Brandschutzauflagen: Konzerte auf dem Dorf stehen vor dem Aus
Weil die niedersächsische Bauordnung geändert wurde, darf das Sinfonische Blasorchester nicht mehr wie jedes Jahr in der heimischen Turnhalle auftreten. Ein herber Schlag für Musiker und Publikum.
Einzelne Posaunenklänge tönen durch den Saal, verschiedene Percussion-Instrumente werden aufgebaut, weiter vorne stimmt eine Musikerin gerade ihre Querflöte. Es ist Probentag des Sinfonischen Blasorchesters Wehdel. Eigentlich würden die 65 Amateur-Musikerinnen und -Musiker sich jetzt auf ihre Auftritte vorbereiten. Zwei Konzerte haben sie immer in der eigenen Gemeinde gespielt, gut besucht in der Grundschulturnhalle der 2.300-Seelen-Ortschaft Wehdel. Aber das geht ist nun vorbei.
Konzerte auf dem Dorf: Jahrzehntelang war alles gut
"Ich bin wirklich stinkig", sagt Rainer Tober, Vorsitzender des Orchesters, das schon oft Wettbewerbe gewonnen hat und als eines der besten Amateur-Orchester in Norddeutschland gilt. "Jahrzehnte lang ging alles gut, das Publikum war begeistert von unserem Heimspiel, und jetzt wird uns von oben herab gesagt, das es so nicht mehr geht."
Feste und Konzerte werden kompliziert und teuer
Der Grund: Laut überarbeiteter niedersächsischer Bauordnung muss nun ein Bauantrag gestellt werden, wenn mehr als 200 Personen in die Turnhalle kommen. Sie gilt dann als Versammlungsstätte. 2022 begehrte schon die Landjugend auf, da Scheunenfeste mit der neuen Bauordnung nur äußerst kompliziert und kostenintensiv zu beantragen waren. Ein Jahr später stellte das Bauministerium Erleichterungen in Aussicht - die auch für kulturelle Veranstaltungen gelten würden.
Musik verliert gegen Bürokratie
Für das Sinfonische Orchester in Wehdel ist aber auch der erleichterte Bauantrag eine zu hohe Hürde. "Der Landkreis Cuxhaven sagte uns, dass es mindestens drei Monate dauert, bis über so einen Antrag entschieden wird", sagt der Vorsitzende Tober. "Damit können wir nicht planen. Die Auflagen sind auch zu hoch: Wir müssten feuerfeste Dekorationsstoffe verwenden, gegenüberliegende Notausgänge haben. Die Stühle müssten ineinander verkeilt werden. Solche Stühle gibt es hier schon lange nicht mehr", klagt er.
Konzerte müssen abgesagt werden
Schweren Herzens sagte er nach vielen Gesprächen in der Gemeinde und mit seinen Orchestermitgliedern die zwei Konzerte in der Turnhalle ab. Nun tritt das Orchester nur noch in Bremerhaven und Bremen auf. "Das finde ich ganz entsetzlich!", sagt Bettina Oltmanns. Die Konzerte in Wehdel kurz vor Weihnachten standen immer fest in ihrem Kalender. "Viele ältere Menschen aus unserer Gemeinde sind nicht mehr in der Lage, nach Bremerhaven zu fahren. Sie müssen komplett auf ein Konzert des Orchesters verzichten", erklärt die Wehdelerin.
Neues Gesetz: Im Notfall zähle jede Sekunde
Henrik Wärner (CDU) ist Bürgermeister der Gemeinde Schiffdorf, zu der die Ortschaft Wehdel gehört. "Wenn kulturelle Veranstaltungen bei uns im ländlichen Raum nicht mehr stattfinden können, sondern in die Nachbarstädte ausweichen müssen, ist das ein herber Schlag für uns", sagt er. Aber gegen das Gesetz kann er nichts tun. Aus dem Bauministerium in Hannover heißt es, der Bauantrag und die damit einhergehenden Auflagen seien "aus Sicherheitsaspekten und der Fluchtthematik wichtig, denn in geschlossenen Räumen zählt bei einer Evakuierung von 200 Besucherinnen und Besuchern jede Sekunde."
Auflagen im Brandschutz bedrohen Kultur auf dem Dorf
"Aber wir haben uns doch schon in den vergangenen Jahrzehnten um den Brandschutz gekümmert", hält Orchestervorsitzender Tober dem entgegen. "Wir hatten viel Platz zwischen den Stuhlreihen, in den Pausen war die Halle innerhalb von zwei Minuten leer." Auch der musikalische Leiter des Orchesters, Thomas Ratzek, bedauert die Absage der heimischen Konzerte sehr: "Natürlich war die Turnhalle nie ein hochwertiger Konzertsaal. Aber es war unsere Heimat, die Stimmung war wahnsinnig gut, da sind früher Kinder rumgesprungen, die spielen jetzt selbst im Orchester."
Bisher keine Lösung in Sicht
Eine Lösung scheint derweil nicht in Sicht zu sein. Rainer Tober möchte jetzt eine Petition starten, um größere kulturelle Veranstaltungen auf dem Land zu erhalten. 65 Unterschriften aus dem Orchester hat er schon sicher.