30 Jahre Tschernobyl: Strahlende Spuren im Norden
Am 26. April jährt sich die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zum 30. Mal. Es war die bis dahin schlimmste Katastrophe seit dem Beginn der zivilen Nutzung der Atomenergie. Ein Reaktorblock geriet außer Kontrolle und explodierte. Zehn Tage lang gelangten radioaktive Stoffe in die Erdatmosphäre. Der Wind blies die gefährliche Wolke Richtung Osten, tausende Kilometer weit. Ihr Regen verseuchte große Gebiete in Weißrussland und der Ukraine, vor allem die Region nordöstlich von Tschernobyl. Aber auch viele Länder in Europa, unter ihnen auch die Bundesrepublik und die damalige DDR, waren betroffen. In beiden deutschen Staaten wurde laut der Umweltschutzorganisation Greenpeace eine Fläche von insgesamt rund 153.000 Quadratkilometern mit radioaktivem Cäsium-137 kontaminiert. Noch drei Jahrzehnte später sind die Folgen des Super-GAUs auch in Norddeutschland messbar. Die Atomkatastrophe von Fukushima vor fünf Jahren hat dagegen praktisch keine Auswirkungen in Europa gehabt, sagen Wissenschaftler.
Kurz- und langlebige Radionuklide
"Das, was damals aus dem explodierten Reaktor von Tschernobyl entwich, war ein ganzes Potpourri aus unterschiedlichen radioaktiven Stoffen", sagt Dr. Martin Steiner, Leiter des Fachgebiets Radioökologie beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). "Neben einer Vielzahl kurzlebiger Radionuklide auch die Radionuklide Jod-131, Cäsium-134 und Cäsium-137." Weil man Radioaktivität weder sehen, noch riechen kann, jeder aber um deren mögliche Gefährlichkeit weiß, mache sie den Menschen Angst, erklärt Herbert Wershofen von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Generell bewege sich die Umweltradioaktivität in Deutschland auf einem unbedenklichen Niveau der natürlichen Strahlung.
Jod-131 schnell zerfallen
In der Zeit unmittelbar nach dem Reaktorunfall spielte vor allem die Belastung mit Jod-131 eine große Rolle. Es gelangte von den Weideflächen der Kühe in die Milch, so Martin Steiner. "Dieses Radionuklid ist deshalb gefährlich, weil es sich einmal eingeatmet in der menschlichen Schilddrüse konzentriert und so den menschlichen Körper schädigen kann." Daneben seien vor allem Blattgemüse wie Spinat nach dem Super-GAU stärker belastet gewesen. Weil Jod-131 aber nur eine relativ kurze Halbwertzeit von acht Tagen habe, sei es nach rund zwei Monaten praktisch vollständig zerfallen, so der Physiker.
Unterschiedliche Cäsium-Belastung im Norden
Dagegen seien Cäsium-134 mit einer Halbwertzeit von rund zwei Jahren und Cäsium-137 mit einer Halbwertzeit von rund 30 Jahren deutlich langlebiger, erklärt Steiner. Während sich im Süden Deutschlands bis zu 100.000 Becquerel Cäsium-137 pro Quadratmeter ablagerten, betrug die Aktivitätsablagerung dieses Radionuklids nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz im Norden selten mehr als 4.000 Becquerel pro Quadratmeter - abgesehen von lokal höheren Werten.
Denn dort, wo es in den Tagen nach dem Super-GAU während des Durchzugs der radioaktiven Wolke im Norden regnete, war die Belastung mit den radioaktiven Stoffen entsprechend höher. In Niedersachsen waren neben dem Westharz auch Gebiete bei Osnabrück und im südlichen Emsland, solche entlang der Leine bei Hannover sowie einige Landstriche in der Heide besonders betroffen. Am stärksten war die Bodenbelastung in Norddeutschland in Gebieten nordwestlich von Lübeck. Dort lag die Cäsium-137-Belastung des Bodens dem BfS zufolge bei bis zu 20.000 Becquerel pro Quadratmeter. Höhere Strahlenbelastungen des Bodens wurden 1986 auch nordwestlich von Kiel gemessen. In Mecklenburg-Vorpommern war der Westen wesentlich stärker betroffen als der Rest des Landes. Besonders hohe Cäsium-Werte wurden südlich von Schwerin gemessen. In und um Hamburg war die Strahlenbelastung des Bodens nach Angaben des BfS am niedrigsten. Dort hatte es entweder nicht oder nur wenig geregnet.
- Teil 1: Kurz- und langlebige Radionuklide
- Teil 2: Waldböden stärker belastet