

Das neue Geburtshaus soll die beiden Insel-Hebammen entlasten. Noch ist aber viel zu tun: Böden und Fliesen müssen verlegt, Wände gestrichen und der Garten hergerichtet werden. Wie der Zufall will, wird nur wenige Hundert Meter vom Geburtshaus entfernt ein neues Wellness-Resort gebaut. Weil die Arbeiten dort im Verzug sind - viele Mitarbeiter allerdings bereits seit Anfang Mai Arbeitsverträge haben - helfen sie kurzerhand einfach im Geburtshaus mit. So wie Jens Müller und Gerda Hansen. "Ich war ja eigentlich davon ausgegangen, dass ich im Hotel arbeiten würde, aber jetzt bin ich hier und es bringt Spaß. Ich finde es schön, hier unterstützen zu können und dass es bald wieder möglich sein wird, hier auf der Insel Kinder zu gebären. Auch für diejenigen, die hier im Hotel neu anfangen zu arbeiten wird das richtig gut sein", sagt Hansen.

Stichtag: 1. August

Noch fehlen allerdings ein paar Genehmigungen. Hebamme Kerstin Lauterberg ist froh, dass sich die Arbeit der vergangenen Jahre endlich auszahlt, damit in Zukunft wieder echte Föhrer-Babys auf der Insel zur Welt kommen können: "Das Projekt ist wie ein schwangerer Bauch. Es wächst und wird immer runder tatsächlich. Es ist Farbe da, es ist Licht da. Das finde ich klasse. Es ist ja ein bisschen auch mein Baby." Wenn alles läuft wie geplant, könnte der erste August der Stichtag für das neue Geburtshaus auf Föhr werden.

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Illustration: Zwei Hände umfassen eine Glühbirne © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 09.07.2018 | 10:08 Uhr

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