"Es ist verdammt hart, verdammt schwer"
Tod, Verwundung und Trauma des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr beschäftigen Soldaten, Politiker und Öffentlichkeit bis heute. Bei den Fallschirmjägern im niedersächsischen Standort Seedorf ist die Erinnerung an das fatale Karfreitags-Gefecht 2010 noch lebendig - damals starben drei Kameraden. Drei überlebende Soldaten schildern ihre Erlebnisse eindrücklich in der Radio-und Podcastserie "Killed in Action - Deutschland im Krieg" von NDR Info. Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) kritisiert darin auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Sparkurs in der härtesten Phase des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr.
Ein schlichter Gedenkstein mit drei Holzkreuzen erinnert in der Fallschirmjägerkaserne Seedorf an die Gefallenen vom 2. April 2010. Das Karfreitags-Gefecht gilt wegen seiner Intensität als schwerstes Gefecht seit Bestehen der Bundeswehr. Acht Stunden dauerten die Kämpfe zwischen Taliban und den niedersächsischen Fallschirmjägern. Drei Deutsche starben, acht weitere erlitten teils lebensgefährliche Verletzungen.
"Tapfer zu verteidigen, das heißt in der Konsequenz auch zu kämpfen, seine Gesundheit oder gar sein Leben einzusetzen. Das hat uns das Karfreitags-Gefecht deutlich gemacht", sagte im Frühjahr der damalige Standort-Kommandeur Christian von Blumröder in einer Ansprache vor jungen Rekruten in der Kaserne.
Ein "ungutes Gefühl" bestätigt sich
Axel Hammers ist wichtiger Teil des kollektiven Gedächtnisses der Seedorfer Fallschirmjäger. Als Spieß war er hier zwölf Jahre lang als "Mutter der Kompanie" einer der wichtigsten Ansprechpartner der Soldaten.
Hammers erinnert sich, wie er seine "Buben" am 2. April 2010 im Bundeswehr-Feldlager in Kundus verabschiedet hatte und selbst mit einem "unguten Gefühl in der Magengegend" zurückblieb. Das bestätigte sich nur wenige Stunden später. Als ein Kamerad die erste Todesnachricht überbrachte, "musste ich wirklich erstmal heftig schlucken und wusste nicht, was da noch auf mich zukommt". Weitere Hiobsbotschaften sollten folgen.
Taliban-Kämpfer lösen eine Sprengfalle aus
"Allahu akbar" ("Allah ist groß") ist in einem Propaganda-Video der Taliban zu hören, als sie in den Mittagsstunden am Karfreitag 2010 das Feuer auf die Fallschirmjäger der Bundeswehr im Dörfchen Isa Khel nahe Kundus eröffnen. Die Einheit sucht die Straße auf Minen ab. Maik Mutschke ist Teil eines Trupps, der eine kleine Aufklärungsdrohne bergen soll, die in einem Feld abgestürzt war. Und er läuft damit den Taliban vor die Mündung. Es folgt heftiger Beschuss und es gibt erste Verletzte. Mutschke will Hilfe holen. "Jungs und Mädels hier, egal wie, einer muss sich von uns lösen", habe er damals gesagt, erzählt der heute 33-Jährige. "Dann bin ich aufgesprungen, zur linken Seite Richtung Feuerstellung weggerannt. Wir hatten von rechts, von vorne und von links Feuer. Es gab keine andere Möglichkeit."
Mutschke ist erfolgreich. Doch das Schlimmste kommt noch. Ein Dingo, ein gepanzerter Truppentransporter, wendet mitten in Isa Khel, um sich auf den Rückweg zum deutschen Lager zu machen. Da lösen die Taliban-Kämpfer eine Sprengfalle aus. Maik Mutschke überlebt mit Glück, aber schwerstverletzt. Sein halbes Gesicht ist weggerissen, er hat Verbrennungen, Schädel-Hirn-Trauma, einen gelähmten Arm.
"Ich konnte sowieso nichts machen"
Auch Alex, wie er schlicht genannt werden will, ist an diesem Tag draußen. Sein Feldjägertrupp soll die Umstände des Gefechts klären. Doch noch wird heftig geschossen und er wird zum nahegelegenen afghanischen Polizeihauptquartier von Char Darrah umgeleitet. Doch davor stauen sich die vielen Bundeswehr-Fahrzeuge auf der Hauptstraße.
Plötzlich sieht Alex einen roten Blitz aus der Mündung eines Raketenwerfers der Taliban. "Und in dem Moment bin ich in Starre verfallen, ich konnte sowieso nichts machen." Bis heute kann er sich nicht an den Einschlag der Rakete erinnern, die den heute 35-Jährigen knapp verfehlte. Doch dieser Moment verändert Alex' Leben komplett. Gegen seine schwere Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kämpft er bis heute.
Waren viele Soldaten "kriegsgeil"?
Philipp Pordzik war an diesem Karfreitag 2010 nicht von Anfang an im Gefecht. Der Zugführer hatte mit seinen Fallschirmjägern Bereitschaft und wurde zur Verstärkung gerufen. Aber niemand wusste, wo Freund und wo Feind waren, erinnert er sich. Chaos pur habe geherrscht. "Wir haben ungeführte Soldaten gesehen, die irgendwo in eine Richtung geschossen haben", erinnert sich der 42-Jährige, der heute als Fallschirmjäger-Ausbilder in Oberbayern arbeitet.
Bei "dynamischen Gefechten" wie diesem sei es "schwierig, immer ein umfassendes und genaues Lagebild zu halten", erklärt das Einsatzführungskommando der Bundeswehr auf Anfrage von NDR Info. Nach Ansicht Pordziks gab es damals viele Fehler und Versäumnisse. Auch weil viele Soldaten "kriegsgeil" gewesen seien, die sich "Sporen im Kampf verdienen" wollten. Andere widersprechen: Es habe damals keine offene Rechnung mit den Taliban gegeben. Niemand habe das Gefecht gesucht.
Zu Guttenberg kritisiert Amtsvorgänger Jung ...
Die Taliban hatten den Hinterhalt geplant und die schwerbewaffneten Deutschen besiegt. Und das ein halbes Jahr, nachdem bei einem von der Bundeswehr befohlenen Bombardement von zwei Tanklastern afghanische Zivilisten ums Leben gekommen waren. Bei der Trauerfeier für die Gefallenen des Karfreitags-Gefechts sprach der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) aus, was viele Soldaten lange schon hören wollten. "Was wir am Karfreitag in Kundus erleben mussten, das bezeichnen die meisten verständlicherweise als Krieg. Ich auch."
Seinem Amtsvorgänger Franz Josef Jung (CDU) wirft zu Guttenberg im NDR Info Interview ein "Abducken vor der Wahrheit und vor den Realitäten" in Afghanistan sowie "ein Gedruckse, ein Herumgeeier" vor. Jung verteidigte im Gespräch für die Radio- und Podcastserie "Killed in Action - Deutschland im Krieg" seine damalige Wortwahl. Er habe militärische Begriffe wie Krieg nicht forcieren wollen und von einem Stabilisierungseinsatz gesprochen, um deutlich zu machen, dass man in Afghanistan allein militärisch nicht gewinne: "Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung keine Sicherheit. Ich habe deshalb auch bewusst nicht vom Krieg gesprochen, weil Krieg natürlich genau nicht dieses Konzept der vernetzten Sicherheit beinhaltet."
Zu Guttenberg sagte, das habe ihn damals geärgert, weil man für Unterstützung für die notwendige Ausrüstung im Einsatz hätte werben müssen. "Und wenn man von Stabilisierungseinsätzen spricht und den Eindruck vermittelt, dass wir im Wesentlichen winken und Brunnen buddeln, ist natürlich dann auch kaum die Zustimmung aus einem Bundestag und von anderen Entscheidungsträgern zu erwarten."
... und auch Kanzlerin Merkel
Zu Guttenberg wird heute oft vorgehalten, sich einseitig auf Auslandseinsätze konzentriert zu haben und für den Sparkurs der Bundeswehr verantwortlich zu sein. Der CSU-Politiker weist diese Vorwürfe zurück und verweist auf die Rolle der Bundeskanzlerin. Obwohl er sich in seiner Amtszeit von 2009 bis 2011 gegen die Kürzungen gewehrt habe, um die Truppe besser für Auslandseinsätze wie in Afghanistan auszustatten, habe Kanzlerin Angela Merkel "erhebliche Sparmaßnahmen" eingeleitet.
"Die Sparbemühungen damals gingen vom Bundeskanzleramt aus", so zu Guttenberg - und sie seien von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) "mit großer Vehemenz mitgetragen" worden. Den Schuh müsse sich Merkel anziehen. Er selbst habe dagegen eine "bessere Professionalisierung der Bundeswehr" gefordert und bessere Ausrüstung für die Soldaten, die damals die härteste Phase des Afghanistan-Einsatzes erlebten.
Bundeswehr-Ärzte schätzen: Zehntausende sind psychisch krank
Noch im Einsatz hat Axel Hammers versucht, den Beteiligten des Karfreitags-Gefechts bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu helfen. "Da geht man dann mit ganz, ganz viel Emotion ran und muss die auch mal in den Arm nehmen, trösten und über den Kopf streicheln." Seit vergangenem Jahr berät der 50-Jährige in Seedorf hauptamtlich sogenannte Einsatzgeschädigte, hilft ihnen unter anderem durch den Bürokratie-Dschungel.
Nach einer Studie von Sozialwissenschaftlern der Bundeswehr wurden zwischen 2002 und 2014 in Afghanistan etwa 260 Soldaten verwundet. Zehntausende sind nach Schätzungen von Bundeswehr-Ärzten psychisch krank. Etwa drei Prozent aller Soldaten leiden unter Psychotraumatischen Belastungsstörungen - Soldaten wie Alex, der durch das Einsatzweiterverwendungsgesetz noch halbtags bei der Bundeswehr im Harz arbeiten kann und in Therapie ist. Aber er hat durch die Krankheit alle Freunde verloren, kann nicht mehr ohne Angstzustände in die Öffentlichkeit - und er erlebt die Bilder vom Einsatz immer wieder "in Endlosschleife". Nur seine Frau und sein Sohn ließen ihn durchhalten, "aber es ist verdammt hart, verdammt schwer."