Zahnärzte-Protest in Hannover - trotz stetig gestiegener Erträge
Mediziner und Fachpersonal aus Zahnarztpraxen in ganz Niedersachsen haben am Mittwoch demonstriert. Sie warnten vor einem Praxissterben und längeren Wartezeiten für Patienten und fordern höhere Honorare.
Sie kamen in Hannover zu einer Kundgebung in der Nähe des niedersächsischen Landtages zusammen. Auch in Göttingen wurde protestiert. Auf dem Platz der Göttinger sieben trafen sich laut Polizei rund 950 Demonstranten. Mit deutlichen und teils drastischen Formulierungen schießen sich die Berufsverbände auf die Ampel-Regierung in Berlin ein. Es geht um's Geld - und damit gegen das Finanzstabilisierungsgesetz. Aus allgemeinen Hochrechnungen lasse sich ableiten, dass etwa 40 Prozent der Zahnärztinnen und Zahnärzte mit einem durchschnittlichen Kürzungsbetrag für die im Jahr 2023 erbrachten Leistungen in Höhe von mehr als 40.000 Euro zu rechnen haben, teilt Michael Loewener von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN) dem NDR Niedersachsen auf Anfrage mit.
Zahnarztverband: Honorare für Rechtsanwälte und Tierärzte auch gestiegen
Dabei würden den Praxen seit Jahren angemessene Honorare vorenthalten, wie es in dem Protestaufruf hieß. Ein "klassisches Beispiel für eine Missachtung des Berufsstandes" sei die Tatsache, dass die Gebührenordnung für Zahnärzte seit 35 Jahren nicht angepasst worden sei, so Pressesprecher Loewener. Andere Gebührenordnungen, etwa für Rechtsanwälte und Tierärzte, seien hingegen mehrfach an die Preisentwicklung angepasst worden.
KZVN: Politik missachtet die Zahnärzte
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbauch (SPD) werfen die Zahnarztverbände gar vor, sein Ziel " (...) scheint der Systemumbau zu sein mit Schaffung eines staatlichen Gesundheitssystems, in dem Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung keinen Platz mehr haben (...)." Doch mit diesem Gesetz höre die "Missachtung und die geradezu demonstrative mangelnde Wertschätzung der Politik" nicht auf. Es seien Gesetze in Arbeit, die weitere Bürokratie, Sanktionierungen und Kosten mit sich bringen würden.
Krankenkassen: Die Honorare für Zahnärzte steigen weiter
Und was sagt zu alldem die Gegenseite, in diesem Fall die Krankenkassen? Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) weist zumindest die Aussagen zu den Honoraren entschieden zurück. Von massiven Kürzungen könne keine Rede sein, teilt Pressereferentin Janka Hegemeister dem NDR Niedersachsen mit. "Im Gegenteil, die Honorare steigen weiter, der Gesetzgeber begrenzt im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz lediglich den Honoraranstieg für zahnärztliche Leistungen ohne Zahnersatz in einem vertretbaren Ausmaß."
GKV: Gesetz soll Finanzen der Krankenkassen stabilisieren
Gleiches gelte für die Gesamtvergütungen, die die Krankenkassen an die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen zahlen. Das Gesetz solle letztlich die Finanzen der gesetzlichen Kassen stabilisieren und die Versicherten vor stärkeren Beitragserhöhungen schützen, schreibt die GKV-Sprecherin weiter. Zudem würden Lasten so gleichmäßig auf alle Beteiligten, also auch auf die Leistungserbringenden, verteilt. "Der Leistungsanspruch der Versicherten wird dadurch nicht eingeschränkt."
"Gesetz geht auch auf Kosten der Patienten"
Doch die Zahnarztverbände warnen: Die Folge des neuen Gesetzes sei ein Praxissterben, gerade in ländlichen Gebieten. Zahlreiche Einzelpraxen stünden wegen Fachkräftemangels, Preissteigerungen und zunehmender Bürokratie an der Belastungsgrenze. Schon heute könnten Praxen, deren Inhaberinnen und Inhaber altersbedingt ausscheiden, kaum mehr nachbesetzt werden, sagte der Vizepräsident der Zahnärztekammer Niedersachsen (ZKN) Lutz Riefenstahl in der vergangenen Woche. Letztlich würde das Gesetz auch auf Kosten der Patienten gehen, teilt die KZVN weiter mit: Durch die Budgetierung gingen in Niedersachsen jährlich 60 Millionen für die Patientenversorgung verloren, die Wartezeiten für einen Termin würden unweigerlich steigen. Zahnarzt Tilo Frenzel überließ am Mittwoch seine Praxis in Wustrow im Wendland seinem Partner, um in Hannover dabei zu sein. "Wir verwalten uns zu Tode", sagte der 56-Jährige schon am Vortag. "Da ist so viel Bürokratie, dass wir nicht mehr zur Arbeit am Patienten kommen. Das macht die Berufsfreude kaputt." Er betonte die Notwendigkeit von Praxen Vor Ort: "Für den Fahrradunfall, den abgebrochenen Zahn oder die Entzündung".
Gesundheitsminister Philippi lässt Gesetz prüfen
Aus dem niedersächsischen Gesundheitsministerium kommt jedenfalls schon mal Unterstützung für einen Teil der Kritik. Vergangene Woche teilte das Haus von Minister Andreas Philippi (SPD) mit, dass man "in der derzeitigen Lage die Deckelung der zahnärztlichen Vergütung bei den Parodontitisbehandlungen" kritisch sehe. Derzeit werde überprüft, ob dieser Punkt negative Auswirkungen für die Patientinnen und Patienten haben. Falls ja, werde Niedersachsen eine Initiative zur Herausnahme der Parodontitis-Therapie aus der Budgetierung auf den Weg bringen.