Entführt zum IS? Der Kampf einer Mutter
"Ich bin jeden Tag in Gedanken bei ihm, jede Minute und jede Sekunde", erzählt Lena K. "Bis heute habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Yasin noch lebt und dass ich ihn wiedersehen werde, irgendwann." Yasin aus Wolfsburg ist heute neun Jahre alt. Vor eineinhalb Jahren wurde der Junge offenbar von seinem Vater nach Syrien entführt. Der Vater schloss sich dort anscheinend dem IS, dem "Islamischen Staat" an. Wo sich ihr Sohn genau aufhält, weiß Lena K. nicht. In einem Telefonat sagte ihr Ex-Mann einmal, die beiden seien in Raqqa, der Hauptstadt des IS.
Vater und Sohn kommen nicht zurück
Es war im August 2014: Yasins Eltern leben getrennt. Der Vater aber darf das Kind regelmäßig sehen und so fahren sie gemeinsam in den Ferien zu seiner Familie nach Algerien. "Ich habe ihm vertraut und nie gedacht, dass er mir mein Kind wegnimmt", sagt Lena K. Doch Vater und Sohn kommen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt zurück, die Mutter gibt in Deutschland eine Anzeige wegen Kindesentführung auf. "Dieses Warten war die Hölle, ich wusste ja nicht, wo sie sind." Nur ein WhatsApp-Profilbild des Vaters lässt Rückschlüsse zu: Darin findet Lena K. ein Maschinengewehr. Später meldet sich ihr Ex-Mann kurz telefonisch und teilt mit, er befinde sich im Gebiet des IS.
"Das war ein Schock und ich musste das erst mal verarbeiten, es gab ja keine Anzeichen dafür, dass er dorthin will", erinnert sich Lena K. Sie beginnt zu recherchieren, kommt monatelang nicht richtig vorwärts. "Ich beschloss, nach Algerien zu seiner Familie zu reisen." Dort erfährt sie, dass die Familie ihres Ex-Mannes mit ihm in Kontakt steht. Nach ein paar Tagen war es so weit: Ihr Ex-Mann rief an. Es folgten einige Telefonate, endlich durfte sie mit ihrem Sohn sprechen. Er sagte: "Ich bin beim IS. Ich habe ein Haus und einen Garten. Mir geht es besser als in Deutschland." Für Lena K. klang das wie ein Roboter, wie nach einer Gehirnwäsche. "Yasin ist eigentlich jemand, der locker drauf los spricht. Ich hatte das Gefühl, dass ihm gesagt wurde, was er sagen soll, er klang auch nicht fröhlich."
Zwar war der internationale Sozialdienst über die deutsche Botschaft in Algerien von Anfang an in den Fall involviert, doch erreichen konnte der so gut wie nichts. "Die Familie meines Ex-Mannes hat den Kontaktversuch der Botschaftsmitarbeiter abgeblockt", erklärt Lena K.
Keine Anzeichen für eine Radikalisierung
Wo hatte sich ihr Ex-Mann radikalisiert? Erst später findet Lena K. über seine Facebook-Freunde heraus, dass er Kontakte zu Salafisten hatte. Yasins Vater ging in Wolfsburg in die DITIB-Moschee am Hauptbahnhof. Dort trafen sich auch viele junge Männer, die später nach Syrien zum IS ausgewandert sind, darunter Bilel H., der inzwischen offenbar getötet worden ist. Mouhannid M., ebenfalls aus Wolfsburg, soll sich noch im syrischen Raqqa befinden.
Doch nach Angaben der Sicherheitsbehörden gab es keinerlei Anzeichen, dass Yasins Vater sich radikalisiert, noch dass er vorhatte nach Syrien zu reisen.
Die Beziehung der Eltern beginnt als eine Liebe wie jede andere. Die beiden heiraten in Algerien. Später wird Yasin geboren. Doch immer häufiger gibt es Streit, vor allem seit sich Yasins Vater mit einem Internet-Café selbstständig gemacht hatte. "Das lief nicht so, wie er sich das vorstellte. Er verlor die Lust daran. Er wollte auch nicht mehr viel mit der Familie unternehmen", erzählt Lena K. 2008 trennen sich die Eltern, 2013 wird die Scheidung eingereicht. Als sie 2014 rechtskräftig wird, ist Yasin schon nicht mehr in Wolfsburg.
Kontrolle und Abschiebehaft
Lena K. will die Suche nicht aufgeben, fordert ihren Ex-Mann auf, Yasin in die Türkei zu bringen. Doch darauf lässt er sich nicht ein. Sie vereinbaren ein Treffen irgendwo in Syrien. Alleine macht sich die Wolfsburgerin auf den Weg. Sie war sich sicher, ihr Plan könne funktionieren. Sie wollte unbedingt mit ihrem Sohn sprechen, ihn vielleicht endlich nach Hause holen. Zunächst verläuft alles nach Plan. Sie fliegt in die Türkei, fährt stundenlang weiter mit dem Bus. Yasins Vater vermittelt ihr einen Schleuser, sie kommt ins türkisch-syrische Grenzgebiet. Fünfzig Kilometer vor der Grenze kontrolliert sie ein Zivilpolizist. Sie zeigt ihren deutschen Pass und kommt umgehend in Abschiebehaft. "Ich habe den Polizisten gesagt, dass ich nach Syrien zu meinem Sohn will. Ich glaube die haben gedacht, ich wollte mich dem IS anschließen“, erinnert sich Lena K. Drei Tage später wird sie nach Deutschland ausgeflogen, muss unterschreiben, die nächsten zwei Jahre nicht mehr in die Türkei zu reisen.
Später reist sie noch einmal nach Algerien, kann kurz mit Yasin sprechen, das ist im November 2015. Danach bricht für längere Zeit der Kontakt zur Familie dort ab. Zwar hakt sie immer wieder nach, ob der Vater sich gemeldet habe, doch viele Informationen erhält sie von dessen Familie nicht. Vor Kurzem erst hat sich ihr Ex-Mann endlich wieder bei seiner Familie gemeldet. Ihm gehe es gut. Yasins Mutter aber geht es nicht gut. Sie hofft, endlich wieder Kontakt zu ihrem Sohn zu haben.
Christine Meyer-Degering, Rechtsanwältin von Frau K. sagt: "Rechtlich haben wir alles ausgeschöpft, was geht, das ist nicht viel. Tatsächlich wäre es natürlich eine große Chance, dass der Vater vielleicht nach Algerien kommt, dass er auch ein Einsehen hat. Ich gehe davon aus, dass ihm bewusst ist, wie wichtig die Mutter für den Sohn ist und wie wichtig es für Yasin wäre, seine Mutter jetzt bald wiederzusehen."