"Haus Orange": Ein Ort für obdachlose Frauen mit Suchterkrankung
Werden Frauen Opfer von häuslicher Gewalt oder wohnungslos, können sie in ein Frauenhaus gehen. Suchtkranken Frauen bleibt die Aufnahme allerdings verwehrt. Im "Haus Orange" in Lehrte geht das nun.
Julia ist nervös und zündet sich noch schnell eine Zigarette an. Julia ist seit 35 Jahren drogensüchtig. Marihuana, Heroin, Crack. Die ganze Bandbreite, erzählt sie. Über all das, was sie in der Zeit erlebt hat, will sie nicht im Detail reden oder hat es vergessen, erzählt sie uns. Und sie heißt auch gar nicht Julia, aber ihren richtigen Namen und ihr Alter behält sie für sich. Aber das, was sie erzählt, beeindruckt und berührt. "Das ist auch so 'ne Sache mit Heroin. Du denkst, du bist auf voll dem geilen Tripp und führst auch tolle Gespräche, aber im Nachhinein kannst du dich an gar nichts mehr erinnern und alles ist wie nie dagewesen. Du verschläfst dein Leben."
Entzug für Drogenabhängige: So oft wirkungslos
Julia zieht mit 17 von zu Hause aus, schnell kommt sie mit harten Drogen in Kontakt. Wechselnde Partner und Wohnorte, häusliche Gewalt, ein Gefängnisaufenthalt. Seit 2001 ist Julia in einem sogenannten Substitutionsprogramm. Sie bekommt regelmäßig die medizinische Ersatzdroge Polamidon. Die Droge Crack, also rauchbares Kokain, konsumiert sie nur noch ab und zu, sagt sie. "Ich habe natürlich auch viele Entzüge gemacht, aber meistens machst du das nur für die anderen. Sobald ich raus war, habe ich mir sofort wieder was besorgt. Man muss wirklich bereit sein, jetzt schaffe ich das noch nicht."
Andere Menschen meiden Suchtkranke
Fünf Jahre hat Julia mit ihrer Sucht in einer Dachgeschosswohnung gelebt. Bis sie raus musste. Die Eigentümer wollten neu vermieten. Für Julia war das nur ein Vorwand, um sie loszuwerden: "Wir haben uns eigentlich gut verstanden, aber es ist halt so, dass die meisten einfach nichts mit uns zu tun haben wollen. Das wird denen dann doch zu viel und die denken sich: 'Oh Gott, das wollen wir nicht'." Durch die Drogenberatungsstelle in Lehrte (Region Hannover), wo sie regelmäßig das Polamidon holt, kannte Julia das "Haus Orange" und wusste, dass ein Zimmer frei wird. Ihre letzte Rettung. "Die meisten haben ja auch keine richtigen Freunde mehr. Bekannte hat man viele. Ich wüsste jetzt nicht, wo ich alternativ hin könnte."
Nur "Haus Orange" nimmt Frauen mit Suchterkrankung auf
Lea Paulmann, Sozialarbeiterin und Leiterin vom "Haus Orange", hat die Institution im Januar 2023 ins Leben gerufen. Sie weiß, wie schwer es suchtkranke Frauen haben, als "noch Konsumierende" eine Bleibe zu finden. In Pensionen für wohnungslose Frauen oder Frauenhäusern werden in Niedersachsen suchtkranke Frauen nicht aufgenommen. Es fehle dort häufig erfahrenes Personal. Außerdem werden die Frauen dort häufig stigmatisiert, so Paulmann.
Einzigartiges Angebot in Niedersachsen
"Ich hatte eine Klientin, die ist suchtkrank und die hat dreimal beim Frauennotruf angerufen, weil ihr Partner sie geschlagen hat. Sie wurde dreimal abgelehnt - aufgrund der Suchterkrankung. Das heißt, du hast die Wahl: 'Entweder, ich gehe zu dem Mann zurück, der mich schlägt, oder ich sitze auf der Straße'", sagt die Sozialarbeiterin. Im "Haus Orange" können die Frauen trotz ihrer Suchterkrankung leben. So füllt es eine Angebotslücke. Das ist in dieser Form in Niedersachsen einzigartig.
Frauen leben selbstständig im Haus
Alle Frauen im "Haus Orange" haben schon häusliche Gewalterlebt. Sprechen möchte darüber hier allerdings keine. Zu groß die Angst, erkannt zu werden. Insgesamt gibt es im Haus fünf Zimmer, mit Platz für sechs Frauen, ein Gemeinschaftsraum mit Küche, drei Bäder und einen großen Garten. Die Frauen leben hier vollkommen autark und selbstständig. Das Haus wird von der Region Hannover finanziert. "Sie bekommen kein Taschengeld und wenn was fehlt, wie zum Beispiel Klopapier oder Kaffee, dann müssen sie dafür selbst sorgen", sagt Paulmann.
Keine Drogen im Haus und kein Besuch
Trotzdem sind Leiterin Paulmann und auch die zwei Mitarbeitenden jederzeit ansprechbar, um die Frauen in ihrem Alltag zu unterstützen. Wenn es beispielsweise um Therapieplätze und Behördenangelegenheiten geht oder um einfach mal "zu quatschen". Einmal die Woche findet ein Hausmeeting statt. Es ist die einzige Pflichtveranstaltung. Ansonsten gibt es im Haus zwei Regeln: Kein Drogenkonsum im Haus und kein Besuch. "Beim Konsum bin ich nicht ganz so streng", erzählt Paulmann, "Wenn ich das mitbekomme, gibt es erst nur eine Abmahnung. Da würde keine Frau gleich rausfliegen." Bei dem Besuchsverbot sei sie aber rigoros, erzählt Paulmann. "Wenn ich das mitbekomme, dann muss die Frau sofort gehen."
Hilfe zur Selbsthilfe bei Drogensucht
Eigentlich soll das Übergangswohnen nach einem Jahr vorbei sein, aber so rigoros gehandhabt wird das nicht. "Ich würde nie einer Frau die Pistole auf die Brust setzten und sagen: 'Du musst jetzt raus.' Das nimmt ihnen auch den Druck. Die Frauen sollen sich hier wohlfühlen. Wir machen Hilfe zur Selbsthilfe, solange es eben dauert." Mit dem Ziel, dass die Frauen hinterher in eine eigene Wohnung ziehen können. Julias Traum ist es, mit einer der Mitbewohnerin in diesem Jahr noch auszuziehen und in einer WG zu leben. "Wir verstehen uns sehr gut. Und wer ist schon gerne alleine?"