Imam-Ausbildung in Osnabrück: "Ich versuche, eine Brücke zu sein"

Stand: 24.09.2023 15:00 Uhr

Die Oldenburgerin Elif Demirkan-Çoban schließt diese Woche als eine der ersten Frauen ihre Ausbildung am Islamkolleg Deutschland (IKD) in Osnabrück ab. Was treibt sie an und was nimmt sie aus dieser Zeit mit?

von Carolin Fromm und Katrin Hafemann

"Oh unser Herr, der stets alles erschafft und am Leben erhält, bist du." Elif Demirkan-Çoban steht in der Oldenburger Nikolaikirche und schließt das Gebet mit einem "Amen". Der Text stammt aus dem Koran. Die 43-Jährige trägt ein Kopftuch in dunkellila zum lila Kleid. Ihr hören etwa 20 Frauen der Gemeinde zu. "Ich versuche immer, die Brücke zwischen Kulturen, Religionen und Menschen zu sein", sagt sie.

Sie wollte den Islam auf Deutsch erklären können

Demirkan-Çoban hat in den vergangenen zwei Jahren die Imam-Ausbildung am IKD absolviert: Die erste von Deutschland finanzierte praktische Ausbildung für muslmisches Betreuungspersonal auf Deutsch und offen für alle Herkünfte.

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Und nicht nur die: Auch die zweite dort angebotene Ausbildung zur Seelsorgerin hat die vierfache Mutter bereits abgeschlossen. Wie sie das eigentlich alles schaffe, fragt eine Zuhörerin im Frauenkreis von Oldenburg. "Natürlich muss ich zugeben, dass es manchmal sehr anstrengend ist. Aber mein Mann und Freunde unterstützen mich. Im Deutschen sagt man ja so schön: 'Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.'"

Elif Demirkan-Çoban sitzt an einem Tisch vor einem bunten Bücherregal - kurz vor ihrer Abschlussprüfung. © NDR
Demirhan-Çoban ist vor der Abschlussprüfung nervös. Sie muss Rezitationsregeln auf Deutsch erklären.

Deutsch ist ihr Stichwort. In der Kindheit und Jugend in München hat sie ihre Religion auf Türkisch kennengelernt, die Muttersprache ihrer Eltern. "Aber wir leben in dieser Gesellschaft und es gibt Gespräche, in denen ich meine Religion auf Deutsch erklären will und soll." Zu übersetzen gelang ihr spontan nicht immer. Oder sie benutzte wenig exakte Wörter und Namen. Manchmal redete sie mit ihren christlichen Freunden über dieselbe Erzählung, nur wussten sie es lange nicht, weil Demirkan-Çoban das Vokabular fehlte. Das hat sie nun im Kolleg gelernt. "Ich habe viele Sachen aus der deutschen Perspektive lernen dürfen. Und Seelsorge hat mir am meisten Spaß gemacht, weil ich dabei sehr viel über mich selbst lernen konnte und wie ich mich verhalten kann. Das hat mir ein bisschen Ruhe gegeben."

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Bisher meist ehrenamtlich gearbeitet

Denn seit vielen Jahren arbeitet die studierte Pädagogin im sozialen Bereich; unterstützt Geflüchtete, stärkt Familien in der evangelischen Familienbildungsstätte oder bei Projekten des Jugendamts. Sie organisiert Kinderfeste, geht in Stadtteiltreffs und sucht immer wieder den Dialog. "Damit aus Fremdem Freundschaft wird", wie sie sagt.

Muslime und Musliminnen rufen sie bei Eheproblemen oder dem Tod eines Familienmitglieds an. "Ich habe dann die Waschung der Frauen gemacht, denn in Oldenburg gibt es nicht viele, die das können." Einmal hat sie mit dem Vater die Beerdigung eines Babys organisiert. Natürlich seien da auch bei ihr Tränen geflossen, erzählt sie. Sie wolle bei ihrer Arbeit empathisch sein, zur Seite stehen. Meist machte sie das ehrenamtlich. "Weil es immer eine Herzensangelegenheit für mich war. Wie eine Lebensaufgabe."

"Ich bin einfach Elif"

Das habe sie von ihrem Vater, sagt sie. "In meinem Elternhaus wurde nie differenziert: Mein Vater hat immer nur von Menschen gesprochen." Egal, woher diese stammten. Waren ihre Eltern religiös? Ja. "Aber strenggläubig würde ich jetzt nicht sagen. Sie waren einfach menschlich." Das hat Demirkan-Çoban übernommen - und will es so auch ihren Kindern vorleben. "Wenn sie das mitnehmen möchten, dann gerne. Ich kann sie nicht zwingen, denn ein Glaube kommt vom Herzen, mit Liebe. Das kann man nicht aufdrängen."

Ihr mache es Freude, Menschen zu unterstützen. "Natürlich zeigt meine Kleidung oder meine Religion, dass ich Muslima bin. Aber ich bin ein Mensch, einfach Elif", betont sie. Kopftuch trage sie, weil sie findet, es gehöre zu ihrer Religion. Und der Islam sei für sie nicht nur Religion, sondern eine Lebensweise. Alltag.

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Überraschend: Sie will gar nicht Imamin werden

Elif Demirkan-Çoban sitzt mit zwei weiteren Kollegiatinnen auf einer Bank. © NDR
Die Teilnehmerinnen wollen vor allem als Seelsorgerin und in Gemeinden arbeiten.

Immer wieder wird sie gefragt, ob sie Imamin werden wolle. In einer Prüfung für Predigtlehre am IKD hält sie vor den Frauen eine Predigt darüber, wie wichtig es ist, sich seine Zeit gut einzuteilen - und wird vom Prüfer gelobt. Dennoch: "Ich will nicht als Vorbeterin arbeiten." All die anderen Inhalte, die sie gelernt hat - Koranrezitation, Gemeindearbeit, soziale Arbeit, Seelsorge - all das werde sie machen.

Zwischen den Teilnehmenden des ersten Jahrgangs am IKD habe sie sich von Anfang an sehr wohl gefühlt. Die vier Frauen der Gruppe, die alle türkisch beherrschen, sind zu Freundinnen geworden. Und auch mit vielen Männern hat sie sich sehr gut verstanden. Könnte sie sie Ausbildung verbessern, würde sie sich mehr externe Dozenten und Ausflüge in andere Institutionen wünschen.

Zwei neue Jobs gefunden

Die Zeit am Kolleg hat für sie auch viele Änderungen mit sich gebracht. Mittlerweile ist Demirkan-Çoban als Sozialarbeiterin für Frauen angestellt. Und nach einem Praktikum im Rahmen der Ausbildung, arbeitet sie als Seelsorgerin im Evangelischen Krankenhaus Oldenburg. "Da ist viel Bedarf. Von den Patienten - und auch von Ärzten oder Krankenschwestern, die Fragen haben." Welche Rolle ihre Ausbildung dabei gespielt hat, dass sie die neuen Jobs bekam, weiß sie nicht.

Sicher ist, dass sie sich dank der Ausbildung wie erhofft professionalisiert habe. Getreu dem Motto ihres Propheten Mohammed: "Suche Wissen von der Wiege bis zum Grab."

Die Dokumentation "45 Min: Deutschlands neue Imame - Wozu brauchen wir sie?" läuft heute um 22 Uhr im NDR Fernsehen.

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