Initiative bringt auch Kinder in Lüneburg in Sportvereine
Eine Initiative des Basketballvereins Alba Berlin will Kinder deutschlandweit für Sport und Bewegung begeistern - und könnte dabei gleichzeitig Engpässe in der Ganztagsbetreuung ausgleichen.
Sport ist für Kinder eine optimale Möglichkeit, gesund zu bleiben, Freunde zu finden und Teamgeist zu entwickeln. Doch vor allem in sozialen Brennpunkten finden sie nur selten den Weg in einen Sportverein. Sei es, weil viele Familien aus einem anderen Kulturkreis kommen, in dem Sportvereine keine Rolle spielen, oder sei es, dass Eltern überfordert sind, ihre Kinder zum Sportverein zu bringen.
Das will die bundesweite Initiative "Sport vernetzt" ändern. Vor acht Jahren ist das Projekt in Berlin gestartet und ist seit einem Jahr auch im Lüneburger Stadtteil Kaltenmoor aktiv. Jetzt haben die Initiatoren eine erste Bilanz gezogen.
Anknüpfen an die Spielfreude aller Kinder
Das Bild in der Turnhalle im Lüneburger Stadtteil Kaltenmoor ist nicht ungewöhnlich: An einem Nachmittag spielen hier Grundschulkinder Hockey und Fußball oder sie turnen an Geräten. Allerdings war das nicht immer so. Bis vor einem Jahr gab es hier nur ein spärliches Angebot. Heute sind die Kinder mit Begeisterung dabei; kleine Wettbewerbe gehören auch dazu.
Möglich sind diese Sportkurse dank des Projekts "Sport vernetzt", einer Initiative aus Berlin. Dabei geht es vor allem darum, benachteiligte Kinder zu erreichen. Mit Sport gehe das besonders gut, sagt Mitinitiator Igor Ryabinin: "Für Kinder ist nicht nur Sport wichtig, sondern generell ein kultureller Zugang. Ich sehe Sport als einen sehr niedrigschwelligen Teil davon. Man muss dafür die Sprache nicht gut können, sondern braucht nur die Lust am Spiel - und die haben alle Kinder." Um an der Gesellschaft teilhaben zu können, sei das ein sehr leichter Einstieg. Darin liege auch große Kraft und Chance des Sports und des Projekts.
Ziel: Flächendeckend alle Brennpunkte in Deutschland erreichen
In den Brennpunkten warten die Sportvereine nicht darauf, dass die Kinder zu ihnen kommen, sondern andersherum: Die Vereine gehen dorthin, wo die Kinder sind, in die Kitas und in die Schulen. Das ist die Grundidee von "Sport vernetzt". Zuerst sucht sich die Initiative dafür in jeder Stadt Mitstreiterinnen und Mitstreiter: Sportvereine, Grundschulen, Vertreterinnen und Vertreter von Kommunen und Politik sowie aus der Sozialarbeit. Vor acht Jahren hatte Alba Berlin im Stadtteil Neukölln das Projekt gestartet. Mittlerweile gibt es das Angebot bundesweit in fast 70 sozialen Brennpunkten. Und es soll weiterwachsen, sagt Mitinitiator Ryabinin: "Man darf es gar nicht laut sagen: Es gibt 1.000 Brennpunkte in Deutschland. Unser Ziel ist, dass jedes Kind in Deutschland die Chance haben soll, Sportler zu werden, und dafür müssen wir in all diese Räume gehen."
Gebündelte Kompetenzen schaffen ein gutes Angebot
In Lüneburg gibt es "Sport vernetzt" seit einem Jahr. Hier ist unter anderem die SVG dabei. Christoph Schimanski ist Jugend-Koordinator des größten Volleyball-Vereins in Norddeutschland: "Die Chance für den Sportverein ist zum einen, neue Kinder kennenzulernen und zum anderen mit vielen anderen Vereinen für eine gute Sache tätig zu sein", sagt er. Dabei ist klar: Bei den Sportangeboten von "Sport vernetzt" sind die Anforderungen an die Trainer ganz anders als in den herkömmlichen Trainingsstunden bei den Sportvereinen.
Mit diesem Thema beschäftigt sich auch die Leuphana Universität. Professorin Jessica Süßenbach begleitet das Projekt wissenschaftlich: "Gerade in den Sozialräumen, wo 'Sport vernetzt' aktiv wird, wo schwierige Ausgangslagen zu finden sind, da braucht es auch sozialpädagogische Ansätze, also eine Mischung von Training und Sportunterricht. Da ist auch eine ganz andere Didaktik gefragt. Aus wissenschaftlicher Sicht fragen wir uns daher, wie Menschen qualifiziert sein müssen, die diese Angebote machen."
Lüneburg: Breit aufgestellt mit 13 Sportangeboten in Kaltenmoor
Stefan Schröder von der Leuphana Universität koordiniert die Sportangebote. Für ihn ist der pädagogische Ansatz ein besonders wichtiger Punkt. Bei "Sport vernetzt" in Lüneburg sind in der Regel zwei Übungsleiter dabei: "Wir arbeiten meist in multiprofessioneller Zusammenarbeit, sodass beispielsweise Sozialpädagogen zusammen mit Übungsleitenden aus den Sportvereinen aktiv sind. So können die voneinander lernen und die Kinder profitieren dann umso mehr. Wenn mal jemand von den beiden ausfällt, dann sind sie immer noch mit einer Person da."
Gerade bei diesen Kindern sei Verlässlichkeit wichtig. Finanziert werden dieses Sportangebote über die Ganztagsbetreuung. Dafür bekommen die Schulen ein Budget vom Land zur Verfügung gestellt. Vorher hat es in Lüneburg-Kaltenmoor nur eine AG pro Woche gegeben, mittlerweile gibt es an der dortigen Grundschule 13 Sportangebote. Da sind allerdings noch etliche Plätze frei, sagt Stefan Schröder. Es sei nicht leicht, die Eltern zu erreichen.
Recht auf Ganztag ab 2026 für alle Eltern
Einen großen Schub versprechen sich die Organisatoren von "Sport vernetzt" auch von einer bundesweiten Neuregelung: Ab 2026 gibt es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Dann wird es auch mehr Bedarf an Nachmittagsangeboten geben. Das Gesetz zur Förderung des Ganztags wurde schon 2021 beschlossen und will die Betreuungslücke schließen, die nach der Kindergartenzeit für viele Familien entsteht, sobald die Kinder eingeschult werden. In vielen Familien sind es nach wie vor die Mütter, die diese Lücke ausgleichen, indem sie im Beruf kürzer treten, um ihre Kinder ab mittags betreuen zu können. Das Gesetz soll also auf mehreren Ebenen für mehr Gerechtigkeit sorgen: Es soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und gleichzeitig Kindern unabhängig von ihrer Herkunft und den finanziellen Möglichkeiten der Eltern die gleichen Chancen bieten.
Initiative will drohenden Engpässen entgegenwirken
Der Bedarf ist eindeutig da: 82 Prozent der Eltern unterstützen den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Der Plan sieht vor, von der ersten bis zur vierten Klasse an fünf Tagen die Woche jeweils acht Stunden Betreuung zu ermöglichen. Zudem soll es maximal vier Wochen Schließzeit in den Ferien pro Jahr geben. In den Jahren 2020 und 2021 hat der Bund bereits insgesamt zwei Milliarden Euro an Investitionsmitteln beigesteuert. Aktuell sind schon mehr als die Hälfte der Grundschulkinder in Deutschland im Ganztag - in einigen Bundesländern sind es sogar über 90 Prozent. Kritiker bemängeln allerdings, dass die Länder dafür gar nicht gerüstet sind: Laut Prognosen werden bundesweit bis zum Jahr 2025 im Kindergarten und in der Grundschule 600.000 Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrkräfte benötigt.
Stefan Schröder vom Institut für Bewegung Sport und Gesundheit an der Leuphana Universität Lüneburg sieht im Angebot von "Sport vernetzt" ein großes Potenzial. Er sagt, es habe durch die Initiative eine enorme Entwicklung im Stadtteil gegeben: "Wir leisten viel Vorarbeit indem wir eine Kartographie des Stadtteils erstellen, Interviews mit Quartiersmanagern, Vereinen und Ganztagsbetreuern führen. Dadurch können wir die Bedarfe sehr gut einschätzen." Die enge Zusammenarbeit mit dem Landessportbund habe dazu geführt, dass es insbesondere in Niedersachsen eine breite Aufstellung der Initiative gibt, die den drohenden Engpässen effektiv entgegen wirken kann.