Erhalten durch Aufessen: Die Wollschwein-Zucht im Emsland

Stand: 13.10.2024 12:03 Uhr

Bei einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb in Dörpen (Landkreis Emsland) setzen die vier erwachsenen Kinder nicht auf die konventionelle Schweinezucht, sondern auf artgerechte Haltung und eine andere Rasse: die Wollschweine.

von Britta Nareyka und Sharon Welzel

Die konventionelle Sauen-Haltung ist das Hauptgeschäft vieler Landwirte in Niedersachsen. Die vier Kinder der Familie Ahlers probieren jetzt was anderes. Sie setzen auf sogenannte Wollschweine, auch Mangalitza genannt. Die Rasse stammt ursprünglich aus Ungarn und war in Deutschland lange Zeit sogar vom Aussterben bedroht. Doch das hat sich gewandelt - und daran sind die Ahlers nicht ganz unschuldig.

Per Zufall in den Direktvertrieb

Ein Wollschwein auf dem Ahlers Hof im Emsland. © Ahlers Hof
Die Wollschweine der Familie Ahlers haben eine regelrechte Fangemeinde in der Nachbarschaft.

Die Schweine sehen besonders aus mit ihrem wolligen, kräuseligem Fell. Eicheln und Kastanien mögen die rund 35 rot-blond gelockten Wollschweine der vier Ahlers-Geschwister besonders gerne. Ursprünglich hatten die Landwirte sich die robusten Tiere eigentlich nur zum Umgraben eines Ackers angeschafft. Doch dann wurden sie von der Nachfrage nach dem Fleisch der Wollschweine überrascht, erzählt die älteste Schwester Marina: "Dann sind aus fünf Schweinen schnell 35 geworden und wir sind in die Direktvermarktung gerutscht. Das ist aber eher zufällig passiert und war nicht der Plan."

Robuste Rasse, die viel Auslauf braucht

Die Wollschweine und ihre Halter auf dem Ahlers-Hof. © Ahlers Hof
Die Wollschweine fühlen sich wohl auf dem Ahlers Hof.

Die vier Geschwister sind mit Schweinen groß geworden. Die Eltern hatten einen konventionellen Sauen-Betrieb mit den typischen Rassen, die sich für eine schnelle Aufzucht eignen. Die Wollschwein-Zucht ist dagegen etwas völlig anderes. Die Tiere brauchen den Auslauf, um ihren Wühl- und Bewegungsdrang ausleben zu können und dürfen sich ganzjährig auf einer 0,9 Hektar großen Fläche austoben. Zu jeder Jahreszeit gibt es die passende Frisur, so Markus Ahlers: "Die Schweine haben ein Sommer- und ein Winterfell. Das Sommerfell ist eher glatt und zum Herbst fängt es an, lockig zu werden, damit sie die kalten Temperaturen dann auch besser vertragen." Die Tiere sind es gewohnt, draußen zu sein und dank des Fells und einer ordentlichen Fettschicht sind sie Temperaturen bis zu -20 Grad gewachsen.

Die Wollschweine und ihre Halter auf dem Ahlers-Hof. © Ahlers Hof
AUDIO: Wollschweine: Familienbetrieb setzt auf andere Schweinezucht (4 Min)

Futter liefern die Fans aus der Nachbarschaft

Der Hofladen der Familie Ahlers © Ahlers Hof
Das Fleisch wird direkt im hofeigenen Laden verkauft.

Das Futter für die Tiere - Eicheln, Kastanien und Fallobst - kommt aus der gesamten Nachbarschaft. Im Internet hatten die Geschwister dazu einen Aufruf gestartet. Denn solche Leckerbissen schmecken den Schweinen besonders gut. Zusätzlich bekommen die Wollschweine ein Futtergemisch aus Weizen- und Haferschälkleie. Es ist ein bewusst energiearmes Futter ohne Soja-Zusatz - denn anders als Mastschweine, die möglichst schnell dick und rund werden sollen, wachsen die Wollschweine deutlich langsamer und dürfen sich bis zur Schlachtreife mindestens zwei Jahre draußen austoben.

Futter ohne Soja - auch besser für's Klima

Die Ahlers haben sich aus vielen Gründen für ein sojafreies Futter entschieden. Das Soja, das hierzulande an Nutztiere verfüttert wird, kommt zu großen Teilen aus Argentinien oder Brasilien. Dafür wird dort im großen Stil Regenwald gerodet. Laut WWF benötigt ein Kilogramm Schweinefleisch 263 g Soja. Allein um diese Menge zu produzieren, wird mehr als ein halber Quadratmeter eines Sojafeldes gebraucht. Soja und Tofu haben also gar nicht so viel miteinander zu tun, wie man denken könnte. Etwa 80 Prozent der Erträge aus dem Soja-Anbau werden nämlich zu Schrot verarbeitet und an Tiere verfüttert - hauptsächlich an Schweine und Rinder. Die Soja-Produktion ist daher in den letzten Jahrzehnten drastisch gestiegen - zu Lasten des Klimas. Deutschland hat daran einen großen Anteil, denn hierzulande wird besonders viel Milch und Schweinefleisch produziert.

Schweinbauern Daniel und Markus Ahlers und ihre Wollschweine. © Ahlers Hof
Auch wenn die Haltungsstandards ihrer Tiere besser sind als die Vorgaben für Bio-Fleisch, haben Daniel und Markus Ahlers keine Bio-Zertifizierung.

Die Ahlers sind sich darüber im Klaren und geben auch deswegen ganz bewusst ein Futter ohne Soja. Dafür verzichten sie sogar auf das Bio-Siegel. Das spezielle, regionale Futter, das sie geben, ist nicht bio-zertifiziert. Sie wollen zeigen: Eine alternative Form der Schweinezucht ist möglich, wenn auch nicht im großen Stil. In der Folge müsste sich auch der Fleischkonsum der Verbraucherinnen und Verbraucher entsprechend anpassen, mahnen Fachleute von der Böll-Stiftung. Denn wenn die Tierbestände reduziert werden, würde auch dauerhaft weniger Soja importiert werden.

Wirtschaftlich denken und dabei die Art erhalten

Lange Zeit war das Wollschwein, zumindest auf dem Teller, eher unbeliebt. Ein Grund dafür ist auch der hohe Fettgehalt des Fleisches. Mittlerweile ist die Rasse wieder auf dem Vormarsch, auch weil sich immer mehr Züchter, so wie die Ahlers, für die Schweine begeistern. Pro Monat schlachten sie ein bis zwei Tiere und verkaufen das Fleisch im eigenen Hofladen. Daniel Ahlers erklärt, warum das Schlachten auch zum Konzept der Erhaltung gehört: "Wir suchen regelmäßig die größten Schweine raus, um sie weiterzuverarbeiten. Nur so können wir die Art auch erhalten - durch Aufessen." Es klingt paradox aber der Bruder Markus Ahlers ergänzt: "Das ist eben auch notwendig, wenn man Fleisch essen möchte."

Artenschutz durch Forschung und Tierpädagogik

Schwalbenbauch-Mangalitza Wollschweine im Schnee © picture alliance
Die Schwalbenbauch-Mangalitza Wollschweine sind ebenfalls auf der roten Liste für gefährdete Haustierrassen.

Auf der Arche Warder, einem Haus- und Nutztierpark in Schleswig-Holstein, verfolgt man ein anderes Konzept. In Europas größtem Nutztierpark für seltene und vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen sind auch ein paar Wollschweine zu Hause - insgesamt sogar drei verschiedene Sorten. Das blonde, das rote und das schwalbenbäuchige Mangalitza. Die Bezeichnung Mangalitza kommt vom serbokroatischen Wort magulica und bedeutet "leicht fett werdend". Das schwarze Mangalitza ist schon in den 1970er-Jahren ausgestorben. Weil sie eben so viel Auslauf brauchen, sind die Wollschweine für eine intensive Tierhaltung völlig ungeeignet, erklärt ein Sprecher der Arche Warder. Der Verein setzt eher auf das Konzept Tierpädagogik und sichert den Erhalt der seltenen Rassen durch ein lebendiges Museum und nicht durch die Vermarktung des Fleisches.

Hochpreisiger aber beliebt

Auf dem Hof Ahlers sieht man die Sache etwas anders. Auch wenn es vielleicht widersprüchlich klingt: nur, wenn es gegessen wird, kann das nachhaltig produzierte Fleisch eine Zukunftsperspektive haben, finden die Landwirte. Durch einen hohen Anteil an Omega 3-Fettsäuren ist es zum Beispiel besser verträglich als herkömmliches Schweinefleisch: "Die Leute wollen eben auch mal was anderes probieren. Vielen schmeckt es, einigen halt nicht." Das Fett sei im Geschmack eher bissfest, das komme gut an. Und weil es "was Besonderes" sei, hätten viele Leute auch eher die Bereitschaft, mehr zu bezahlen. Die Geschwister können trotzdem nicht nur von ihren Wollschweinen leben. Zusätzlich halten sie Weiderinder und Tierwohl-Hähnchen. Doch vor allem der Wollschwein-Fanclub wächst - nicht nur innerhalb der eigenen Familie.

Weitere Informationen
Das Fleisch der Schwalbenbäuchigen Mangalitza Wollschweine gilt nicht nur als besonders schmackhaft, sondern auch gesund. © NDR/produktion clipart

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