Hoher Krankenstand: Unbezahlter Karenztag hat wenig Befürworter

Stand: 08.01.2025 21:29 Uhr

Der Krankenstand in Deutschland ist hoch - höher als in anderen europäischen Ländern. Allianz-Chef Oliver Bäte möchte einen Karenztag einführen, für den es kein Geld gibt. Der Vorschlag kommt nicht gut an.

von Mandy Sarti

Aus Sicht der Unternehmerverbände in Niedersachsen ist der hohe Krankenstand in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten zwar bedenklich, allerdings sei der Vorschlag Bätes keine Lösung. Hauptgeschäftsführer Benedikt Hüppe sagte dem NDR Niedersachsen: "Einen Tag von sechs Wochen Lohnfortzahlung zu streichen, führt zu mehr Bürokratie bei den Abrechnungen, bei überschaubaren finanziellen Vorteilen für die Arbeitgeber." Außerdem gibt er zu bedenken, dass die Debatte ein Misstrauen gegenüber den Beschäftigten zum Ausdruck bringe. Vertrauen helfe da weiter, machte Hüppe deutlich.

Bäte: Menschen in Deutschland im Schnitt 20 Tage krank

Allianz-Chef Bäte hatte in einem Interview mit dem "Handelsblatt" die Wiedereinführung des Karenztages gefordert. Dieser Schritt könne dazu beitragen, die Kosten für das Gesundheitssystem zu senken. Laut Bäte sind Arbeitnehmende in Deutschland im Schnitt 20 Tage pro Jahr krank. Der EU-Schnitt liegt bei acht Krankheitstagen. "Deutschland ist mittlerweile Weltmeister bei den Krankmeldungen", zeigte er sich in der Interview überzeugt.

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Elektronische Krankmeldung: "Statistiken werden ehrlicher"

Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) sieht den hohen Krankenstand vor allem in der Einführung der elektronischen Krankmeldung begründet. Das Attest werde jetzt automatisch an die Kassen weitergeleitet. Das war früher nicht so, da waren Erkrankte selbst dafür verantwortlich. "Das ist ein toller Fortschritt. Aber dadurch werden auch die Statistiken ehrlicher", sagt Philippi dem NDR Niedersachsen. Deshalb handele es sich um eine unsinnige Diskussion.

DGB zeigt sich empört über Vorstoß

Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall, hält die Debatte in Anbetracht der vielen Krankschreibungen zwar für richtig, macht aber auch deutlich: Der Vorschlag sei nicht der Weisheit letzter Schluss. "Es gibt Tarifverträge. Und Tarifverträge sehen etwas anderes vor, und zwar die hundertprozentige Lohnfortzahlung." Dieser Punkt lasse sich mit den Gewerkschaften nicht diskutieren. Anja Piel, Mitglied im Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat diesem Vorstoß bereits eine Absage erteilt. Es handele sich um eine soziales Schutzrecht, das gewährleiste, dass Kranke sich erholen und gesund werden können.

Kassenärztliche Vereinigung fürchtet höhere Ausfallzahlen durch Karenzregel

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) lehhnt den Vorschlag ab. "Wir befürchten, dass die Menschen mit einer Karenzregel krank zur Arbeit gehen und so Kolleginnen und Kollegen anstecken, mit der Folge, dass die Ausfallzahlen dann noch weiter steigen", sagte Sprecher Detlef Haffke im Gespräch mit NDR Niedersachsen. Aus Sicht der KVN sollte die Eigenverantwortung von Patientinnen und Patienten gestärkt werden. Heißt: Nicht bei jedem Schnupfen sofort zum Arzt zu gehen und sich ein Attest zu besorgen.

Gesundheitsministerium: Menschen seit Covid anfälliger für Atemwegsinfekte

Vor allem die Tatsache, dass den Menschen unterstellt wird, dass sie "krankfeiern", stößt in Niedersachsen bitter auf. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums erkranken die Menschen seit der Covid-Pandemie häufiger an Atemwegsinfekten. Außerdem hätten sie gelernt, bei Symptomen zuhause zu bleiben, um Kolleginnen und Kollegen zu schützen.

Regeln in Europa unterschiedlich

In Krankheitsfällen wird der Lohn in Deutschland sechs Wochen zu 100 Prozent weiter gezahlt. Ein Attest muss ab dem vierten Tag vorgelegt werden, es sei denn, Arbeitgebende fordern es früher ein. In anderen EU-Ländern ist die Situation weniger komfortabel. So gibt es zum Beispiel in Spanien, Griechenland und Schweden einen Karenztag und damit keinen Lohn. In Schweden werden beispielsweise in den folgenden Krankentagen 80 Prozent des Gehalts gezahlt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 08.01.2025 | 12:00 Uhr

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Gesundheitspolitik

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