Imam-Ausbildung am Islamkolleg: Auf Deutsch und offen für alle
Nach zwei Jahren Ausbildung erhalten am Sonnabend die ersten Absolventen und Absolventinnen der Imamausbildung am Islamkolleg Deutschland (IKD) in Osnabrück ihre Zeugnisse. Was haben sie genau gelernt und was ist das Neue an der Ausbildung?
Was ist das Neue am Islamkolleg?
Zum ersten Mal ermöglicht das IKD in Deutschland eine praktische Ausbildung für religiöses Betreuungspersonal von muslimischen Gemeinden, die ausschließlich auf deutscher Sprache und unabhängig von einzelnen national geprägten Verbänden stattfindet. Muslime jeder Herkunft und jeder islamischer Richtung können teilnehmen. Vorausgesetzt wird neben Deutsch, Koranrezitation auf Arabisch zu beherrschen. Zudem müssen die Teilnehmenden islamische Theologie studiert haben oder umfangreiche Erfahrungen aus der Gemeindearbeit mitbringen.
Was bietet das Islamkolleg genau an?
Es gibt zwei Ausbildungen: Die Ausbildung für muslimische Seelsorger dauert ein Jahr. Die Absolventen der Seelsorge-Ausbildung sollen anschließend in Krankenhäusern, Gefängnissen, bei der Polizei oder in der Bundeswehr tätig werden können. Die praktische Ausbildung für Personal von Gemeinden (Imam-Ausbildung) dauert zwei Jahre. Sie beinhaltet sieben Module, die auch einzeln belegt werden können. Die Seminare finden immer ein Wochenende im Monat digital oder in verschiedenen Städten in Deutschland statt: mit dabei waren bisher Osnabrück, Berlin und Kassel. Zudem reisten die Kollegiaten zum Beispiel bereits gemeinsam nach Serbien und Ägypten. Diese Reisen sind freiwillig. Die Ausbildung ist kostenlos.
Was wird im Islamkolleg gelehrt?
In der Imamausbildung gibt es sieben Module: Predigtlehre, Gemeindearbeit, Seelsorge, politische Bildung, Soziale Arbeit, Koranrezitation und gottesdienstliche Praktiken. Die beiden letzten Module werden in zwei Gruppen unterrichtet: Arabischstämmige Muslime und türkisch/balkanisch-stämmige Muslime. Denn zum einen fällt die Koranrezitation arabischen Muttersprachlern meist leichter und zum anderen unterscheiden sich die Abläufe im Gottesdienst bei Muslimen aus dem arabischen Raum und dem türkischen/balkanischen Raum. Die Teilnehmenden mussten Zwischen- und Abschlussprüfungen ablegen. Kursinhalte des ersten Jahrgangs waren zum Beispiel:
- Wie stelle ich einen Förderantrag für ein soziales Projekt in der Gemeinde?
- Wie gehe ich auf Kinder und Jugendliche und deren Lebenswelt ein?
- Wie berate ich eine Mutter bei Problemen?
- Was ist Extremismus und wie begegne ich dem?
- Welchen Einfluss hatte die Reformation auf deutsche Religionsgeschichte?
- Wie schreibe ich eine Predigt?
- Welche Ausspracheregeln gibt es bei der Koranrezitation?
- Wie wasche ich einen Toten richtig?
Wer sind die Teilnehmenden des ersten Jahrgangs?
Die Teilnehmenden leben in ganz Deutschland verteilt. Viele haben islamische Theologie in Deutschland oder im Ausland studiert. Einige haben auch in Syrien oder der Türkei eine praktische Imamausbildung durchlaufen und wollen nun die Fachbegriffe auf Deutsch lernen. Alle Kollegiat*innen sind bereits in Gemeinden oder muslimischer Seelsorge tätig. Einige leiten schon als Imam Moscheevereine oder betreuen Gefangene. Die allermeisten Teilnehmenden sind Sunniten, stammen aber aus verschiedenen Rechtsschulen, da sie türkische, syrische oder auch mazedonische Wurzeln haben. Ein Teilnehmer ist Konvertit. Ein Teilnehmer, der allerdings nur einen Teil der Ausbildung absolviert hat, ist Schiit. Diese Heterogenität gab es bisher bei keiner Ausbildung in Deutschland. 20 Männer und vier Frauen haben die Ausbildung begonnen. Drei Männer haben sie abgebrochen.
Wer steht hinter dem Islamkolleg?
Das IKD wird vom Bundesinnenministerium und dem Land Niedersachsen finanziert. Zunächst für fünf Jahre, bis 2025. Es erhält etwa eine Million Euro pro Jahr, 90 Prozent davon kommen vom Bundesinnenministerium. Die Dozent*innen sind in Teilzeit angestellt. Sie wurden in einem Bewerbungsverfahren ausgesucht und haben teilweise bereits an deutschen Universitäten unterrichtet. Geleitet wird das Kolleg von Bülent Uçar, Professor für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Osnabrück.
Bisher arbeiten fünf große nicht-türkische Verbände mit dem Islamkolleg zusammen. Sie vertreten gut 600 der etwa 2.500 Gemeinden in Deutschland: das Bündnis Malikitischer Gemeinden Deutschland (BMG), die Muslime in Niedersachsen (MiN), die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD), der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZRMD), der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). In ihren Moscheen fanden Seminare und Prüfungen statt. Im Kuratorium und wissenschaftlichen Beirat sitzen zudem Politikerinnen und Politiker von SPD, FDP, CDU und den Grünen sowie Professorinnen und Professoren zahlreicher Universitäten. Direktor Uçar betont, dass das Kolleg unabhängig arbeite und es keine Eingriffe von staatlichen Stellen oder anderen Akteuren in den Lehrplan gebe.
Wie wurden Imame in Deutschland bisher ausgebildet?
Seit 2010 kann man islamische Theologie in Deutschland studieren. Die praktische Gemeindearbeit konnten Interessierte bisher aber nur bei einzelnen muslimischen Verbänden, im Ausland oder in der Praxis selbst lernen. Viele Imame sind daher Autodidakten oder kommen aus dem Ausland. In Deutschland haben bisher verschiedene Verbände eine Ausbildung angeboten; beispielsweise der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) seit den 1980er Jahren, die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) seit 2014 und die Ditib seit 2020. Neben Deutsch und der Sprache des Korans, Arabisch, müssen die Teilnehmenden allerdings auch Türkisch können. Zudem beschränkt sich die Ausbildung der Verbände auf ihre Richtung des Islam, ihre sogenannte Rechtsschule.
Wieso sieht man Imame selten in den Medien?
Die Imame des größten muslimischen Verbands, der deutsch-türkischen Ditib, kommen immer noch zu großen Teilen aus der Türkei. Sie sind dort aufgewachsen, ausgebildet und werden als Beamte vom türkischen Staat bezahlt. Sie werden für fünf Jahre nach Deutschland geschickt und sprechen daher in der Regel kein Deutsch, kennen die Kultur und Politik nicht. Oft haben sie selbst Schwierigkeiten bei der Integration und wenig Kontakt zur außermuslimischen Gesellschaft. Der Generelsekretär der Ditib, Eyüp Kalyon, sagte dem NDR: "Wir haben insgesamt etwa 1.200 islamische Religionsbeauftragte in Deutschland und davon sind circa 250 in Deutschland sozialisiert. Sie sprechen die deutsche Sprache, haben die deutsche Staatsbürgerschaft." Auch die hier sozialisierten Imame werden in der Regel aus der Türkei bezahlt.
In kleinen, von Verbänden unabhängigen Gemeinden sind Imame oft ehrenamtlich tätig oder erhalten einen geringen Lohn. Sie arbeiten im Hauptberuf meist etwas anderes, weil das Gehalt als Imam in Deutschland oft nicht ausreicht, eine Familie zu ernähren.
Es gibt also zahlreiche strukturelle Gründe, die dazu beitragen, dass bisher Imame nicht gut Deutsch sprechen oder sich nicht in der Lage fühlen, sich an gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen.
Was sind die Aufgaben von Imamen?
Imam bedeutet "Vorsteher, Vorbild". Die primäre Aufgabe von Imamen ist die religiöse Bildung der Gemeindemitglieder. Sie leiten die Freitagspredigt und Pflichtgebete und geben Koranunterricht. Zudem sind Imame Seelsorger, führen Hochzeiten und Scheidungen durch und sind Ansprechpartner für Fragen und Sorgen der Gemeindemitglieder. Außerdem findet in Gemeinden Jugend-, Senioren, und Frauenarbeit statt. Viele Imame in Deutschland beteiligen sich an nachbarschaftlichem und interreligiösem Dialog. In kleinen Gemeinden müssen Imame sich auch darum kümmern, dass die Gemeinde funktioniert und bezahlen beispielsweise Rechnungen. Immer mehr Gemeinden merken auch, dass es hilfreich ist, Förderprojekte für die Gemeindearbeit beantragen zu können. Auch Frauen leisten all diese Arbeit - allerdings beten sie nicht Männern vor. Die meisten Rechtsschulen erlauben Frauen als Vorbeterinnen nur für Frauen.
Wie werden Imame bezahlt?
Das hängt von der Gemeinde ab. In kleinen, keinem Verband zugehörigen Moscheen, zahlen Mitglieder Beiträge. Diese müssen allerdings die laufenden Kosten der Moschee und das Gehalt des Imam abdecken. Letzteres ist dadurch oft gering, ein Minijob oder es gibt gar kein Geld. Denn islamische Gemeinden erhalten im Gegensatz zu christlichen Gemeinden keine Gelder vom deutschen Staat. Die Imame der Ditib Moscheen in Deutschland werden von der türkischen Religionsbehörde Diyanet bezahlt. Sie übernimmt nach Angaben der Ditib Millionenbeträge, die von den deutschen Gemeinden nicht zu stemmen wären. Manche Gemeinden erzielen Einnahmen über die Vermietung von Gebäuden oder durch die Organisation von Pilgerreisen.
Wie viele Muslime und Moscheen gibt es?
Es ist nicht bekannt, wie viele Menschen sich in Deutschland als Muslim*innen bezeichnen, da die Religionszugehörigkeit der Einwohner*innen nur in Ausnahmefällen erfasst wird. Eine Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht von 5,3 bis 5,6 Millionen Muslim*innen in aus. Die weitaus größte Gruppe hat türkische Wurzeln. Nur sehr wenige Muslim*innen leben in Ostdeutschland - sie sind meist in den vergangenen Jahren erst als Geflüchtete dorthin gezogen. Eine Studie aus dem Jahr 2012 schätzte die Zahl der Moscheen auf 2.350. Mittlerweile gehen Experten von etwa 2.500 Moscheen aus.
Wie geht es mit dem Islamkolleg weiter?
Ob die Finanzierung nach 2025 weitergeht, ist noch offen. Mittlerweile hat der dritte Jahrgang die Ausbildung begonnen. Das IKD hat einen externen Prüfer engagiert, der die Ausbildung beurteilen soll. Es arbeitet neben der Lehre auch am Aufbau von Strukturen. In den ersten zwei Jahren seien Lehrstandorte und Ausbildungsinhalte immer wieder angepasst worden, sagt Uçar. "Wenn sie keine Vorgänger haben, müssen sie ganz viel ausprobieren."
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