Politisch motivierte Kriminalität in Niedersachsen auf hohem Niveau

Stand: 13.05.2024 21:38 Uhr

Politisch motivierte Kriminalität ist in Niedersachsen erneut leicht zurückgegangen - aber weiter auf hohem Niveau. Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zeigt sich alarmiert.

4.596 politisch motivierte Straftaten wurden 2023 in Niedersachsen registriert. Gegenüber dem Vorjahr ist das zwar ein Rückgang um etwa zehn Prozent. Man sei aber immer noch deutlich über dem Mittelwert der vergangenen zehn Jahre von 3.998 Taten, teilte das Innenministerium am Montag mit. Als Gründe nennt das Innenministerium unter anderem den Rückgang von Corona-Protesten sowie den Umstand, dass 2023 keine überregionalen Wahlen in Niedersachsen abgehalten wurden.

Rechtsmotivierte Straftaten haben deutlich zugenommen

Während politisch motivierte Kriminalität aus der linken Szene erneut zurückgegangen ist, hat die Zahl rechtsmotivierter Straftaten im vergangenen Jahr den Angaben zufolge deutlich zugenommen. Die Polizei verzeichnete einen Anstieg von 25 Prozent auf 2.313 Taten. Damit macht dieser Bereich mehr als die Hälfte der politischen Kriminalität in Niedersachsen aus. Im Zehn-Jahres-Vergleich weist die Kriminalität von rechts zudem den zweithöchsten Wert auf. "Die größte Gefahr für unseren Rechtsstaat ist ganz klar die rechte Gewalt", sagte Behrens. Die Entwicklung sei beunruhigend und auch gefährlich.

Behrens: "Fundamentale Werte werden aktiv angegriffen"

Innenministerin Behrens hält den weiteren statistischen Rückgang politisch motivierter Kriminalität für trügerisch - 2021 war mit mehr als 5.300 Taten noch ein Höchststand erfasst worden. Man erlebe derzeit eine Verrohung - bis hin zu brutalen Gewalttaten, sagte Behrens am Montag. Als Anhänger der Demokratie müsse man besorgt sein. "Die fundamentalen Werte unseres Zusammenlebens werden von unterschiedlichen Gruppen aus den unterschiedlichsten Gründen abgelehnt und aktiv angegriffen. Deshalb müssen wir die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie stärken", betonte Behrens. Neben den Sicherheitsbehörden brauche es dazu auch eine wachsame Bevölkerung. Wenn der Rechtsstaat, Politiker oder andere Menschen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, herabgewürdigt oder beschimpft werden, gehöre es dazu, zu widersprechen. Dies gelte sowohl für das private Umfeld, das Internet, die Kneipe wie auch den Sportplatz.

VIDEO: Politisch motivierte Straftaten weiter auf hohem Niveau (4 Min)

Deutlich mehr antisemitische Straftaten

"Beschämt" zeigte sich Behrens angesichts der Entwicklung der antisemitischen Straftaten. Die Zahl stieg von 216 Taten (2022) auf 349 im vergangenen Jahr. Der weit überwiegende Teil sei einer rechten Tatmotivation zuzuschreiben, sagte Behrens. "Aber auch die aktuelle Situation im Nahen Osten - ausgelöst durch den furchtbaren Terrorangriff der Hamas auf den Staat Israel - hat einen deutlichen Einfluss".

Israel-Gaza-Konflikt als Faktor

Die Eskalation in Israel sehen die Behörden auch als ausschlaggebenden Faktor für einen deutlichen Anstieg von Taten im Bereich "ausländische Ideologie". Dort hat sich die Fallzahl binnen eines Jahres mehr als verdoppelt - sie stieg von 164 (2022) auf 402 (2023). Die meisten Taten lassen sich laut Innenministerium einer israel- oder judenfeindlichen sowie einer pro-palästinensisch geleiteten Ausrichtung zuordnen. Im Bereich der religiösen Ideologie sind Straftaten im Vergleich zum Vorjahr von 55 auf 87 angestiegen. Eine "herausragende Bedeutung" habe hier weiterhin der islamistisch geprägte Extremismus/Terrorismus. Das Land bekämpfe dies "nachhaltig und mit höchster Priorität", sagte Behrens. Dazu gehöre aktuell insbesondere der Umgang mit Rückkehrerinnen und Rückkehrern aus den sogenannten Jihad-Gebieten.

Mehr Hasskriminalität wegen sexueller Identität

Während im Jahresvergleich sowohl die Zahl der Gewaltstraftaten (von 296 im Jahr 2022 auf 192 im Jahr 2023) sowie der Straftaten gegen Amts- und Mandatstragende (von 537 auf 445) abgenommen hat, verzeichnet das Ministerium einen deutlichen Anstieg der Hasskriminalität im Bereich der LSBTIQ, frauen- und männerfeindlichen Straftaten. 195 Fälle wurden gezählt - fast doppelt so viele wie noch im Vorjahr (109). Überwiegend handele es sich um Hasspostings, aber auch die Zahl der Gewalttaten sei angestiegen, sagte Behrens. Auch hier zeige sich ein Verrohungseffekt.

Wütende Bauern vor Haus von Ministerin

In den vergangenen Wochen und Monaten hatten Übergriffe auf Politiker bundesweit für Aufsehen gesorgt. Auch in Niedersachsen gab es Zwischenfälle: Im Dezember waren wütende Bauern im Wendland mit ihren Treckern vor das Privathaus von Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) gefahren. Die Ministerin sprach von einem Einschüchterungsversuch und erstattete Anzeige. Auch Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch (Grüne) berichtete über Hass und Pöbeleien, die besonders in Internetforen zugenommen hätten.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 13.05.2024 | 12:00 Uhr

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