Ukrainische Prothesentechniker werden in Duderstadt geschult
Der Prothesenhersteller Ottobock bildet ukrainische Techniker aus, damit sie Kriegsverletzte in der Ukraine versorgen können. Für das Land eine große Chance, denn dort werden Prothesen dringend benötigt.
Oleksii Borysov ist 25, kommt aus Lwiw in der West-Ukraine. Anfang Januar kam er nach Duderstadt, um sich hier zum Techniker für Beinprothesen weiterzubilden. Noch vor zwei Jahren studierte er Medizin in der Ukraine, war kurz davor, Arzt zu werden. Doch seit Kriegsbeginnmusste dieser Traum erst einmal hinten anstehen. Zu groß ist der Bedarf an Technikern, die diejenigen versorgen, die im Krieg Arm oder Bein verloren haben.
Ukraine: Mangel an Prothesen und Technikern
Seit Kriegsbeginn ist die Nachfrage an Prothesen in der Ukraine enorm gestiegen. "Wie viele Verletzte es insgesamt gibt, das weiß niemand so genau", sagt Miriam Albe, Business Development Managerin bei Ottobock. "Was wir aber wissen: In den letzten zwei Jahren wurden in der Ukraine über 10.000 Amputationen durchgeführt. Die meisten an Ober- oder Unterschenkeln." Dieser Bedarf kann durch die aktuelle Infrastruktur nicht einmal annähernd gedeckt werden. In der Ukraine - einem Land im Krieg - gibt es momentan nur etwa 400 Prothesentechniker. Zum Vergleich: in Deutschland gibt es 5000.
12-wöchiges Schulungsprogramm in Duderstadt
Deshalb werden bei Ottobock nun ukrainische Techniker und Physiotherapeuten ausgebildet. In einer 12-wöchigen Intensivausbildung lernen sie, wie sie Verletzungen vermessen, die Prothesen anfertigen und diese dann bei den verwundeten Patienten anpassen. Speziell dafür sind sogenannte Demo-Anwender vor Ort: Menschen mit einer Amputation, die bereits eine Prothese besitzen. Sie kennen sich aus mit ihren künstlichen "Ersatzteilen" und können den Technikern genau sagen, wo es noch drückt. Das Schulungsprogramm findet nun schon zum dritten Mal statt - dieses Mal mit 10 Technikern. Übrigens ausnahmslos Männer, denn auch in der Ukraine sind die meisten Prothesentechniker männlich.
Schulung zum Prothesenhersteller ist eine große Chance
Während Ihrer Weiterbildung sind die Techniker täglich in der Akademie, schlafen ganz in der Nähe im Hotel. Drei Monate lang gibt es für sie nicht viel anderes als die Schulung. "Es ist eine große Chance, hier zu sein. Ottobock ist eine gute Firma, und so eine Art Ausbildung gibt es bei uns in der Ukraine nicht", erzählt Oleksii Borysov. Seine Motivation: den Menschen in seiner Heimat helfen, etwas für sein Land tun. Deshalb ist er in Duderstadt - auch wenn das bedeutet, seine Familie drei Monate nicht sehen zu können.
Eine Herausforderung: Die Kommunikation
Durch sein Medizinstudium bringt Oleksii Borysov viel Vorwissen mit, er hat schon in der Ukraine mit Prothesen gearbeitet. Bei anderen Technikern sieht das anders aus: Einige hatten zuvor noch nie eine Prothese in der Hand. "In der ersten Woche geht es deshalb erstmal darum, alle auf einen Stand zu bringen", so Trainer Frederik Thiede. "Dann aber muss es schnell an die Anwender gehen, denn 12 Wochen sind schnell vorbei." Hinzu kommt: die ukrainischen Techniker sprechen kein Deutsch, nur wenige verstehen Englisch. Deshalb ist rund um die Uhr eine Übersetzerin vor Ort. Und auch das Handy kommt immer wieder zum Einsatz: "Tatsächlich machen wir mittlerweile viel mit der Übersetzer-App", erzählt Thiede. Sein Feedback tippt er ins Smartphone, die App übersetzt und liest laut vor. "Das funktioniert super, und notfalls kommunizieren wir über Hände und Füße", lacht er.
Modernere Techniken gibt es oft in der Ukraine nicht
In den 12 Wochen lernen die Techniker zunächst, die verbleibenden Gliedmaßen zu vermessen. Dafür gibt es zwei Techniken: Der Stumpf wird entweder händisch mit einem Gipsabdruck vermessen, oder digital gescannt. "In der Prothesentechnik wird immer mehr mit digitalen Scans und 3D-Tools gearbeitet. In der Ukraine fehlt es aber oft noch an den technischen Möglichkeiten, deshalb müssen die Jungs hier beide Wege lernen", so Frederik Thiede.
Jeder Patient und jede Wunde ist anders
Ist die Prothese hergestellt, wird sie den Anwendern angepasst - und zwar millimetergenau. Immer wieder bringen die Demo-Anwender die Modelle an, gehen ein paar Schritte, setzen sich wieder, geben Rückmeldung. Mit einem kleinen Schraubenzieher justieren die Techniker nach. "Das Anpassen ist das schwierigste", erzählt Oleksii Boryso. "Jeder Patient, und jede Wunde, ist anders. Deshalb muss man hier ganz genau sein." Am Ende dürfe nichts mehr drücken. Sonst hätten die Patienten bald Druckstellen und Schmerzen durch die Prothese.
Nach dem Programm geht es zurück in die Ukraine
In rund sechs Wochen - nach Ende des Schulungsprogrammes - geht es für die Techniker zurück in die Ukraine. Eine Abschlussprüfung gibt es nicht. "Es geht uns nur darum, den Männern so viel Praxis mitzugeben, wie möglich. Es ist wie ein Crashkurs, mit all dem Wissen, was man im Kriegsgebiet braucht", so Miriam Albe. Angst vor der Rückkehr hat Oleksii Boryso nicht. Im Gegenteil: er freut sich auf Zuhause, auf seine Freunde, seine Familie. "An den Krieg habe ich mich schon lange gewöhnt. Das ist schon normal. Aber ich freue mich darauf, endlich den Verletzten helfen zu können und nicht mehr nur zusehen zu müssen."