Prozessstart: Dickes Musik-Geschäft mit Hass und Hetze?
Vor dem Landgericht Lüneburg müssen sich seit Dienstag fünf Männer verantworten, weil sie rechtsextreme Musik hergestellt haben sollen. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle sieht in der Gruppe eine "kriminelle Vereinigung".
Die Cover der Schallplatten sind düster, Hakenkreuze sind auf den Titeln, Hitler wird in den Texten verehrt, Juden und vermeintliche Ausländer verhöhnt. Sichergestellt wurden sie bei Hausdurchsuchungen in fünf Bundesländern, jetzt lagern sie in einem Überseecontainer der Polizeidirektion. Die Ermittler von der Zentralen Kriminalinspektion Oldenburg haben die Titel durchgehört. "Ermittlungskomplex Tinnitus" nennen sie mit etwas Galgenhumor intern den Vorgang, den sie eineinhalb Jahre bearbeitet haben. Der Oldenburger Polizeipräsident Andreas Sagehorn will seine Abscheu nicht verbergen: "Das sind gewaltverherrlichende, hasserfüllte Texte. Das einem so etwas überhaupt über die Lippen gehen kann! Das ist für mich persönlich ehrlich gesagt kaum zu ertragen."
Im Fokus stand ein Netzwerk
Das besondere an den Ermittlungen der Oldenburger Staatsschützer sind allerdings nicht die Texte. Es ist die Fragestellung, mit der die Ermittler gearbeitet haben: Wer ist an der Wertschöpfungskette der Musikproduktionen beteiligt? Wer macht die Cover, wo werden die Schallplatten gepresst, wer hat Lizenzen, wie läuft der Vertrieb?
Mutmaßlicher Rädelsführer in Untersuchungshaft
Angeklagt sind fünf Männer zwischen 34 und 54 Jahren. Sie sollen seit 2018 als kriminelle Vereinigung gehandelt haben, mit unterschiedlichen Rollen. Gemeinsam sollen sie rund 28.000 Tonträger vertrieben und damit rund 285.000 Euro erwirtschaftet haben. Der mutmaßliche Rädelsführer, Lasse K. aus dem Landkreis Lüneburg, soll laut Anklage zahlreiche Lizenzen gehabt haben. Er gilt als Strippenzieher in der Szene, seit Oktober ist er in Untersuchungshaft. Anfragen des NDR Niedersachsen an seinen Verteidiger laufen ins Leere.
Einblicke in die rechtsextreme Musikszene
Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs von der Universität in Mainz ist gespannt, was der Prozess der Öffentlichkeit offenbart - etwa wie viel Geld mit der Produktion von Schallplatten gemacht wird. Er hat den Verdacht, dass die Einnahmen aus der Musikproduktion wieder in die Szene zurückfließen: "Auch deshalb ist es so wichtig, dass hier bei diesem Prozess nicht nur einzelne Bands oder einzelne Labels angeklagt sind, sondern ein komplettes Produktionsteam."
Aussteiger: "Über die Musik habe ich gelernt, zu hassen"
Die Produktion erstreckt sich oft über mehrere Länder, in denen andere Gesetze gelten. Philipp Schlaffer war bis vor seinem Ausstieg aus der Szene selbst Neonazi. Auch er hat ein Auge auf die Ermittlungen der Polizei Oldenburg. Musik ist zentral für die rechtsextreme Szene, er hat es selbst erlebt. "Ich habe mich über die Musik radikalisiert", sagt er im Interview mit dem NDR Niedersachsen. "Die Musik hat mir gesagt, wer alles vermeintlich Schuld hat: 'die da oben', die Politiker, die Ausländer, die Juden, die Muslime. Über die Musik habe ich gelernt, zu hassen." Er fordert, dass der Staat öfters klare Kante zeigen sollte. "Hier muss man mit dem Prinzip der tausend Nadelstiche arbeiten. Ich selbst bin viel zu lange mit Straftaten durchgekommen."
Fünf Männern könnten weitere Anklagen drohen
Im Falle einer Verurteilung könnten die Männer Strafen zwischen Geldzahlungen und fünf Jahren Haft auferlegt bekommen. Doch bei den Ermittlern in Oldenburg dürfte die Akte dicker sein, als es auf den ersten Blick scheint. Möglicherweise folgen weitere Anklagen, wenn das Gericht hier der Generalstaatsanwaltschaft Celle folgt und eine kriminelle Vereinigung erkennt.