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Deutschlandtakt: Kann die Bahn die Mobilitätswende schaffen?

Stand: 05.09.2023 06:19 Uhr

Fast alle sind sich einig: Eine Mobilitätswende muss her - unter anderem mit einem attraktiveren Bahnverkehr. Hochschulprofessor Marco Brey über Mängel, Möglichkeiten und den Deutschlandtakt der Deutschen Bahn.

Kaum eine Woche vergeht, in der nicht von Zugausfällen berichtet wird. Ganze Fahrpläne werden eingekürzt, und wenn die Züge doch fahren, kommt es oft zu Verspätungen. Auf der anderen Seite steht da der Plan, mehr Menschen für das im Vergleich umweltfreundlichere Bahnfahren zu begeistern, vor allem, um die CO2-Ziele der Bundesregierung zu erreichen. Doch fehlt eben schon heute Personal, um Züge zu lenken und Stellwerke zu bedienen. Ein weiterer Punkt: Der Ausbau der Bahninfrastruktur - es braucht mehr Gleise und schnellere Verbindungen. Ziel ist der sogenannte Deutschlandtakt. Marco Brey von der Ostfalia Hochschule in Salzgitter erklärt im Interview, wo es hakt und was passieren muss, damit mehr Menschen ihr Auto stehen lassen und in den Zug steigen.

Marco Brey im Portrait. © Marco Brey
Marco Brey ist Professor für spurgeführte Verkehrssysteme am Institut für Verkehrsmanagement der Ostfalia Hochschule in Salzgitter.

Was muss passieren, um mehr Menschen vom Auto auf die Schiene zu bekommen?

Marco Brey: Wesentliche Schlüssel, um mehr Menschen vom Auto auf die Schiene zu bekommen, sind die Verlässlichkeit, die Attraktivität und der einfache Zugang zum Öffentlichen Verkehr (ÖV).

Die Verlässlichkeit drückt sich insbesondere über die Pünktlichkeit aus. Die veröffentlichten Werte der Deutschen Bahn (DB) für den Monat Juli 2023 zeigen für das Nahverkehrsangebot von DB Regio, dass 91,1 Prozent aller Regionalzüge weniger als sechs Minuten Verspätung gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit hatten und 98,2 Prozent weniger als 16 Minuten.

Im DB-Fernverkehr sieht das deutlich schlechter aus, nur 64,1 Prozent der Fernzüge hatten unter sechs Minuten Verspätung und nur 81,2 Prozent der Zugfahrten erreichten eine Verspätung von weniger 16 Minuten. Jeder Fahrgast, der seinen Anschluss verpasst, einen Termin aufgrund der Unpünktlichkeit nicht wahrnehmen kann und die alternative Auto zur Verfügung hat, ist nur schwer für den ÖV zu begeistern. Da nützen auch Rabatte und Angebote nur wenig, wenn auf einmal die Reisezeit unkalkulierbar oder im Verhältnis zur Fahrzeit mit dem Auto inklusive Parksuchverkehr massiv steigt.

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Attraktivität bezieht sich auf die Fahrzeuge, aber auch die Ausstattung und Erreichbarkeit von Haltepunkten und Bahnhöfen. Parkplätze für Fahrrad und Pkw, gute ÖV-Erreichbarkeit der Bahn mit Linien- oder bedarfsorientierten Bedienformen sind hier zu nennen. Leise, umweltfreundlich angetriebene und klimatisierte Fahrzeuge sowie saubere, komfortable und möglichst barrierefreie Ausstattung der Stationen sind ein weiterer wichtiger Aspekt, um Menschen zur Nutzung des Schienenpersonenverkehrs zu bewegen. Kann die Fahrzeit für die Erledigung von Arbeitsaufgaben oder zur Entspannung genutzt werden, bietet das einen Mehrwert gegenüber der Autofahrt und relativiert bis zu einem gewissen Grad den Mehrbedarf an Reisezeit gegenüber der Direktfahrt mit dem Pkw.

Der einfache Zugang bezieht sich sowohl auf die Information über Zug- und Busverbindungen, also zum Beispiel von Verspätungen, Anschlussalternativen und Auslastungsanzeigen als auch auf das Bezahl- und Tarifsystem. Fahrgastinformationssysteme via App und das Deutschlandticket für den Nahverkehr gehen hier schon in die richtige Richtung. Beim 49-Euro-Ticket überzeugen aber insbesondere das Abo-Modell und auch der Preis nicht diejenigen, die nur ab und zu ein öffentliches Verkehrsmittel nutzen könnten, aber auch zum Beispiel ein Auto zur Verfügung haben.

Was müssen die Akteure, also die Deutsche Bahn und die zuständigen Ministerien und Regierungen, tun, um die Mobilitätswende mit einer Reduzierung des Individualverkehrs voranzubringen?

Brey: Viele Dinge wurden schon in Angriff genommen, dauern allerdings in der Planung und Umsetzung viel zu lang und brauchen dann noch zusätzlich Zeit, um im Rahmen der Mobilitätswende wirksam zu werden.

An vorderster Stelle betrifft das natürlich die Infrastruktur. Der Zustand der Verkehrswegeinfrastruktur für den Schienenverkehr ist an vielen Stellen veraltet, störungsanfällig und bietet nicht die benötigte Leistungsfähigkeit und Flexibilität für den Personen- und Güterverkehr.

Engpässe wie die Weddeler Schleife werden jetzt endlich beseitigt, allerdings viel zu spät. Es fehlen ausreichend lange Überholgleise für die Güterzüge, um Kapazitäten zu steigern und Verspätungen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Die Digitalisierung der Schiene in Form von digitaler Infrastruktur und Fahrzeugtechnik, also zum Beispiel mit digitalen Stellwerken, ist für die Leistungssteigerung, die man erreichen möchte, unverzichtbar.

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Neben der Frage der Finanzierung geht es aber auch um die des Fachkräftemangels. Politik, Wirtschaft und Hochschulen müssen hier eng zusammenarbeiten, um diese neuen Systeme entwickeln, planen und realisieren zu können. Die Bahnbranche ist, das kann ich nur aus eigener Erfahrung voll und ganz bestätigen, total spannend und vielseitig.

Die DB will mit dem Deutschlandtakt den Sprung in die Zukunft machen. Können Sie kurz erklären, was darunter zu verstehen ist?

Brey: Das Ziel des Deutschlandtaktes ist es, mehr regelmäßige Zugverbindungen im Nah- und Fernverkehr im Rahmen eines integralen Taktfahrplans (ITF) zunächst in Deutschland anzubieten. Diese Verbindungen sollen an ausgewiesenen Knotenbahnhöfen optimal aufeinander abgestimmt sein und so einfache Umstiegsmöglichkeiten erlauben. Damit werden Wegeketten einfacher realisierbar und in der Regel von den Reisezeiten deutlich kürzer als heute. Das Ganze basiert auf einem festgelegten Takt, in dem die jeweiligen Verbindungen angeboten werden. An den sogenannten Knotenbahnhöfen werden alle Umstiegsbeziehungen gleichzeitig angeboten, das heißt, dass alle Züge zur gleichen Zeit am Bahnsteig stehen und die Reisenden beliebig in den Zug für die weitere Reise umsteigen können.

Viele Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden, um den ITF allein für den Fernverkehr umzusetzen. Es müssen genügend Bahnsteiggleise vorhanden sein, damit der Fahrgastwechsel für alle am ITF beteiligten Züge gleichzeitig im Bahnhof stattfinden kann. Die Züge müssen extrem pünktlich im ITF-Knoten sein, die Zeiten für den Umstieg der Fahrgäste zwischen den Zügen müssen möglichst kurz sein, ein Warten auf Anschlussreisende ist dann nicht mehr möglich.

Nachteile zeichnen sich für Reisende auf langen Direktverbindungen ab, also Zugfahrten ohne Umsteigen, denn diese werden sich tendenziell in der Fahrzeit aufgrund der verlängerten Haltedauern und eventuellen zwangsweise reduzierten Fahrgeschwindigkeiten zwischen den ITF-Knotenbahnhöfen gegenüber den aktuellen Verbindungen verschlechtern, zum Beispiel Hamburg - München.

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Wie teuer ist das alles?

Brey: Der Deutschlandtakt wird in der Schaffung der Voraussetzungen extrem teuer. Die Bahnhöfe müssen mit zusätzlichen Bahnsteiggleisen ausgebaut und für den schnellen Fahrgastwechsel optimiert werden. Das bezieht sich auch auf die Gleisanlagen in den Bahnhöfen, denn die Züge sollen möglichst gleichzeitig ein- und ausfahren können. Alle Strecken zwischen den ITF-Knoten müssen hinsichtlich der Fahrzeit mit etwas Pufferzeit ausgelegt sein. Viele Strecken müssen also ertüchtigt oder ausgebaut werden, um die geforderten Fahrzeiten sicher einhalten zu können. Moderne Stellwerks- und Diagnosetechnik ist hier erforderlich, damit ein hoher Grad an Zuverlässigkeit im System erreicht werden kann. Um die zusätzlichen Kapazitäten auf der Schiene für den Personen- und Güterverkehr bereitstellen zu können, braucht es moderne Zugleit- und Sicherungstechnik (ETCS). Das erfordert massive Investitionen in Infrastruktur und die Fahrzeugtechnik.

Kann das Ziel erreicht werden?

Brey: Aus meiner Sicht kann das Ziel erreicht werden, aber nicht kurz- und mittelfristig. Hier muss man stärker differenzieren und die Maßnahmen, die zur Vorbereitung des Deutschlandtaktes dienen, stärker priorisieren. Die laufenden Voruntersuchungen zum Deutschlandtakt sind hier entscheidend, um Engpässe im Netz und Kapazitäten für den Personen- und Güterverkehr auf der Schiene zu identifizieren und bei allen laufenden und geplanten Aus- und Neubaumaßnahmen zu berücksichtigen. Die Umsetzung des Deutschlandtaktes als Ganzes wird noch Jahrzehnte dauern, auf einzelnen Strecken und in bestimmten Regionen können Verbesserungen im Rahmen eines integralen Taktfahrplans allerdings deutlich schneller umgesetzt werden.

Das Interview führte Marc Wichert, NDR Niedersachsen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 05.09.2023 | 07:00 Uhr

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