Gleitzeit: Schule in Rinteln bietet flexiblen Unterrichtsbeginn
In Rinteln können Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen (BBS) wählen, ob sie zur ersten oder zweiten Stunde anfangen. Die BBS erprobt ein neues Gleitzeitsystem. Schüler und Lehrer sind begeistert.
Die erste Unterrichtsstunde von Lisanne Thoke ist anders. Statt Deutsch, Mathe oder Pädagogik legt sich die 18-Jährige zusammen mit vier weiteren Schülerinnen im Klassenraum auf Yoga-Matten. Über Kopfhörer im Ohr werden sie auf eine Traumreise geschickt. Die Schüler sollen mithilfe von meditativer Musik entspannen. Kraft tanken für den Tag, weg mit dem Stress. Einen Raum weiter gibt Alexander Beyer gerade Mathe-Nachhilfe. Schüler helfen Schülern. Auch das ist ein Zusatzangebot der sogenannten bunten Stunde, sie gehört zum Gleitzeitkonzept der Schule, genauso wie Sprachkurse und Gitarrenworkshops.
Schüler haben die Wahl
Am Berufsgymnasium in Rinteln (Landkreis Schaumburg) gibt es die klassische erste Schulstunde nicht mehr. Die 300 Schülerinnen und Schüler haben stattdessen die Wahl: Sie können die Angebote der bunten Stunde wahrnehmen, Projektaufgaben für den Unterricht erledigen, oder ausschlafen und zur zweiten Stunde kommen, erklärt der Abteilungsleiter des Gymnasiums Eike Blohm. "Cool Flex" heißt das im Stundenplan. Diese Wahlfreiheit schätzen die Schüler. "Man ist ein bisschen mehr wach, ein bisschen mehr da und kann besser aufnehmen, was die Lehrer einem sagen", sagt der 17-jährige Benjamin Licht.
Gleitzeit als Win-Win-Situation
Das Gleitzeitmodell wurde als Pilotprojekt nach den Herbstferien 2023 eingeführt. Seit diesem Schuljahr ist es fester Bestandteil des Stundenplans. Das hätten die Lehrkräfte alle gemeinsam so entschieden, sagt Abteilungsleiter Blohm. Das Konzept sorgt auch für mehr Flexibilität im Lehrerzimmer. Beispiel: Kinderbetreuung. "Heute hatte ich die Möglichkeit, später anzufangen. Das heißt, ich hatte mehr Zeit, meine Tochter in den Kindergarten zu bringen", sagt Lehrer Daniel Harting. Auf der anderen Seite hätten Lehrer mehr Zeit, die Schüler individuell bei den Aufgabenstellungen zu begleiten. Dies sei eine Win-Win-Situation für beide Seiten.
Experten fordern späteren Unterrichtsbeginn
Seit Jahren fordern Wissenschaftler einen späteren Unterrichtsbeginn an Schulen. Die Jugendlichen seien um kurz vor 8 Uhr noch nicht aufnahmefähig. Dies lasse sich auch schlaf-biologisch nachweisen, sagt Blohm. Das Schlafhormon Melatonin werde bei Jugendlichen am Abend bis zu zwei Stunden später ausgeschüttet. Sie seien folglich auch später müde und länger wach. Und: Etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler habe einen Nebenjob, um beispielsweise den Führerschein zu finanzieren, so Blohm. Viele arbeiteten im Einzelhandel oder in der Gastronomie - teilweise bis spät abends. Hinzu kommen die mitunter langen Anfahrtswege morgens zur Schule. Deswegen solle den Schülern ein späterer Unterrichtsbeginn möglich gemacht werden, ohne das Stunden hinten dran gehängt werden müssen, erklärt Blohm. Über den Tag verteilt gibt es Gleitzeit- aber auch weiterhin feste Unterrichtsstunden. Zentraler Bestandteil des Gleitzeitsystems ist Projektarbeit. Wo und wann Schülerinnen und Schüler ihre Aufgaben für Deutsch, Pädagogik oder Informatik erledigen, entscheiden sie selbst. Dreimal innerhalb eines Schuljahres geben die Schüler an, wann sie innerhalb der Woche Gleitzeitunterricht haben möchten. Auf Basis der Wünsche wird ein Stundenplan mit Gleitzeitstunden für alle erstellt. Dementsprechend teilt die Schule dann die Lehrkräfte ein.
Ein Erfolgsmodell für Niedersachsen?
Schüler und Lehrer sprechen bei der Gleitzeit von einem Erfolgsmodell. Mehrere Berufsbildende Schulen hätten schon Interesse gezeigt. Das Land Niedersachsen stellt es den Schulen frei, einen späteren Unterrichtsbeginn anzubieten. Ist also das flexible Stundenplansystem auf andere Schulen übertragbar? Ja, meint Blohm. Besonders gut funktioniere das Modell im Oberstufenbereich, also in den Klassen 11 bis 13. Denn für diese Schüler funktioniere beispielsweise die Morgenroutine ohne Hilfe der Eltern. Eine gewisse Selbstständigkeit werde da vorausgesetzt - und auch gefördert. Gerade das schätzt Schülerin Lisanne an der Gleitzeit. Sie sei durch die neue Freiheit selbstständiger geworden. Diese Planungsfähigkeit könne sie für das Studium oder den Beruf gut gebrauchen.